Zweifel in Corona-Zeiten: Alle impfkritischen Argumente im Faktencheck
Die Infektionszahlen galoppieren aktuell davon – neben Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung halten Expertinnen und Experten höhere Durchimpfungsraten für unabdingbar, um das pandemische Geschehen einzudämmen.
Den Impf-Appellen von Politik und Wissenschaft stehen nach wie vor etliche Sorgen und Ängste impfskeptischer Menschen gegenüber. Der KURIER hat deshalb häufige Fragen von noch Ungeimpften beantwortet.
Wurden die Impfstoffe zu schnell entwickelt und haben deshalb nur eine Notzulassung?
"Eine Notfallzulassung gab es nur in den USA, aber mittlerweile hat die US-Arzneimittelbehörde dem Impfstoff von Biontech/Pfizer eine vollständige Zulassung erteilt", erklärt die Virologin Judith Aberle von der MedUni Wien. "In Europa haben die Impfstoffe keine Notfall-, sondern eine bedingte Marktzulassung: Das ist eine vollständige Zulassung, die sich von einem herkömmlichen Verfahren nicht unterscheidet, aber beschleunigt durchgeführt wurde. Die Impfstoffstudien zu Sicherheit und Wirksamkeit haben ganz regulär mehrere Zehntausend Probanden umfasst."
Der EMA wurden schon kontinuierlich Daten übermittelt, bevor die Firmen die Zulassung beantragten, die einzelnen Phasen des Zulassungsprozesses sind nebeneinander und nicht hintereinander abgelaufen. "Und sowohl mit der Technologie der Vektor- als auch der mRNA-Impfstoffe gab es schon vor Corona über viele Jahre Erfahrungen."
Ist es sicherer, auf einen Totimpfstoff zu warten? Wie unterscheidet er sich von modernen mRNA-Vakzinen?
Der Totimpfstoff von Valneva könnte in einigen Monaten in der EU verimpft werden. Expertinnen und Experten raten davon ab, auf diese Zulassung zu warten. Menschen, die mRNA-Impfstoffe scheuen, setzen allerdings Hoffnung in diesen Totimpfstoff, der auf einer bewährten Technologie basiert. Es werden inaktivierte, abgetötete, vermehrungsunfähige Viren eingesetzt, die das Immunsystem zur Antikörperbildung anregen, ohne dass die Krankheit ausbricht.
Dieser Prozess wird auch mit mRNA-Impfstoffen angestoßen. Allerdings wird dem Körper dabei ein kleiner, künstlich hergestellter Teil des genetischen SARS-CoV-2-Bauplans zugeführt. Zellen nehmen die Anleitung auf und produzieren Spike-Proteine, die das echte Virus nutzt, um Zellen zu infizieren. Die hergestellten Proteine treffen im Blut auf Immunzellen – Antikörper werden gebildet. Die mRNA geht dabei nicht in das menschliche Erbgut über.
Die modernen Impfstoffe von Moderna und Biontech/Pfizer sind tatsächlich die ersten zugelassenen Vakzine dieser Art, erforscht wird die Technologie aber schon seit rund 30 Jahren, vor über zehn Jahren wurden erste klinische Studien für die Krebstherapie beim Menschen durchgeführt. Die Pandemie hat der Entwicklung den entscheidenden Schub verpasst.
Wie sicher ist die Impfung konkret? Und warum wird Moderna teilweise nicht mehr an Jüngere verimpft?
Wie bei jeder Impfung, können auch nach der Covid-19-Impfung Impfreaktionen auftreten – kurz danach und temporär. Bei mRNA-Impfstoffen kommt es häufig zu harmlosen Schmerzen an der Einstichstelle, Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen und Fieber. In Zulassungsstudien wurden einige wenige Fällen von vorübergehender Gesichtslähmung beobachtet.
Ein Zusammenhang mit der Impfung konnte nicht ausgeschlossen werden. Schwere, lebensbedrohliche Ereignisse traten in den Impfstoff- und Placebogruppen (bekamen Kochsalzlösung) gleich häufig auf. Einige Länder, darunter Deutschland und Frankreich, impfen unter 30-Jährige nur mehr mit Biontech/Pfizer. In Österreich werden Drittstiche bei Jüngeren ebenfalls nicht mehr mit Moderna durchgeführt. Daten zeigen, dass – vorübergehende und gut behandelbare – Herzmuskelentzündungen bei Menschen unter 30 nach der Gabe von Moderna häufiger beobachtet wurden als nach Biontech/Pfizer. Wichtig: Covid-19 führt laut Studien viel häufiger zu Herzmuskelentzündungen als die Impfung.
