Länger fruchtbar: Kann ein Anti-Aging-Mittel die biologische Uhr ausbremsen?
Es sind nur erste Ergebnisse aus einer noch laufenden Studie. Doch sie schlagen international Wellen. Die Rede ist von Forschungen zu Rapamycin. Beforscht wird das Anti-Aging-Mittel schon seit geraumer Zeit. Es soll den altersbedingten Verfall des Körpers bremsen, Immunsystem und Organe regelrecht wiederbeleben können.
Forschende der renommierten Columbia University bescheinigen der Substanz nun förderliche Wirkungen auf die weibliche Fruchtbarkeit. Beteiligte Reproduktionsmediziner sprechen gar von einem "wahr gewordenen Traum".
Der Eifer fußt auf Daten von 34 Frauen unter 35 Jahren – Teilnehmerinnen der sogenannten Vibrant-Studie. Erste Analysen würden belegen, dass Rapamycin die Alterung der Eierstöcke um 20 Prozent verringert, heißt es. Ohne Nebenwirkungen zu verursachen. Im Gegenteil: Bei den Probandinnen verbesserte sich auch der allgemeine Gesundheitszustand ebenso wie Gedächtnisleistung, Energieniveau und Qualität von Haut und Haaren.
"Die Ergebnisse sind sehr, sehr aufregend"
Mitautorin, Genetikerin und Reproduktionsmedizinerin Yousin Suh zeigt sich im Interview mit dem Guardian entsprechend begeistert: "Die Ergebnisse sind sehr, sehr aufregend." Sie seien wie "ein Traum, der wahr geworden ist". Rapamycin einzusetzen, um die Menopause nach hinten zu verschieben, rücke in greifbare Nähe, sagt Suh, die zuversichtlich ist, dass die Ergebnisse einer Vergrößerung der Stichprobe standhalten. Angestrebt wird eine Zahl von mehr 1.000 Frauen.
Der Fruchtbarkeitsexperte Andreas Obruca, Leiter des Kinderwunschzentrums an der Wien, beäugt die Schlussfolgerungen mit Skepsis: "Eine Substanz, die die Fruchtbarkeit verlängern und auch noch zu einem vitaleren Leben verhelfen soll – das stimmt mich doch etwas misstrauisch." Dass Rapamycin bei Frauen gewisse förderliche Wirkungen haben kann, sei nicht ganz von der Hand zu weisen.
Obruca führt etwa eine Studie ins Treffen, bei der die – meist beeinträchtigte – Qualität der Eizellen bei Endometriose-Patientinnen verbessert werden konnte. Um von einem Durchbruch in der Reproduktionsmedizin zu sprechen, sei es zu früh: "Viele Substanzen, die als Geheimtipp gehypt werden, halten am Ende nicht, was sie versprechen."
Rapamycin treibt Selbstreinigung der Zellen an
"Die Ergebnisse klingen zumindest vielversprechend", sagt unterdessen Molekularbiologin Corina Madreiter-Sokolowski, die an der Medizinischen Universität Graz Alterungsprozesse erforscht. Mausstudien aus den vergangenen Jahren hätten die Hoffnung genährt, dass sich Rapamycin auch positiv auf die Fruchtbarkeit beim Menschen auswirkt.
"Wir wissen, dass Rapamycin in höherer Dosierung den Zellzyklus hemmt, was dazu führt, dass manche Immunzellen sich nicht mehr richtig vermehren können und weniger entzündungsfördernde Stoffe abgegeben werden", erklärt sie. Wegen seiner immundämpfenden Wirkung kommt der Wirkstoff bei Organtransplantationen zum Einsatz, um eine Abstoßung des Fremdgewebes zu verhindern.
"Bei geringerer Dosierung ist Rapamycin in der Lage, die Selbstreinigung der Zellen anzutreiben", präzisiert Madreiter-Sokolowski den Anti-Aging Effekt. "Alte, geschädigte Zellen geben vermehrt Entzündungsmediatoren ab, wodurch sie jüngere, gesunde Zelle schädigen. Rapamycin kann dem entgegenwirken." Zudem unterstützt Rapamycin die Kraftwerke der Zellen, die Mitochondrien. Dadurch entstehen weniger Sauerstoffradikale, wodurch die genetische Stabilität der Zellen länger gesichert werden kann.
