Neuer Wirkstoff: Viel essen und trotzdem abnehmen
Eine Pille gegen starkes Übergewicht – bzw. gegen die krankmachenden Folgen: Das könnte am Ende vielversprechender Forschungen der Uni Graz und der TU Graz stehen. Denn die Wissenschaftler entwickeln einen Wirkstoff zur Behandlung von Fettleibigkeit und deren Folgeerkrankungen: Trotz fett- und zuckerreicher Ernährung wurden Mäuse nicht übergewichtig. Bereits stark übergewichtige Mäuse mit Fettleber und Typ-2-Diabetes nahmen ab, die Krankheiten bildeten sich zurück. Die Forschungsergebnisse der Arbeitsgruppen von Rudolf Zechner, Robert Zimmermann, beide Uni Graz, und Rolf Breinbauer von der TU Graz wurden nun im renommierten Fachmagazin Nature Communications veröffentlicht.
Blutzuckeraufnahme wird behindert
Aus dem gespeicherten Fett des Fettgewebes werden bei jedem Menschen Fettsäuren freigesetzt, die ins Blut gehen. "Bei schlanken Menschen sind sie die Energielieferante z. B. für Muskeln, Leber und Gehirn", sagt Priv.-Doz. Martina Schweiger, Erstautorin der Studie. Aber bei Übergewichtigen führt ein Zuviel an Fettsäuren im Blut dazu, dass dieses Fett einerseits in Organen (z.B. Herz oder Leber) gespeichert wird – es kommt zur Gefäßverkalkung oder zur Fettleber. Und gleichzeitig wird die Aufnahme des Blutzuckers mit Hilfe von Insulin in die Muskelzellen verhindert – Insulinresistenz und Typ-2-Diabetes sind die Folge, ebenso Arteriosklerose.
Die Uni Graz und die TU Graz haben seit zwei Jahren ein Patent auf ein synthetisch erzeugtes Molekül namens Atglistatin: Es hemmt ein Enzym (ATGL), das die Fettsäuren ins Blut bringt. Die Ergebnisse bei den Mäusen sind verblüffend: Schlanke Mäuse wurden trotz fett- und zuckerreicher Nahrung nicht dick, bekamen keine Fettleber und keine Insulinresistenz. "Und dicke Mäuse, die schon Diabetes oder eine Fettleber hatten, haben abgenommen und sind ihre Krankheiten wieder los geworden." Ohne Nebenwirkung.
Langer Weg
Chemiker der TU Graz arbeiten bereits daran, dieses Molekül so zu verändern, dass es auch beim Menschen wirkt – bevor allerdings erste Studien mit Menschen angedacht werden können, sind noch weitere Versuche mit Zellkulturen und Mäusen notwendig. "Bis zu einem zugelassenen Medikament für den Menschen ist es ein langer Weg, der mindestens fünf bis zehn Jahre dauern wird", sagt Schweiger. "Theoretisch wäre denkbar, dass es einmal eine Tablette gibt, die man einnimmt und dann essen kann was man will, ohne zuzunehmen." Realistischer als Zielgruppe seien aber fettleibige Menschen sein, die entweder bereits an Diabetes erkrankt sind, oder die Erkrankung verhindern wollen.
Wenig Erfolg mit den bisherigen Abnehmpillen
Schlankheitspillen waren bisher nicht der durchschlagende Erfolg: Von den drei wichtigsten Wirkstoffen ist nur mehr einer übrig – Orlistat („Xenical“). Er verringert – ohne den Appetit zu drosseln – die Aufnahme von Fett aus dem Darm. Allerdings kann es zu Durchfällen kommen. Bei einem Teil der Patienten ist eine Reduktion des Körpergewichts von bis zu zehn Prozent möglich.
Appetitzügler mit dem Wirkstoff Sibutramin („Reductil“) sind nicht mehr im Handel. Bei übergewichtigen Personen, die schon Risikofaktoren wie hohen Blutdruck hatten, war das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall erhöht. Gleichzeitig war aber die Gewichtsabnahme nicht so groß, als dass der Nutzen die Risiken überwogen hätte.