Aber sämtliche Covid-Impfungen gibt es erst kurz. Muss ich mir Sorgen wegen Langzeitfolgen machen?
"Impfnebenwirkungen zeigen sich wenige Stunden bis Tage nach der Impfung", betont Aberle. Allerdings: Ganz seltene Nebenwirkungen, die etwa bei einem von 100.000 Geimpften auftreten, können in den Zulassungsstudien nicht erkannt werden – "das sind aber keine Langzeitfolgen, sie fallen nur erst zu einem späteren Zeitpunkt auf, wenn die Zahl der Geimpften noch deutlich größer ist. Mittlerweile sind weltweit aber bereits fast 5,5 Milliarden Dosen verimpft worden. Und damit hat man auch sehr seltene Nebenwirkungen – wie die zumeist milden Herzmuskelentzündungen – entdeckt."
Sind Spätfolgen theoretisch möglich?
Impfspezialist und Infektiologe Herwig Kollaritsch formuliert den "entscheidenden Punkt" so: "Der immunologische Vorgang ist nach einer Impfung allerspätestens zwei Monate nach Verabreichung abgeschlossen. Dann hat das Immunsystem seine Arbeit geleistet."
Was im Zeitraum bis dahin als Nebenwirkung, die von Impfreaktionen wie Fieber, Kopfschmerz oder Abgeschlagenheit, zu unterscheiden sei, auftrete, könne theoretisch in Zusammenhang mit der Impfung stehen. "Danach sind keine mehr zu befürchten." Möglich sei, dass eine Nebenwirkung – eventuell unbemerkt – vorübergeht, und viele Jahre später zu einer Spätfolge führt. "Dafür müssten aber erst einmal echte Nebenwirkungen auftreten. Das ist bei der Covid-19-Impfung nicht der Fall."
Es soll tausende gemeldete Todesfälle durch die Impfungen geben. Stimmt das?
"Nein, das ist eine Fehlinterpretation", sagt Aberle. Ärzte melden Todesfälle "in zeitlicher Nähe" zu einer Impfung, 144 bisher in Österreich. Nur bei einem Todesfall wird derzeit aber ein Zusammenhang gesehen.
Auffällig wäre, wenn es z. B. bei 1000 Geimpften in einem bestimmten Zeitraum nach der Impfung mehr Todesfälle gäbe wie bei Ungeimpften. "Der Public-Health-Experte Michael Kundi hat berechnet, dass in einer Woche bei 1000 Personen über 80 Jahre mit 3,5 Todesfällen zu rechnen ist – etwa durch Schlaganfälle, Herzinfarkte oder andere natürliche Ursachen. Das ist die normale Hintergrundinzidenz.
Bei Geimpften ist diese Zahl in den Wochen nach der Impfung nicht höher, da gibt es also keine Auffälligkeit." Demgegenüber zeigen Berechnungen der Gesundheit Österreich GmbH, dass heuer nur zwischen Februar und Juli durch die Covid-Impfungen 5.790 Spitalsaufenthalte (2.278 auf Intensivstationen) und 2.177 Todesfälle vermieden wurden.
In Israel waren zeitweise bis zu 60 Prozent der schwer kranken Spitalspatienten geimpft, wirken also die Impfungen nicht?
"In Israel sind von der älteren Bevölkerung mehr als 90 Prozent geimpft", sagt Aberle. Je höher aber die Impfquote, desto größer der Anteil der Geimpften unter den Patienten – weil es ja kaum Ungeimpfte mehr gibt. "Aber nur bei den Über-60-Jährigen sind mehr Geimpfte als Ungeimpfte im Spital." Diese wurden auch früh geimpft – wodurch die Impfwirkung bereits nachlässt.
