Warum Macht den Menschen zu Kopf steigt

Archivbild zeigt den Dresdner Figurenbauer Peter Ardelt, der in seiner Werkstatt ein zwölffach vergrößertes, anatomisch detailgetreues Gehirn komplettiert, das anlässlich eines neurowissenschaftlichen Kongresses Ende Juni 1998 erstmals im Deutschen Hygiene-Museum der Elbestadt präsentiert wurde (Archivbild). dpa (zu dpa-Themenpaket: "Wir sind nicht Herr unseres Hirns: Der freie Wille ist eine Illusion" am 29.05.2000)
Denn Erfolge verändern die Biochemie des menschlichen Gehirns. Forscher enträtseln, was Sieger-Typen ausmacht.

Als die Zeiten noch besser waren, regierte das Testosteron. Zumindest an der Londoner Börse. Dort baten Forscher von der Universität Cambridge Börsenmakler zum Bluttest, um ihren Testosteron-Pegel zu messen. Testosteron erhöht Hartnäckigkeit, Ausdauer und Risikobereitschaft. Gleichzeitig verringert es die Angst vor Unbekanntem. Und siehe da: Je höher der Testosteron-Wert, desto erfolgreicher agierten Börsianer. Mit dem Hormonspiegel steigen auch die Gewinne. Gut möglich, dass derart gepushte Männer dann noch erfolgreicher agieren.

Irgendwer wird sich auch heute Abend wie im Rausch fühlen, so als hätte ihm jemand eine Glücksdroge verabreicht. Der Sieger der Nationalratswahl – wer es auch sein mag – wird einen Hormonschub bekommen. „Erfolge verändern die Biochemie des menschlichen Gehirns“, sagt der britische Gehirnforscher Ian Robertson, der in seinem neuen Buch „Macht“ die aktuellen Erkenntnisse der Wissenschaft zum Gewinner-Effekt zusammengetragen hat. „Erfolg macht uns konzentrierter, klüger, selbstbewusster und aggressiver. Und: Je häufiger man gewonnen hat, desto häufiger wird man weiterhin gewinnen.“ Die Forschung ist dem inneren Antrieb bei Mäusen, Menschen, Machthabern auf der Spur:

Ist Macht männlich?

Nicht unbedingt. Shira Keshet von der israelischen ar-Ilan University hat herausgefunden, dass Frauen, die Macht gewinnen, sich in ihrem Verhalten eher Männern angleichen. „Im Durchschnitt haben Frauen kein geringeres Machtbedürfnis als Männer“, ergänzt Hirnforscher Robertson. In der Wahrnehmung von Macht unterscheiden sie sich aber sehr: „Männer erinnern sich bei mächtigen Menschen an mehr Fakten als bei weniger mächtigen, während Frauen dieses selektive Gedächtnis nicht zeigen.“

Macht Macht attraktiv und sexy?

Nun jedenfalls macht Attraktivität mitunter mächtig. Angegraute werden sich erinnern: 1960 trat John F. Kennedy im ersten TV-Duell der Geschichte gegen Richard Nixon an. Die Fernsehzuschauer waren vom smarten Kennedy begeistert. Radiohörer fanden Nixon besser. Und ja: Eine Umfrage aus 2005 hat ergeben, dass die überwältigende Mehrheit der weltweit mächtigsten Geschäftsführer hochgewachsen, männlich und weiß ist.

Und noch eine Studie: Menschen mit ausgeprägtem Machthunger haben öfter Sex als weniger Machthungrige und machen auch schneller Karriere. Das liegt daran, dass sowohl Macht als auch Sex einen Anstieg des Hormons Testosteron bedingen, das wiederum das Belohnungsnetzwerk des Gehirns aktiviert – und das will daraufhin immer mehr vom Dopamin, das bei Glücksgefühlen ausgeschüttet wird. „Macht ist ein Aphrodisiakum, manchmal verlieren Politiker sogar völlig die Kontrolle“, bestätigt Neurowissenschaftler Robertson.

Macht Macht egozentrisch?

Der britische Ex-Außenminister und Neurologe David Owen hat die Theorie des „Hybris-Syndroms“ entwickelt (eine Persönlichkeitsstörung, die Mächtige heimsucht, die zu lange im Amt sind). Margaret Thatcher und Tony Blair zeigten Symptome des Syndroms: Narzisstische Selbstbezogenheit; die Tendenz, die Interessen des Landes mit den eigenen als identisch zu sehen und sich eher Gott verantwortlich zu fühlen als einer irdischen Institution, weiters Realitätsverlust und zunehmende Isolation.