Risiko an Depressionen
Vom Markt genommen wurde auch der Wirkstoff Rimonabant („Acomplia“), der im Gehirn Hungergefühle unterdrückt – allerdings das Depressionsrisiko steigert.
Generell warnen Behörden immer wieder vor nicht zugelassenen Schlankheitspillen aus dem Internet – die häufig verbotene oder nicht mehr zugelassene Wirkstoffe wie Sibutramin enthalten.
Einem Teil der stark übergewichtigen Menschen hilft die Adipositaschirurgie, zum Beispiel ein Magenbypass. Ein verkleinerter Magen und dadurch bedingte hormonelle Änderungen drosseln das Hungergefühl.
„Der Zuckergehalt ist in fast der Hälfte der Getränke im Handel noch zu hoch“ – darauf weisen das vorsorgemedizinische Institut Sipcan und die Österreichische Diabetes-Gesellschaft hin. Von der Industrie werden „konkrete Maßnahmen“ gefordert, den Zuckergehalt in Getränken weiter zu senken.
„Ich verstehe den derzeitigen Hype um den Zucker nicht“, sagt der Ernährungswissenschafter Univ.-Prof. Jürgen König vom Department für Ernährungswissenschaften der Uni Wien. „Es ist der hohe Körperfettanteil, der zur Insulinresistenz und zu Typ-2-Diabetes führt – aber letztlich ist es egal, woher dieses Zuviel an Energie kommt, ob von Fett oder Zucker. Wir nehmen im Durchschnitt einfach zu viel Energie auf“, betont König: „Und deshalb ist es sinnvoll, den Zuckerkonsum zu reduzieren – aber wegen der Energieeinsparung, nicht speziell wegen des Zuckers.“
Bei den Softdrinks sei das Bewusstsein wichtig, dass man damit in relativ kurzer Zeit relativ viele Kalorien aufnehme: „Sie sind keine Durstlöscher. Zum Durstlöschen sollte man Wasser trinken.“
Es wäre wichtig, dass sich Konsumenten wieder mehr mit den Lebensmitteln auseinandersetzen: „Das ist eine Frage der Prioritäten. Viele beschäftigen sich intensiv mit den neuen Funktion der aktuellsten Handy-Modelle. Aber bei den Lebensmitteln sind wir sehr bequem geworden.“
Und beim Zucker sei es auch durch den Geschmack leichter als bei Fett, hohe Mengen festzustellen: „Dafür ist aber eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Thema notwendig.“
Einmal da, sitzt Fett fest – mit schlimmen Folgen für die individuelle Gesundheit und schließlich das Gesundheitssystem. Da Fettleibigkeit meist auch mit Begleiterkrankungen wie etwa Diabetes Typ II einhergeht, ist der Schaden besonders dramatisch. Das Bedrückende: Adipositas beginnt immer früher, nämlich bereits in der Kindheit.
Steirische Spitzenforschung
Da käme eine Anti-Fettpille gerade recht, wenngleich sie naturgemäß nicht als Lizenz zum Überfressen verstanden werden darf. Es überrascht daher wenig, dass die Arbeit von Grazer Wissenschaftlern gerade international hohe Wellen schlägt. Die Entwicklung eines Wirkstoffs zur Behandlung von Fettleibigkeit und deren Folgeerkrankungen kann als eindrucksvolles Beispiel für interdisziplinäre österreichische Spitzenforschung verstanden werden.
Die Karl Franzens Universität Graz gilt nicht umsonst als international anerkanntes Zentrum in der Fett-Forschung. Mit globalen Playern, etwa US-amerikanischen Institutionen, könnte der Forschungsstandpunkt Österreich also durchaus mithalten. Dafür braucht es allerdings mehr und vor allem kontinuierliche Anreize. Da spielt nicht nur der finanzielle Aspekt eine zentrale Rolle, sondern vor allem das Klima, in dem sich Wissenschaft entfalten kann. Doch leider ist hier weiterhin mit fetten Hindernissen zu rechnen.
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