Risiken verdrängt: "Diabetes wird oft bagatellisiert"

Peter P. Hopfinger (re.) mit Koch Robert Ludwig vom „Edelbeisl Liebstöckl+Co“ in Wien-Grinzing
Welt-Diabetes-Tag: Wer die Krankheit nicht ernst nimmt und einen hohen Blutzucker ignoriert, erhöht sein Risiko für Gefäßschäden deutlich.

Für mich ist es ein stimmigeres Lebensgefühl, wenn ich auf meinen Blutzucker achte. Dann geht es mir besser." Bettina Kauffmann, 47, ist seit 40 Jahren Typ-1-Diabetikern: "Ich habe immer darauf geschaut, dass mein Blutzuckerspiegel stabil ist. Ich habe keine Spätschäden."

Doch viele Diabetiker sind nicht so vorbildlich: "Leider wird Diabetes sehr oft immer noch als Bagatellerkrankung gesehen. Das Risiko für Gefäßschäden wird stark unterschätzt", sagt die Diabetologin Claudia Francesconi, Leiterin des Reha-Zentrums Alland, anlässlich des Welt-Diabetes-Tages am 14. November. Sie hat mit Peter P. Hopfinger, dem Gründer der Internetplattform www.diabetes-austria.com und selbst seit zwanzig Jahren Diabetiker, das neue Buch "Backen und Kochen für Diabetiker" präsentiert.

Risiken verdrängt: "Diabetes wird oft bagatellisiert"
Francesconi Claudia, Diabetologin

"Krankheit nicht fassbar"

"Viele spüren den erhöhten Blutzucker überhaupt nicht und haben kein Krankheitsgefühl, dadurch ist die Krankheit für Patienten oft nicht fassbar. Nach einer Diagnose schieben viele die Erkrankung weit weg."

Für Gefäßschäden an Augen, Nieren und Nerven sind vor allem die erhöhten Blutzuckerwerte verantwortlich, das erhöhte Schlaganfall- und Herzinfarktrisiko wird durch das Zusammenspiel hohem Blutzucker, hohem LDL-Cholesterin und hohem Blutdruck verursacht. "Bei einer gut eingestellten Therapie ist die Wahrscheinlichkeit für solche Folgeschäden aber sehr gering." Wobei eine ausgewogene, nicht zu kalorienreiche Ernährung genauso wichtig ist wie regelmäßige Bewegung. Kauffmann: "Mein Vater hat zu mir als Kind gesagt, ich werde mit dem Diabetes lange leben – weil ich wegen der Erkrankung stark auf meine Ernährung und regelmäßige Bewegung achten muss."

Auf Jugendliche schauen

Ein großes Anliegen sind Francesconi Jugendliche mit Typ-1-Diabetes: "Sie sind in Kinderkliniken gut betreut, häufig bis rund um das 20. Lebensjahr – aber die Übergabe an eine Erwachsenenklinik funktioniert oft nicht. Die Jugendlichen gehen dann der Therapie verloren – und kommen erst zehn bis 15 Jahre mit Spätschäden in die Therapie zurück."

Francesconi organisiert in Alland dreiwöchige Reha-Aufenthalte für Jugendliche ab 16: "Hier gehen wir auf für sie wichtige Themen ein – wie man Sport ohne Unterzuckerung betreiben kann, oder Diabetes und Wechselwirkungen mit Alkohol."

Mindestens 500.000 Menschen in Österreich sind von Diabetes betroffen, der Großteil Typ-2-Diabetes (nachlassende Insulin-Produktion meist über 40), rund zehn Prozent von Typ-1-Diabetes (Zerstörung der insulinproduzierenden Zellen meist unter 40 Jahren). Diabetologe Helmut Brath von der Wiener Gebietskrankenkasse: "Der Diabetes-Tsunami, vor dem Diabetologen gewarnt haben, hat uns bereits erreicht."

