Das bruchfeste Metall Titan ist das am häufigsten verwendete Material für Zahnimplantate. "Titan ist sehr gut gewebeverträglich, durch seine schützende Oxidschicht korrosionsbeständig und heilt sehr gut in den Knochen ein, es gibt sehr gute Langzeitdaten", sagt Stephan Acham von der Uni-Klinik für Zahnmedizin und Mundgesundheit der Med Uni Graz sowie Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Implantologie.
Allerdings: Bei einem Teil der Patientinnen und Patienten kann es zu einer Unverträglichkeitsreaktion kommen, wie es auch in einer Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Implantologie zum Thema "Materialunverträglichkeiten" heißt: "Unverträglichkeitsreaktionen auf Titan können durch eine überschießende entzündliche Reaktivität von Gewebemakrophagen ('Fresszellen', Anm.) ausgelöst werden, die in Kontakt mit Titanoxidpartikeln kommen". Als Symptome werden u. a. lokale Beschwerden wie etwa Schleimhautbrennen, aber auch Muskel- und Gelenkschmerzen, neurologische Probleme, Depressionen oder auch das Auftreten eines chronischen Erschöpfungssyndroms angeführt.
Hingegen konnte "eine echte Allergie auf die in der Medizin zulässigen, hochwertigen Titanimplantate bisher mit den medizinisch anerkannten Messmethoden nicht sicher nachgewiesen werden", sagt Acham. Eine Voraussetzung dafür ist "die sachgemäße Herstellung, Lagerung und sorgsame Setzung der Implantate".
Doch was kann man bei einem Verdacht auf eine Unverträglichkeit tun?
"Es gibt viele andere Ursachen, die zu Beschwerden führen können – die muss der Implanteur zunächst ausschließen", sagt Acham. So kann es zu Fehlern bei der Planung und Positionierung des Implantats gekommen sein. Auch eine zu frühe oder inadäquate Belastung kann Beschwerden auslösen. Infektionen sind hingegen die häufigste Ursache für Entzündungen im Umfeld des Implantats.
Die Situation einer "klinisch relevanten Überempfindlichkeit, einer sogenannten Hypersensitivität" sei hingegen sehr selten, sagt Acham. "Aber es gibt sie, das ist unbestritten."
Das IMD Labor Berlin bietet (auch für Patientinnen und Patienten aus Österreich) zwei Bluttests zur Titanunverträglichkeit an – deren Aussagekraft aber umstritten ist:
Beim Titanstimulationstest wird untersucht, ob bestimmte Blutzellen (Monozyten / Makrophagen) nach Kontakt mit Titanpartikeln verstärkt entzündungsfördernde Proteine (Zytokine) freisetzen. "Im Gegensatz zur klassischen Allergiediagnostik liefert dieser Test aber keine Ja/Nein-Aussage", erklärt Fachbiologin Anne Schönbrunn von IMD Berlin: Der Test sagt nur: "Ein Patient mit einem positiven Titanstimulationstest hat – im Vergleich zur Normalbevölkerung – ein zwölffach erhöhtes Risiko für eine Entzündung, die u. a. zu einer Lockerung bis hin zu einem Verlust des Implantats führen kann."
Zusätzlich wird auch ein Test auf vier genetische Risiko-Variationen angeboten, die die Neigung zu Entzündungen ebenfalls erhöhen. "Können alle vier Variationen nachgewiesen werden, steigt das Risiko für ein Entzündungsgeschehen nochmals um das Sechsfache."
Laut dem Institut reagieren 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung aufgrund genetischer Grundlagen "mit einer ausgesprochen starken Entzündungsantwort". Schönbrunn betont, dass dieses Tests keinen Beweis für eine Unverträglichkeit liefern: "Man kann in beiden Tests positiv sein, und trotzdem keine Probleme haben – aber das Risiko ist erhöht."
Tests auf Titanunverträglichkeit sind umstritten
Implantologe Acham sieht "unter anderem aus genau diesen Gründen" die Tests kritisch: "Ich kann einem Patienten vor der Implantation keine allgemein anerkannte, wissenschaftlich fundierte Vorhersage geben, ob überhaupt und mit welcher Wahrscheinlichkeit er mit einem Titanimplantat Probleme bekommen wird. Und bei Patienten, bei denen bereits eine Entzündung des Zahnfleisches und des Knochens rund um das Implantat aufgetreten ist, ist eine Immunreaktion ja bereits im Laufen, da bringen solche Tests keine zusätzliche Erkenntnis."