"Auch höheres Alter und Vorerkrankungen verringern die Impfwirkung und erhöhen das Risiko schwerer Verläufe." Statistiker haben gezeigt, dass die absoluten Zahlen der schweren Verläufe alleine einen falschen Eindruck erwecken. Sie setzten sie in Relation zur Gesamtanzahl Geimpfter und Ungeimpfter: Dann ist die Rate schwerer Fälle bei den Ungeimpften 3,1 x so hoch. "Schlüsselt man die Zahlen dann noch genau nach Altersgruppen, Impfquoten und Bevölkerungszahl auf, zeigt sich, dass die Impfung zu einem hohen Prozentsatz vor schweren Erkrankungen schützt."
Der Physiker Dieter Süss von der Uni Wien nennt ein Extrembeispiel: "Wir haben 100.000 ungeimpfte Kinder plus 100.000 geimpfte Senioren. Im Krankenhaus landen in der Impfgruppe zehn Senioren und in der Gruppe der Ungeimpften ein Kind. Ohne Berücksichtigung des altersbedingten Risikos würde man also errechnen, dass die Impfung das Hospitalisierungsrisiko zehnfach erhöht – was offensichtlich falsch ist."
Wie wirksam sind die zugelassenen Vakzine gegen Delta?
Aktuellste Daten belegen, dass die Covid-19-Impfstoffe auch vor der Delta-Variante schützen. Konkret bieten sie laut dem deutschen Robert Koch-Institut (RKI) eine Wirksamkeit von etwa 90 Prozent gegen schwere Erkrankungen und 75 Prozent gegen symptomatische Delta-Infektionen. Dazu braucht es allerdings eine Vollimmunisierung sowie eine Auffrischung nach sechs Monaten, in Ausnahmefällen (etwa bei Risikopersonen) auch früher.
Der Impfschutz lässt mit der Zeit nach, durch den Booster steigt er wieder an, zeigen Studien. Die Delta-Variante kann zwar auch unter Geimpften weitergegeben werden, schwere Verläufe sind bei ihnen aber seltener. Der deutsche Virologe Christian Drosten hält es für problematisch, dass Geimpfte das Virus – wenn auch seltener und für kürzere Zeit als Ungeimpfte – weitergeben können.
Delta habe die Karten neu gemischt und zu den höchsten Infektionszahlen seit Pandemie-Beginn geführt. Langfristig müsse das Ziel "eine dreifach komplett durchgeimpfte Bevölkerung" sein.
Ist Covid wirklich gefährlicher als Grippe?
Aberle dazu: "Bei der Influenza haben wir durch die jährlichen Wellen eine Grundimmunität in der Bevölkerung, beim Coronavirus nicht. Und unter jenen, die nicht geimpft sind und noch keinen Kontakt mit SARS-CoV-2 hatten, ist die Infektionssterblichkeit eindeutig höher als bei der Influenza." In der stärksten Influenza-Saison der vergangenen Jahre, 2016/2017, sei es zu 4.000 Influenza-Todesfällen gekommen – "ohne Lockdown, ohne Masken und andere Vorgaben.
Bei Covid-19 haben wir mit den Schutzmaßnahmen bereits mehr als 10.000 Tote." Durch die immer noch vielen Ungeschützten steigen die Infektionszahlen viel rascher, das Gesundheitssystem ist noch stärker und länger belastet als bei einer Influenzawelle. "Wir hatten Patienten, die bis zu 80 Tage an der Herz-Lungen-Maschine hingen", sagt die ärztliche Direktorin des Wiener AKH, Gabriela Kornek.
Aber als jüngerem Menschen passiert mir doch nichts?
Laut Gesundheit Österreich GmbH wurden 2020 insgesamt 213 Covid-Patientinnen und -Patienten, die jünger als 40 Jahre alt waren, intensivmedizinisch betreut. In den ersten sieben Monaten des heurigen Jahres waren es schon 246, davon 60 zwischen 20 und 29. Sechs davon sind gestorben. Von Jänner bis Ende August 2020 hat hingegen von 17 schweren Fällen in dieser Altersgruppe nur einer nicht überlebt. "Unser jüngster Patient, der wegen Covid-19 lungentransplantiert werden musste, ist 21 Jahre alt", berichtet Kornek: "20 Patienten mussten wir mittlerweile nach einer Covid-Erkrankung die Lunge transplantierten."
Sind die Impfungen für Schwangere gefährlich?