Lustvoll essen

Risiken verdrängt: "Diabetes wird oft bagatellisiert"
Diabetes

„Es ist ein altes Denken, wenn man sagt, Diabetiker können nicht lustvoll essen. Das geht sehr wohl. Aber sie sollen sich auch lustvoll bewegen“, sagt Peter P. Hopfinger. „Es gibt keine spezielle Diabetesdiät“, betont auch Prim. Claudia Francesconi, „und es gibt auch keine Verbote“. Auf die Broteinheiten (1 Broteinheit entspricht 12 Gramm Kohlenhydraten) müssen nur Typ-1-Diabetiker und ein kleiner Teil der Typ-2-Diabetiker achten – die vor jeder Mahlzeit Insulin spritzen. „Man kann mit Genuss essen – aber bei Kohlenhydraten, die rasch ins Blut gehen, z.B. Zucker, sollte man nicht über die Stränge schlagen.“

Risiken verdrängt: "Diabetes wird oft bagatellisiert"
Diabetes-Buch

Buchtipp: Francesconi, Hopfinger: „Backen und Kochen für Diabetiker. Genuss ohne Reue – mit bewegten Rezepten“, Hubert Krenn Verlag, 176 Seiten, 19,90 Euro.

Tipp: Das KURIER-Magazin "Diabetes" informiert über alle Aspekte der Erkrankung. Kosten: 7,50 Euro. Bestellen unter: magazin@kurier.at

Ein Rezepttipp: Paprikacremesuppe

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Diabetes-Buch

Nährwerte pro Portion: BE: 1 | Kcal/kJ: 94/393 | EW/g: 3 | F/g: 4 | KH/g: 12.

Zuaten: 400 g rote Paprikaschoten, 1 TL Rapsöl, 20 g Tomatenmark, 
400 ml klare Gemüsesuppe, 20 g Haferflocken, 1 Zwiebel, 20 g Sauerrahm (10 % F.i.Tr.), 
frische Kräuter (z. B. Basilikum, Rosmarin, Thymian), Paprikapulver edelsüß, Salz, Pfeffer
, 1 Schuss Balsamicoessig

Zubereitung: Die Paprikaschoten putzen, Kerne und Trennhäute entfernen und in feine Würfel schneiden. Zwiebel schälen und ebenfalls kleinwürfelig schneiden. Anschließend das Öl erhitzen und die Haferflocken leicht hellbraun anrösten, den Paprika und die Zwiebel hinzugeben und ebenfalls anschwitzen. Mit klarer Gemüsesuppe aufgießen und zugedeckt etwa 15 Minuten kochen lassen.

Anschließend die Suppe gründlich mit einem Mixstab pürieren, bis sie schön cremig ist (evtl. noch etwas Wasser hinzufügen). Zuletzt mit den Gewürzen und den fein gehackten Kräutern pikant abschmecken, mit einem Schuss Balsamico-Essig vollenden.

Vor dem Servieren einen Esslöffel Sauerrahm auf die Suppe setzen.

Diabetiker sollten ihre Blutzuckerwerte möglichst im Normbereich halten. Eine aktuelle Studie zeigt, dass ein 14-Tage-Monitoring-System die Unterzuckerungs-Phase deutlich reduzieren kann. Wissenschaftler, darunter der Salzburger Spezialist Raimund Weitgasser, publizierten ihre Ergebnisse nun in Lancet.

Sensor statt Streifen

Patienten sollten über ihre Blutzuckerwerte Bescheid wissen, das schützt sie vor Unterzuckerung und vor Spätfolgen. Bisher wurden die Werte vor allem über Blutstropfen erhoben. Neue Verfahren drängen auf den Markt. Einen Fortschritt könnten das in der Studie getestete „Freestyle-Libre“-System (Abbott) bringen. Die Patienten kleben dabei am äußeren Oberarm einen Sensor auf. Das System besitzt eine fünf Millimeter lange und 0,4 Millimeter dicke Faser, die beim Aufbringen schmerzlos in das Unterhautgewebe eindringt. Über diese Faser wird der Blutzucker via Gewebsflüssigkeit erfasst.

