Ist Leben ohne Krankheit möglich?
High Heels erhöhen das Risiko für Krebs oder Alzheimer, das sonntägliche Ausschlafen fördert Stress und damit die Entstehung späterer Krankheiten. Und die Längenverhältnisse von Ring- und Zeigefinger weisen auf ein Arthrose- oder gar Prostatakrebsrisiko hin.
Mit solchen Thesen hat der bekannte US-amerikanische Onkologe David B. Agus, 48, unter dem Titel „The End of Illness“ (Das Ende von Krankheit) einen Bestseller geschrieben. Angeblich stammt der Titel von einem seiner bekanntesten Patienten – dem 2012 an Bauchspeicheldrüsenkrebs verstorbenen Apple-Gründer Steve Jobs. In vielen positiven Kritiken auf das Buch ist von einem „radikal neuen Denken über Gesundheit“ die Rede.
Provokant
Auf Deutsch entschied man sich zwar für den etwas weniger polarisierenden Titel „Leben ohne Krankheit“. Seine unkonventionellen, teilweise sogar provokanten Empfehlungen sorgen aber auch hierzulande für Kontroversen. Das Urteil der Onkologin Univ.-Prof. Gabriela Kornek, stv. Leiterin der Wiener Uni-Klinik für Innere Medizin I, ist zwiespältig. „Er bringt durchaus auch einige vernünftige Dinge, etwa den Fokus auf Prävention.“
Ein Beispiel: Für Agus entstehen viele Krankheiten durch unbemerkte chronische Entzündungen im ganzen Körper. Durch gesunden Lebensstil mit ausgewogener Ernährung, Entspannung und Bewegung sei manches abwendbar, betont Kornek: „Wir wissen schon länger, dass ständige Reize durch Überbeanspruchungen solche Entzündungen fördern, die Zellerneuerung behindern und so zur Entartung von Zellen führen.“ Dass dies unter anderem durch das Tragen von High Heels ausgelöst wird, hält sie „für sehr weit hergeholt. Dafür gibt es gar keine Beweise.“
Amerikanisch
Auch die anderen Konzepte im Buch des US-Onkologen lesen sich gut, manchmal typisch amerikanisch. „Aber für die Praxis scheint mir einiges nicht durchdacht zu sein. Er vermischt alle möglichen Krankheiten.“
Am amerikanischsten ist „Leben ohne Krankheit“ vielleicht dann, wenn David B. Agus über die Vorteile von Gentests als Krankheitsprävention schreibt. Kornek fragt hingegen nach dem Nutzen: „Wenn man solche Tests anbietet, muss man auch eine Therapie anbieten können.“ Und die gibt es, außer bei wenigen Krebsarten wie erblicher Brust- oder Darmkrebs, derzeit nicht.
Bewusstsein wecken: Ja. Eigentherapie auf Basis einer Lektüre: Nein. Das rät die Onkologin Univ.-Prof. Gabriela Kornek lesefreudigen Gesundheitsbewussten. Wenn Bücher von einem bekannten Arzt wie David B. Agus’ „Leben ohne Krankheit“ fundiert und gut geschrieben daherkommen, „halten es die Leute für eine ärztliche Empfehlung. Aber das Lesen ersetzt nicht den Arzt“. Aus allen gesammelten Informationen ergebe sich letztendlich erst die persönliche Handlungsgrundlage.
Er plädiert etwa für Ganzkörper-Scans durch Computertomografien, um Veränderungen im Körper möglichst früh zu erkennen. Kornek: „Das ist immer nur eine Momentaufnahme. Die Konsequenz wäre, sich jedes halbe Jahr in den Computertomografen zu legen. Eine Studie zeigt aber, dass das die Krebsanfälligkeit erhöhen kann.“ Prävention schaue anders aus: „Wir empfehlen Rauchern ja auch nicht eine Computertomografie, sondern den Rauch-Stopp. Das ist eine wirkliche Vorsorge.“
Am Sonntag auszuschlafen bringe den Körper aus dem Rhythmus – und setze ihn unter Stress, sagt Agus. Deshalb rät er, auch am Wochenende früher aufzustehen. Kornek: „Das ist keinesfalls bewiesen. Ausschlafen würde ich niemandem verbieten, denn Überforderung durch zu wenig Schlaf unter der Woche ist ebenso schlecht.“
Wo sich die beiden Mediziner allerdings treffen: Vitamine als Nahrungsergänzung bringen nichts. „Etwa Vitamin C kann in sehr hohen Dosen schädigend wirken.“
Kommentare