"Studien mit vielen tausend geimpften Schwangeren haben keinerlei Probleme und keine Entwicklungsstörungen bei den Kindern gezeigt", sagt Aberle. Im Gegensatz dazu haben ungeimpfte Schwangere bei Covid-19 "ein höheres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf mit einem Aufenthalt auf einer Intensivstation und auch ein höheres Frühgeburtenrisiko."
Hintergrund der Sorge ist die Behauptung, dass es eine Ähnlichkeit geben soll zwischen dem durch die Impfstoffe gebildeten Spike-Protein des Virus und einem Protein der Plazenta. Und zwar bei der Abfolge von vier Aminosäuren, den Bausteinen von Proteinen. Daher würden die gegen das Virus gebildeten Antikörper auch dieses Plazenta-Protein erkennen und angreifen.
"Solche Ähnlichkeiten sehen wir aber auch bei Rhinoviren, also Schnupfenviren. Auch die müssten dann eine Reaktion des Immunsystems gegen die Plazenta auslösen, was nicht der Fall ist." In einer Stellungnahme des Uni-Klinikums Jena heißt es: Träfe die Behauptung zu, "müsste auch oder erst recht eine Covid-19-Erkrankung zu einer Infertilität führen, da in diesem Fall die Antigen-Belastung der Patientin durch das Corona-Spike Protein und somit auch die potenzielle Antikörper-Bildung deutlich höher und unkalkulierbarer als im Falle einer Impfung wäre".
Macht die Impfung unfruchtbar?
Nach wie vor verbreitet ist die Annahme, die mRNA-Impfung mache unfruchtbar oder impotent. Dafür gibt es keine seriösen Belege, wie unter anderem das RKI betont. Studien zeigen keinen Rückgang der Spermienmenge oder -beweglichkeit, keine Veränderung der Eizellqualität sowie keinen Unterschied bezüglich der Zahl eingetretener Schwangerschaften. Impfen in der Schwangerschaft gilt als sicher und wird empfohlen: Bei einer Covid-19-Erkrankung haben ungeimpfte Schwangere ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf.
Wozu impfen? Ich kann mich doch auch mit Nasen- und Rachensprays schützen?
Tatsächlich konnten mehrere solcher Sprays in Zellkulturen im Labor Viren deaktivieren. Eine Studie mit einem Produkt der österreichischen Firma Marinomed bei 394 Spitalsmitarbeitern in Argentinien zeigte zwar in der Spraygruppe nur zwei, in der Kontrollgruppe 12 Infektionen (Impfstoffe waren zu dem Zeitpunkt noch nicht zugelassen).
Laut Plattform medizin-transparent könne aufgrund der kleinen Fallzahl aber nicht ausgeschlossen werden, dass die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen durch Zufall zustande gekommen sind – derzeit laufen Studien in Österreich.
"Solche Sprays können eine Impfung – oder auch Masken – nicht ersetzen", betont Aberle. "Erstens ist die Wirkdauer begrenzt. Zweitens ist nicht auszuschließen, dass beim Einatmen Viruspartikel in die tiefen Atemwege gelangen. Und es sind auch Infektionen über die Mundschleimhaut und die Augenbindehaut möglich." Sollte sich ein gewisser Infektionsschutz bestätigen, könnten Sprays eine zusätzliche Maßnahme zur Impfung sein, etwa für Menschen, die schlecht auf eine Impfung angesprochen oder ein hohes Risiko – z. B. Spitalspersonal – haben.
Viel wurde in den vergangenen Wochen über den Arzneistoff Ivermectin gesprochen. Nach umfassenden Studien zur Wirksamkeit des Präparats bei Covid-19 wird inzwischen von der Gabe abgeraten. Kann man diesen Belegen vertrauen?
Studien, die angebliche Effekte des Mittels (Medikament gegen Parasiten, z. B. Parasiten im Darm von Tieren oder Milben bei Menschen) gezeigt haben, mussten wegen schlechter Qualität bis hin zu Fälschungen zurückgezogen werden. Auch die Herstellerfirma des in anderen Bereichen durchaus sehr wirkungsvollen Medikaments rät mittlerweile von einem Einsatz bei Covid-19 ab.
Es gebe keine wissenschaftlichen Belege für den therapeutischen Nutzen bei Covid-19, heißt es vonseiten der Firma Merck.
