Böser Gehilfe: Darf man Kindern den Krampus noch zumuten?
Zottelfell, lange Zunge, spitze Hörner, eine angsteinflößende Fratze. Dazu lärmende Rasseln, Glocken oder Schellen – eine Rute zum Peitschen. Die schaurige Optik des Krampus – oder Bartl, wie der furchterregende Begleiter des Nikolaus in manchen Teilen des Landes auch genannt wird – ist wohlbekannt.
Weniger geläufig dürfte die Funktion der Krampus-Kraxn – einem auf dem Rücken befestigten Korbbehälter – sein. Der Sage nach landen darin die unartigen Kinder, die der Krampus heimsucht.
Bestrafende Gestalt auf dem Abstellgleis
An diesem Narrativ entzündet sich schon seit Längerem Kritik.
Von vielen Eltern, aber auch von Psychologen und Pädagoginnen, wird der Krampus als strafende Gestalt zunehmend abgelehnt. Ein KURIER-Rundruf unter Nikolo-Vermittlungsagenturen zeigte bereits vor einigen Jahren, dass der Krampus als wildes Beiwagerl kaum noch nachgefragt wird.
In manchen Familien ist es nach wie vor Tradition, dass Nikolaus und Krampus – meist am 6. Dezember – gemeinsam einkehren. Als maßregelnde Gestalt ist der Krampus laut Jolana Wagner-Skacel von der Klinischen Abteilung für medizinische Psychologie, Psychosomatik und Psychotherapie der Med Uni Graz aber nicht mehr zeitgemäß. "Kindern zu drohen, dass der Krampus sie holt, wenn sie nicht brav sind, ist sicherlich nicht angebracht", betont die Expertin.
Als Erziehungsmaßnahme sollten Besuche des grimmigen Gesellen keinesfalls eingesetzt werden. "Natürlich brauchen Kinder einen erzieherischen Rahmen für ihr Verhalten, aber nicht in Form von Drohungen und Bestrafungen", erklärt Wagner-Skacel.
Emotionale Kompetenzen trainieren
Davon, den Krampus völlig aus der Erlebniswelt von Kindern zu verbannen, rät sie dennoch ab. Denn: Auch negative Emotionen, wie etwa Angst, sollten im Leben von Kindern Platz haben dürfen. "Gut und Böse sollen nebeneinander existieren – in Märchen, beim Nikolo-Brauch und auch im echten Leben", sagt die Psychiaterin. "Wir können uns nicht nur auf die positiven Affekte stürzen. Es gibt eine ganze Bandbreite an Emotionen, die Kinder – begleitet von Erwachsenen – durchleben sollten, um ein differenziertes Gefühlsspektrum zu entwickeln."
Wichtig sei, dass Kinder mit unangenehmen Gefühlen wie Furcht, aber auch Ärger und Aggression beispielsweise, nicht allein gelassen werden. Es sei Aufgabe enger Bezugspersonen, diese Gefühle "mit den Kindern einzuordnen, sie zu verdauen, aber eben nicht zu verleugnen, dass es sie gibt".
Auch der Heilige Nikolaus wird als pädagogische Instanz instrumentalisiert. Freilich in eine andere Richtung: Folgsames Verhalten soll durch positive Verstärkung in Form von Geschenken angeregt werden. Wagner-Skacel sieht den Ansatz zwiegespalten: "Die Figur des Nikolos ist historisch eine gute, wohltätige. Insofern ist es in Ordnung, sich auf diese Charakterisierung zu besinnen."
Allerdings sollte man die Zahl der Geschenke oder Zuwendungen nicht an die Bravheit des Kindes koppeln. "Sondern ihnen einfach die Adventzeit damit verschönern."
Die frühesten Aufzeichnungen über dem Krampus stammen aus dem 16. Jahrhundert. Schon damals traten Kramperl nicht nur als wilde Gesellen des Nikolos auf, sondern sausten in Scharen herum und trieben in den Gassen ihr Unwesen.