„Man kann Machterfahrung als einen Vorgang beschreiben, bei dem jemand einem den Schädel öffnet und den Teil herausnimmt, der besonders wichtig für Empathie und sozial angemessenes Verhalten ist“, sagt der US-Psychologieprofessor Dacher Keltner.

Macht Macht einsam?

Ja. Im Vorjahr haben Psychologen der London Business School Gründe für die Einsamkeit Mächtiger identifiziert: Macht zerstört auf Dauer die Fähigkeit, anderen zu vertrauen, und fördert den Zynismus. Sie verändert die Einstellung gegenüber anderer Leute Großzügigkeit. Und sie schädigt Beziehungen in dem Moment, in dem sie das größte Potenzial hätten, sich zu entwickeln.

Macht Machtlosigkeit depressiv?

Möglicherweise. Im Affen-Experiment haben Verhaltensforscher festgestellt, dass rangniedrigere Männchen in Stress verfallen, wenn ihnen das Alphamännchen zu nahe kommt. Die Folge: Ein Cortisol-Schub. Chronisch hohe Dosen des Stresshormons schwächen das Immunsystem und lassen bestimmte Hirnareale schrumpfen. Dies kann zu Apathie und Depression führen.

Bleibt nur die Frage, ob aus Sicht der Wissenschaftler Macht und Machtlosigkeit überwunden werden können? „Machthaber brauchten langfristig immer die Zustimmung der Machtunterworfenen“, schreibt Robertson. Und weiter: „Macht funktioniert nur, wenn es die Möglichkeit gibt, den Machthaber zu entmachten.“ Voraussetzung: Menschen, die das Gefühl haben, ihr Leben unter Kontrolle zu haben – wie stark, lässt sich mit psychologischen Tests untersuchen. Sie seien diejenigen, die in der Gegenwart von Mächtigen weniger eingeschüchtert sind. Und es seien wohl diese Menschen, die den Mächtigen irgendwann gefährlich werden können.

KURIER: Frau Bauer-Jelinek, wie definieren Sie Macht?

Bauer-Jelinek: Macht ist das Vermögen, einen Willen gegen einen Widerstand durchzusetzen. Macht ist also immer dann ein Thema, wenn es Interessenskonflikte gibt. Die Quellen der Macht sind Geld, Muskelkraft, die richtige Herkunft, Wissen, Funktionen, Kontakte...

Wie ist es mit dem Aussehen?

Ach, das würde ich mit der Muskelkraft gleichsetzen.

Macht Macht attraktiv?

Männer schon. Ämter, Karrieren, Positionen, Geld sind für Frauen ein ganz starkes Zeichen, dass es hier um Wohlstand geht. Umgekehrt finden Männer das bei Frauen nicht so attraktiv. Eine erfolgreiche Frau, die ihre Statussymbole zeigt und das dementsprechend toughe Verhalten an den Tag legt, ist vordergründig sexuell nicht attraktiv.

Verändert Macht Menschen?

Macht verdirbt den Charakter nicht, sie bringt ihn zu Tage. Man kann leicht gut sein, wenn man keine Chance hat, schlecht zu sein.

Haben Politiker tatsächlich Macht?

Natürlich. Sie haben Funktionsmacht, können Gesetze beschließen. Sie haben aber oft sehr wenig persönliche Macht.

Da sind wir bei einem wichtigen Punkt – den Grenzen der Macht.

Stimmt. Der Mensch neigt dazu, zu glauben, weil er in einem bestimmten Bereich Macht hat, dass sich das über alle Lebensbereiche ausdehnt – ein Irrtum.

Wie ist es mit der angeblichen Einsamkeit der Mächtigen?

Funktionsmacht macht definitiv einsam, weil es immer weniger Menschen gibt, denen man vertrauen kann. Und weil der Mensch, dem man gerade vertraut, am nächsten Tag der Konkurrent sein kann. Man muss sehr, sehr vorsichtig sein, wem man Vertrauen schenkt.

Von Macht zu Missbrauch ist es nur eine kurze Spanne. Es gibt ja die These, dass Macht unbedingt kontrolliert werden muss. Wie stehen Sie dazu?Macht muss kontrolliert werden und wird auch kontrolliert. Auch Tausendjährige Reiche haben letztlich nur 13 Jahre gedauert. Das Gute: Jede Macht entwickelt ihre Gegenmacht. Und je stärker die Unterdrückung ist, desto stärker formt sich der Widerstand.

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