Herwig Lindner, Infektiologe und erster Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer, sagt dazu Folgendes: "Wofür es aber sicher keine Zulassung gibt, sondern im Gegenteil sogar direkte Warnungen der Gesundheitsbehörden, ist die Einnahme des Entwurmungsmittels Ivermectin gegen Covid-19 – dies öffentlich anzupreisen, ist fahrlässig und weit weg von ernsthafter Medizin."
Es werden laufend neue Hoffnungsträger gegen Covid-19 präsentiert. Wird damit die Impfung obsolet?
Zwar gibt es vielversprechende Therapien, aber keine ist bisher so effektiv wie die Impfungen. Erst kürzlich hat die EU-Arzneimittelbehörde EMA grünes Licht für zwei Behandlungsansätze gegeben, die schwere Covid-19-Verläufe lindern sollen.
Die Behörde gab Mitte November das formale Okay für den Einsatz der vom US-Unternehmen Regeneron gemeinsam mit dem Schweizer Pharma-Riesen Roche entwickelten Antikörpertherapie Ronapreve (Kombi-Präparat aus den Antikörper-Cocktails Casirivimab und Imdevimab) sowie für das Mittel Regkirona (Regdanvimab) der südkoreanischen Firma Celltrion.
Die US-Arzneimittelbehörde FDA hatte bereits vor einem Jahr eine Notfallzulassung für die Antikörperbehandlung von Regeneron/Roche erteilt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hatte die Arznei Ronapreve schon Ende September auf die Liste empfohlener Therapien gesetzt. Antikörpertherapien können allerdings eine Impfung niemals ersetzen, bekräftigt der Pharmakologe Markus Zeitlinger: "Ungeimpfte können sich nicht auf ihre Wirksamkeit verlassen."
Man müsse sich vor Augen halten, dass damit nicht jeder geheilt werden kann. Den besten Schutz vor einem schweren Covid-19-Verlauf liefere nach wie vor die Impfung.
Sind Drittstiche wirklich so wichtig?
"Es ist kein Geheimnis, dass Geimpfte sich anstecken und das Virus übertragen können. Das war bei dieser Form der Impfung – der Impfstoff wird in den Oberarmmuskel gespritzt – auch zu erwarten", schickt Mikrobiologe Michael Wagner voraus. Bei Nasen-Impfungen werden direkt Antikörper an der Schleimhaut im Nasen-Rachen-Raum gebildet, sodass das Virus gar nicht erst in den Körper eindringen kann. Frühere Forschungen legen aber nahe, dass intranasal verabreichte Impfstoffe für einen kürzeren Zeitraum Immunität verleihen als eine intramuskuläre Impfung. Kurz nach der Impfung sei laut Wagner jedenfalls auch ein potenter Schutz vor einer Infektion (man steckt sich gar nicht erst an) gegeben, der aber mit der Zeit nachlässt. "Deswegen sind die Booster-Impfungen so wichtig: In Israel hat sich gezeigt, dass sich dadurch der Schutz vor Ansteckungen wieder extrem aufgebaut hat. Man stellt binnen rund zehn bis zwölf Tagen auch ein geringeres Risiko für andere dar, wenn man frisch geboostert ist." Wagner hält es deswegen für sinnvoll, die Gültigkeitsdauer der Zweitimpfung auf sechs Monate zu reduzieren. "So könnten wir uns aus der vierten Welle herausboostern." Der Epidemiologe Gerald Gartlehner bekräftigt, dass Auffrischungsimpfungen in der jetzigen vierten Welle wichtiger seien als Erstimpfungen. "Man muss sich vorstellen, dass Personen, die jetzt noch nicht geimpft sind, nach fünf, sechs Wochen die Vollimmunität erreichen. Für die aktuelle Welle ist das etwas zu spät. Mit dem dritten Stich kann man aber die Immunität wahrscheinlich innerhalb einer Woche bis zehn Tagen sehr hoch nach oben treiben", sagt er. Nicht alle Expertinnen und Experten teilen diese Meinung. Der Virologe Christoph Steininger betont etwa, dass eine Booster-Impfung zwar rascher wirke, aber: "Rein immunologisch ist meiner Meinung nach die Erst- und Zweitimpfung die Wichtigere. Schließlich handelt es sich hier um jene Menschen, deren Immunsystem noch nie Kontakt mit diesem Virus hatte. Ungeimpfte sind der Treiber der Pandemie."
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