Die Bezeichnung "Krampus" ist mit seinem Äußeren verknüpft: Im Mittelhochdeutschen heißt Krampe so viel wie Kralle und in alten Darstellungen des Teufels hatte dieser, anders als auf neueren Bildnissen, keine Hufe, sondern Krallen wie ein Vogel. Die Kette, mit der der Krampus gern furchterregend rasselt, erinnert an den gefallenen und in der Hölle angeketteten Engel Luzifer.
Der Nikolaus, der als alter Mann in Bischofskleid und -stab dargestellt wird, geht auf jenen Nikolaus zurück, der im 4. Jahrhundert als Bischof von Myra in der heutigen Türkei lebte. Arme und Schutzbedürftige sollen ihm ein besonderes Anliegen gewesen sein. Der Überlieferung nach geht der Krampus als das personifizierte Böse mit dem guten Nikolaus mit. Während er die braven Kinder belohnt und beschenkt, werden die unartigen vom Krampus bestraft.
Ab dem 18. Jahrhundert kam der Nikolaus als verkleidete Figur zusammen mit dem Krampus zu Kindern nach Hause und bis ins 20. Jahrhundert kehrten sie auch in heimische Kindergärten und Schulen ein. In den Achtzigerjahren verstärkte sich die Faszination am Krampuslaufen.
In diesem Zusammenhang ist häufig von Perchten bzw. Perchtenläufen die Rede. Streng genommen ist der Percht aber kein Krampus. Perchten vertreiben als mystische Maskengestalten dem Volksglauben nach in den winterlichen Raunächten (Nächte vor und nach dem Jahreswechsel) böse Geister. Aufgrund ihrer äußerlichen Ähnlichkeit wurden die beiden Figuren über die vergangenen Jahrzehnte vermischt.
Mit dem ursprünglichen Brauchtum haben sie heute nur mehr wenig zu tun. Vielmehr werden oft Aggressionen ausgelebt – und so gibt es alle Jahre wieder auch Berichte von Eskalationen und Verletzten.
Bräuche für ein schönes Miteinander
Der Advent ist typischerweise von vielen Brauchtümern durchzogen. Eine gute Sache, findet Wagner-Skacel: „Das Miteinander zu erleben ist für Kinder immer schön. Es prägt ihre Empathie und Fähigkeiten im sozialen Zusammensein.“ Routinen seien für Heranwachsende wichtig. "Das umfasst nicht nur Tagesabläufe, sondern auch den Jahreszyklus und seine Rituale, Feste und Feiern."
Sollte der Krampus in den kommenden Tagen der Familie tatsächlich einen Besuch abstatten, rät Wagner-Skacel Eltern zu Feingefühl. "Man sollte mit Kindern behutsam vorbesprechen, dass der Krampus sie nicht holt, sondern der wilde Begleiter des Nikolaus ist, der böse Geister vertreibt." In der unmittelbaren Situation sollten Mütter und Väter auf die Signale des Kindes und darauf, was es gerade durchlebt, achten und eingreifen, wenn Angstgefühle überhandnehmen.
Wichtige Lehren fürs Leben
Im Kontakt mit dem Krampus, aber auch beim Lesen gruseliger Geschichten, erleben Kinder oft eine sogenannte Angstlust, sprich einen Lustgewinn am Fürchten. "Das kennen auch wir Erwachsene von Horrorfilmen", sagt Wagner-Skacel.
In Summe könne Krampus als gruselige Gestalt auch gute Dienste leisten, wenn es darum geht, Kindern einen gesunden Umgang mit ihren Ängsten beizubringen. "Wir können auch aus Geschichten nicht den bösen Wolf herausstreichen, weil sonst schlicht etwas fehlen würde."
Am Ende gelte es die Hoffnung zu nähren, dass das Gute gewinnt. "So sollte es dann auch beim Besuch von Nikolo und Krampus sein."
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