Barbara Lieder: Tatsächlich schmecken nicht alle süß schmeckenden Stoffe gleich. Es gibt es zum Beispiel Unterschiede im Zeitintensitätsprofil: Wenn man Zucker in den Mund nimmt, setzt die Süße sehr schnell ein. Schluckt man ihn runter oder spuckt man ihn aus, fällt sie relativ schnell wieder ab. Bei Cola light haftet die Süße aber zum Beispiel ganz lange im Mund.
Warum ist das so?
Es scheint Unterschiede zu geben, wie lange Süßstoffe im Vergleich zu Zucker die Rezeptoren für Süßgeschmack anregen. Wie das genau funktioniert, ist noch ein Rätsel.
Wirken die Stoffe auch im Rest des Körpers anders?
Zucker ist ein Kohlenhydrat und liefert Kalorien. Es gibt verschiedene Süßungsmittel, die auch süß schmecken, aber nicht automatisch Kalorien enthalten. Zuckeralkohole liefern zum Beispiel auch Energie, aber ungefähr die Hälfte weniger als Zucker. Und dann gibt es einige klassische Süßstoffe, die gar nicht verstoffwechselt werden und damit auch keine Kalorien haben. Nur, weil ein bestimmter Stoff süß schmeckt, heißt es also nicht, dass er eine bestimmte Reaktion, z. B. die Insulinausschüttung, bei uns auslöst. Das ist abhängig davon, wie er molekular beschaffen ist.
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War das Leitmotiv der künstlichen Süßstoff-Entwicklung die Kalorienreduktion?
Im Prinzip, ja. Coca-Cola war ursprünglich als Energydrink konzipiert. Ein Muntermacher mit Koffein und Zucker. Das ist heute kritisch zu sehen, weil wir ohnehin zu hohe Mengen an Zucker über andere verarbeitete Lebensmittel zu uns nehmen.
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Studien zeigen, dass manche Süßungsmittel das Darmmikrobion schädigen. Die WHO rät davon ab, zur Gewichtskontrolle auf sie zu setzen. Muss die Idee, dass Süßstoffe gesund sind, hinterfragt werden?
Für echte kausale Zusammenhänge, also dass Süßstoffe tatsächlich Übergewicht fördern, gibt es keine Belege. Was die Darmbakterien betrifft: Da gibt es Hinweise für einzelne Süßstoffe und seltene Zucker. Letztere kommen in der Natur vor, haben ein tolles Profil im sensorischen Sinn und keinerlei Kalorien. Sie wurden in vielen Produkten erprobt, bis man gemerkt hat, dass ein paar davon das Darmmikrobiom ungünstig beeinflussen. Obwohl sie schon davor lange verzehrt werden. Aber nicht in so großen Mengen. Deswegen muss man sich die Effekte von Süßstoffen genau anschauen.
Mit Aspartam wird seit den 80ern gesüßt. Kürzlich wurde es von der WHO als "möglicherweise krebserregend" eingestuft. Ein richtiger Schritt?
Wenn die Studienlage in diese Richtung deutet, muss man die Einstufung korrigieren. Aber: Man müsste Aspartam schon in sehr, sehr großen Mengen zu sich nehmen, damit es sich derart gesundheitsschädlich auswirkt. Man muss die Sache auch in Relation setzen: Fleisch fällt sogar in die Kategorie "wahrscheinlich krebserregend".
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Warum lieben Menschen Süßes?
Das macht aus evolutionsbiologischer Sicht Sinn. Unsere Vorfahren mussten sich das Überleben mühsam durch Nahrungssuche sichern. Süßer Geschmack war ein Indiz für schnell verfügbare Energie – etwas Gutes. Schon in den ersten Momenten unseres Lebens erfahren wir über die Muttermilch süßen Geschmack. Süße ist von Lebensbeginn an positiv besetzt.
Zuckerkonsum im heutigen Ausmaß existiert aber erst seit ungefähr 150 Jahren.
Früher wurde Zucker über Früchte verzehrt. Es wurden naturbelassene Lebensmittel mit echtem Sättigungspotenzial konsumiert. Nicht literweise gezuckerte Softdrinks.
Viele Menschen sind strikt dagegen, Kindern früh Süßes zu geben. Anders finden es gemein, Kindern Zucker vorzuenthalten. Ab wann soll der Menschen Süßes schmecken dürfen?
Das ist in der Tat ein umstritteneres Thema. Kinder gewöhnen sich noch viel schneller an eine stärkere Süße als Erwachsene und die angeborene Vorliebe wird noch weiter verstärkt. Zucker gehört zur Kategorie der geduldeten Lebensmittel. Das heißt, man rät inzwischen dazu, Süßes in geringen Mengen in der kindlichen Ernährung sehr wohl zu dulden, aber nicht zu fördern und auch nicht zur Belohnung einzusetzen. Also auch dann und wann eine Kugel Eis zu erlauben. Die Eltern sollten hier auch eine Vorbildfunktion einnehmen.
Aber ein rotes Tuch sollte es nicht sein?
Davon wird abgeraten. Verbote üben in Summe den viel größeren Reiz aus und verleiten dann womöglich zum übermäßigen Konsum.
Immer wieder heißt es, man solle besser auf naturbelassene süße Lebensmittel zurückzugreifen, wie beispielsweise Honig oder Datteln. Ist das die Lösung?
Auch hier muss man vorsichtig sein. Auch diese Lebensmittel enthalten viel Zucker. Der Irrglaube, dass Fructose besser sei als Glucose, ist falsch. Beide gehören der Gruppe der Monosaccharide, der Einfachzucker, an. Umgangssprachlich wird Glucose als Traubenzucker, Fructose als Fruchtzucker bezeichnet. Früher glaubte man, dass Fructose besser für Diabetiker sei, weil dort – im Gegensatz zur Glucose – kein Insulin ausgeschüttet wird. Inzwischen gibt es aber vermehrt Hinweise, dass vor allem der Fruchtzucker problematisch sein kann.
Warum ist Fruktose problematisch?
Weil Studie belegen, dass es die Bildung von viszeralem Fett, dem Bauchfett, fördert. Und das gilt wiederum als Risikofaktor Herzkrankheiten oder Typ-2-Diabetes.
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Wohin geht die Reise in der Zuckerforschung?
Wir werden uns intensiver damit beschäftigen, warum Zucker und Süßungsmittel bei verschiedenen Menschen unterschiedliche Auswirkungen haben. Die einen also viele Naschereien essen können, ohne, dass es langfristig Effekte auf den Stoffwechsel hat. Und andere schon bei kleinen Mengen zulegen und ein höheres Krankheitsrisiko bekommen.
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