Verlust von Follikeln vorbeugen
Doch was genau bewirkte die Gabe des angeblichen Wundermittels bei den untersuchten Frauen? Dazu muss man verstehen, wie Eizellen im weiblichen Körper reifen. Rapamycin dürfte einen Effekt auf die ruhenden Follikel, jene Bläschen im Inneren der Eierstöcke, in denen die Eizellen heranreifen, haben.
"Schon bei der Geburt sind diese Follikel im Körper einer Frau in einer gewissen Zahl, es sind rund eine Million, angelegt", sagt Obruca. "Ab der Pubertät werden sie, ausgelöst durch den Hormonwandel, rekrutiert – reifen heran und geben die Eizellen frei." Die Eierstöcke geben infolge kontinuierlich Eizellen ab: Frauen verlieren jeden Monat rund zehn bis 20, von denen nur eine den Eisprung erreicht. In der Studie bremste eine kleine (5 Milligramm), wöchentliche Dosis Rapamycin die Eierstöcke, sodass sie laut Guardian deutlich weniger Eizellen pro Monat abgaben.
Allerdings spielt nicht nur die Quantität, also die Zahl der verfügbaren Eizellen, eine Rolle, betont Obruca. "Dass Frauen länger fruchtbar sind, wenn weniger Eizellen verbraucht werden, stimmt nur bedingt." Denn die Eizellen sind in den Eierstöcken auch Alterungsprozessen unterworfen. So sind etwa schon im Alter von 35 Jahren 50 Prozent der vorhandenen Eizelle defekt. "Selbst wenn man die Zahl der Eizellen bis in höhere Alter auf hohem Niveau bewahren könnte, hilft das nicht automatisch, bei an sich gesunden Frauen die Fruchtbarkeit zu prolongieren, weil die Eizellen nicht mehr die entsprechende Qualität besitzen."
Zudem sei es fraglich, ob man "junge Frauen dazu motivieren wird können, ein Medikament zu schlucken, um in 20 Jahren vielleicht noch fruchtbar zu sein – ohne Langzeitfolgen zu kennen".
Rapamycin gilt als vielversprechende Anti-Aging-Substanz. Benannt ist Rapamycin nach "Rapa Nui", der einheimischen Übersetzung für die südpazifischen Osterinseln, wo der Wirkstoff als Stoffwechselprodukt von Bakterien im Boden gefunden wurde.
Gebärende Frauen werden in Österreich immer älter. Im Jahr 2022 waren Mütter hierzulande laut Statistik Austria bei der Geburt ihres Kindes durchschnittlich 31,5 Jahre alt. 1992 lag dieses Alter noch bei 27,2 Jahren. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich das Durchschnittsalter der Frauen, die zum ersten Mal Mutter wurden, von 25,3 auf 30,3 Jahre.
Im Rahmen der Vibrant-Studie, Vibrant steht als Akronym für „Validating Benefits of Rapamycin for Reproductive Aging Treatment“ (Nachweis des Nutzens von Rapamycin für die Behandlung der Reproduktionsalterung), versuchen Fachleute herauszufinden, ob Rapamycin die Alterung der Eierstöcke verlangsamen und dadurch die Menopause hinauszögern, die Fruchtbarkeit verlängern und das Risiko altersbedingter Krankheiten verringern kann.
Viele offene Fragen
Neben der Frage der Dosis und des Timings – in Tierversuchen hat sich eine einmalige Gabe von Rapamycin insbesondere bei Mäusen mit deutlich abgebauter Eizellreserve als potent erwiesen – gelte es laut Madreiter-Sokolowski die Zielgruppe mit Bedacht zu wählen. "Sinnvoll würde mir eine Behandlung etwa bei Frauen, die genetisch zu einer verfrühten Menopause neigen oder wegen einer Chemotherapie womöglich Schäden an ihrer Eizellreserve erfahren, erscheinen."
Offene Fragen, die auch das Team der Columbia University nicht abstreitet: Ob Rapamycin beim Menschen tatsächlich auch die Güte der Eizellen bewahren kann, sei beispielsweise unklar. An ihrer Vision hält Spezialistin Suh dennoch fest: "Wir stellen uns vor, dass Frauen ab 30 einfach ihren Hausarzt aufsuchen können, wenn sie sich mehr Freiheit bei der Entscheidung wünschen, wann sie ein Kind bekommen."
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