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„Freestyle-Libre“-System (Abbott) Diabetes Blutzuckermessgerät

Fährt der Patient mit einem kleinen Lesegerät mit Bildschirm über den Sensor, wird der aktuelle Blutzuckerwert eingespielt. Da die Messeinheit auf jeden Fall alle 15 Minuten einen Test durchführt, wird gleichzeitig ein Profil über die vergangenen acht Stunden angezeigt. Damit kann der Diabetiker erkennen, ob der Wert ansteigt oder vielleicht stärker abfällt. Das Sensor-Modul wird 14 Tage getragen und dann entsorgt.

Vergleichsstudie

In der Studie wurde nun die Auswirkung der Verwendung des Systems im Vergleich zu den Blutzucker-Messtreifen-Verfahren untersucht. 241 Typ-1-Diabetiker mit einer guten Blutzuckerkontrolle und einem HbA1c-Wert (mittelfristige Blutzuckereinstellung) von 6,7 Prozent wendeten sechs Monate lang zur Hälfte entweder nur das neue Verfahren oder weiterhin die Messung über die Teststreifchen an. Die Ergebnisse zeigten: In der Gruppe Patienten, die das Freestyle-Libre-System verwendete sank die tägliche Zeit mit Anzeichen von Unterzuckerung im Durchschnitt von 3,38 Stunden auf 2,03 Stunden. Das war eine Reduktion um 38 Prozent. In der Kontrollgruppe kam es nur zu einem Rückgang von 3,44 Stunden auf 3,27 Stunden.

Unterzuckerung

Im Falle einer Hypoglykämie müssten Diabetiker möglichst schnell Zucker zu sich nehmen - das kann bis hin zu Infusionen gehen. Bei schwerer Unterzuckerung ist oft die Behandlungen Notfallambulanzen von Spitälern notwendig. Weltweit sind etwa 415 Millionen Menschen an Diabetes erkrankt. 2015 gab es fünf Millionen Todesfälle wegen Diabetes. Bis zum Jahr 2040 rechnen Fachleute mit mehr als 640 Millionen Menschen mit Diabetes.

Jedes Jahr erblinden in Österreich rund 200 Menschen als Folge des Diabetes mellitus. Jede/r dritte an Diabetes Erkrankte leidet infolge der Erkrankung an Netzhautveränderungen. Die meisten Betroffenen stehen mitten im Berufsleben und sind durch eine Sehbeeinträchtigung aufgrund von Diabetes in Ihrer Erwerbstätigkeit und Lebensqualität massiv eingeschränkt.

Es ist wichtig zu wissen, dass man diese Sehverschlechterung verhindern und behandeln kann, so die Gesellschaft der Österreichischen Augenärztinnen und Augenärzte (ÖOG) anlässlich des Welt-Diabetestags am 14. November, dessen Motto heuer „Augen auf den Diabetes“ lautet. Um Gefäßveränderungen der Netzhaut oder eine Schwellung der Netzhautmitte zu behandeln, stehen viele neue Medikamente zur Verfügung.

Scharfes Sehen erhalten

Neueste groß angelegte internationale Studien zeigen, dass es in vielen Fällen zur bisher häufig verwendeten Laserbehandlung der Netzhaut auch eine medikamentöse Behandlungsalternative gibt. Diese schont das Netzhautgewebe und ermöglicht es dadurch, ein scharfes Sehen über Jahre zu erhalten.

Auch hier gilt: Vorsorge ist die beste Therapie. Diabetikerinnen und Diabetikern sollten ihre Augen jährlich beim niedergelassenen Augenarzt kontrollieren lassen. Wenn eine Behandlung erforderlich ist, wird dann zu den darauf spezialisierten Zentren weiterüberwiesen.

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