Sexuelle Gesundheit: Nur wenige Ärzte sprechen sie an

Zu 80 Prozent stimmen Frau und Mann bei den dreiviertel aller Eigenschaften überein, sagen US-Forscher
Patienten wünschen sich mehr Beratung. Ärztin Elia Bragagna fordert sexualmedizinische Ausbildung an den Unis.

Keine Erektion nach einer Prostata-Entfernung, Lustlosigkeit in Folge von Diabetes oder Asthma-Erkrankungen, Operationen oder Traumata verändern die Sexualität der Menschen. Elia Bragagna, Sexualmedizinerin: "46 Prozent aller Frauen und 39 Prozent aller Männer haben in ihrem Leben, zumindest vorübergehend, sexuelle Probleme - meist, ohne die nötige Hilfe zu bekommen". Zudem können sexuelle Störungen auch Symptome für anderen Erkrankungen sein. So leiden 90 Prozent der Männer, die von einer Herzgefäßerkrankung betroffen sind, auch an einer erektilen Dysfunktion (Erregungsstörung). "Trotzdem werden nur rund zehn Prozent der Patienten zu ihrer sexuellen Gesundheit befragt. Das ist ein viel zu tabuisiertes Thema", so Bragagna. Das Problem: Viele Ärztinnen und Ärzte wissen nicht, welche Folgen Krankheiten oder Operationen auf die Sexualität haben. "54 Prozent gaben an, dass sie Probleme nicht ansprechen, weil ihr sexualmedizinisches Wissen ungenügend ist."

Bei Edith Schuligoi wurde der erste Eierstock in der Kindheit und der zweite mit 41 Jahren wegen einer gutartigen Zyste, ohne Vorwarnung und ohne nachfolgende Ersatz-Medikation, entfernt. Wenn sie nicht an Krebs sterben wolle, müsse man die Eierstöcke entfernen, hieß es. Dass hormonell bedingte Beschwerden auftreten werden und eine Organ-erhaltende Operation auch möglich gewesen wäre, wurde ihr verschwiegen. "Man sagte mir damals, dass ich halt etwas früher in den Wechsel kommen werde." Die Konsequenzen waren aber enorm: Schwindel, Übelkeit, Schüttelfrost, sexuelle Unlust und Empfindungslosigkeit. "Nichts im Leben hat mich so aus der Bahn geworfen und mich so an die Grenzen meiner physischen und psychischen Belastbarkeit gebracht", sagt Schuligoi rückblickend. Von den Ärzten fühlte sie sich im Stich gelassen, musste unter anderem ignorante und beleidigende Reaktionen ertragen: "Vieles wurde auf die Psyche geschoben - sie meinten, die Sexualität spielt sich im Kopf ab." Unter dem Titel "Frauenkastration" hat Edith Schuligoi ein Buch geschrieben, in dem sie von ihrer eigenen Erfahrung und derer vieler Betroffener erzählt.

Gesprächsbedarf

Das Bedürfnis nach Beratung ist groß. So geben in einer Umfrage aus Deutschland 90,9 Prozent der Menschen an, sie hätten gerne, dass sie ihr Arzt auf ihre sexuelle Gesundheit anspricht, um Präventionstipps zu erhalten. Gleichzeitig befürchten 71 Prozent, dass ihr sexuelles Problem vom Arzt nicht ernst genommen wird. "Es gibt keine Gesprächskultur", sagt Ekkehard Büchler von der "Selbsthilfe Prostatakrebs". Er hat die meiste Zeit seines Lebens mit Krebs verbracht. 1989 wurde bei seiner Frau Brustkrebs diagnostiziert - kurze Zeit später bekam er Prostatakrebs. "Ich hatte einen Hochrisikokrebs und wurde nervenschonend operiert. Trotzdem war es für mich aber unmöglich, eine Erektion zu bekommen. Ich musste eine Potenzspritze nehmen, um eine Erektion zu erreichen."

Sexuelle Gesundheit: Nur wenige Ärzte sprechen sie an
Bragagna
Elia Bragagna kritisiert, dass das Thema sexuelle Gesundheit nicht ausreichend in den Lehrplänen der medizinischen Universitätsausbildung vorgesehen ist. Mehr als 40.000 Ärztinnen und Ärzte arbeiten in Österreich ohne sexualmedizinische Ausbildung. Jene, die es tun, besuchen Fortbildungen in ihrer Freizeit und auf eigene Kosten - zum Beispiel in der"Akademie für Sexuelle Gesundheit" (AfSG). Sie wurde 2009 von Bragagna und Simone Viertler gegründet. 219 Menschen haben bis heute dort Aus- und Fortbildung zum Thema Sexualmedizin gemacht. Ab 2015 will sie die Pforten ihrer Akademie schließen - alle anstehenden Kurse und Veranstaltungen werden noch abgehalten. Bragagna sieht es als einzige Möglichkeit, um Politik und Universität auf die Problematik aufmerksam zu zu machen: "Es kann nicht auf den Schultern von Privatvereinen beruhen, für die Ausbildung zu sorgen." Dafür sollte die Universität zuständig sein. Ihre Forderung: Sexuelle Gesundheit soll Bestandteil des Lehrplans der MedizinerInnen-Ausbildung in allen Fächern an den Medizin-Universitäten sowie Teil der Turnus- & FachärztInnen-Ausbildung werden. Für die Umsetzung dieser Forderung hat die AfSG nun eine Petition gestartet.

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