Auch in der medizinischen Leitlinie ist lediglich von einer "hinweisenden Diagnostik" die Rede: Ob etwa ein Implantat entfernt werden muss, kann anhand dieser Tests nicht entschieden werden.
Eine Alternative sind – teurere – Keramikimplantate (Zirkondioxid). Unverträglichkeitsreaktionen gibt es hier praktisch nicht, weil es kaum zu Partikelabrieb kommt. "Aber was Stabilität und Haltbarkeit betrifft, fehlen uns noch Langzeitdaten", sagt Acham. "Und sehr starken Belastungen hält ein Titanimplantat wohl besser stand."
Ein Titanimplantat kommt in einer einfachen Situation im nicht sichtbaren Bereich auf zirka 1.100 bis 1.500 Euro, wobei das erste etwas teurer ist als jedes weitere.
Hinzu kommen noch die Kosten für den Zahnersatz auf den Implantaten. Bei einer Einzelkrone muss man dafür noch einmal mit zirka denselben Kosten rechnen.
Zirkonoxid-Keramikimplantate sind um rund 20 bis 30 Prozent teurer als Titanimplantate. Dies liegt an höheren Fertigungskosten, teureren Aufbauteilen und einer aufwendigeren Implantation.
Generell werden aber die Unterschiede zwischen Titan und Keramik durch Optimierungen der Materialeigenschaften geringer: "Keramik ist mehr und mehr im Kommen. Auch weil die emotionale Barriere, die es bei manchen bei Titan gibt – sich 'Metall in den Mund einbauen' zu lassen – wegfällt." Und die zahnähnliche Farbe ist ein ästhetischer Vorteil – auch bei sehr dünnem Knochen und Zahnfleisch ist beispielsweise im vorderen Kieferbereich kein "dunkler Metallschimmer" erkennbar.
Trotz der häufigeren entzündlichen Reaktion auf Titan stelle sich aber die Frage, "ob das klinisch relevant ist und ob nicht die Vorteile eines Titanimplantats langfristig gesehen die Vorteile eines Keramikimplantats noch überwiegen", betont Acham.
Grundsätzlich sei eine Reaktion des Körpers auf eine neue Substanz, die ihm fremd ist, etwas völlig Normales. "Das Immunsystem checkt erst einmal die Situation."
Problematisch sei es, wenn eine überschießende Reaktion auftrete – etwa als Folge einer Infektion. Diese könne dazu führen, dass das Implantat nicht einheile oder es zu einer chronischen Periimplantitits (eine Entzündung des Zahnfleisches und des Knochens rund um das Implantat) kommt. Dabei bildet sich das Knochenfundament, das dem Implantat Halt gibt, zurück.
Ist lediglich die Schleimhaut entzündet, kann durch lokale Spülungen und medizinische Einlagen versucht werden, die Keimlast zu reduzieren. "Bei fortgeschrittenen Entzündungen gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, die Implantatoberfläche zu reinigen – mechanische, elektro-physikalische oder chemische. Es geht immer darum, den Biofilm aus Bakterien und Pilzen zu entfernen."
Titanimplantate müssen akzeptiert werden, damit der Körper sie annimmt
Letztlich können aber auch mangelnde Akzeptanz und innere Ablehnung des Implantats zu Beschwerden führen: "Manche Patientinnen und Patienten haben Probleme, sich an die neue Situation anzupassen. Dentalpsychologinnen und -psychologen können dabei helfen, mit der Situation zurechtzukommen."
Auch ohne ersichtliche medizinische Ursache für die Beschwerden kann im Einzelfall die Entfernung des Titanimplantats der letzte Schritt sein. Acham: "Möglicherweise gibt es im Hintergrund ein immunologisches Geschehen, das wir zurzeit noch nicht einordnen können. Eine optimale Einheilung braucht neben einer körperlichen offenbar immer auch eine psychische Akzeptanz."
Kommentare