Niere oder Herz vom Schwein: Wie weit die Forschung ist

Entnahme der Schweineniere aus der Transportbox für die Vorbereitung auf die Transplantation.
Heuer die Einpflanzung einer Schweineniere in einen Menschen, in den Vorjahren zwei Schweineherzen: Gen-modifizierte Tiere bringen große Fortschritte.

Von einem „medizinischen Meilenstein“ sprechen die Mediziner des Massachusetts General Hospital (MGH) in Boston im US-Bundesstaat Massachusetts: Weltweit erstmals ist einem lebenden Menschen erfolgreich eine Schweineniere als Ersatzorgan eingesetzt worden. Der Eingriff fand am 16. März statt und dauerte rund vier Stunden. Bis jetzt sind solche Meldungen spektakuläre Einzelfälle, und die Lebensdauer transplantierter Schweineorgane ist sehr begrenzt. Doch wann könnte es zur standardmäßigen Transplantation von tierischen Organen kommen?

Der 62-jährige Patient in Massachusetts ist von einem Nierenversagen betroffen und litt seit vielen Jahren an Typ-2-Diabetes und Bluthochdruck. 2018 hatte er bereits eine menschliche Niere erhalten, die aber im vergangenen Jahr versagte – der Patient musste wieder an die Dialyse. Mittlerweile produziert seine neue Niere Urin und er benötigt keine künstliche Blutreinigung mehr. Er geht in den Gängen des Spitals bereits auf und ab und könnte bald entlassen werden.

„Der wahre Held ist heute der Patient“, sagte Joren Madsen, der Direktor des MGH-Transplantationszentrums. Ohne seine Bereitschaft, sich auf eine Reise in medizinisches Neuland zu begeben, wäre die Operation nicht möglich gewesen.

Niere oder Herz vom Schwein: Wie weit die Forschung ist

„Es war eine zeitlang recht ruhig rund um das Thema Xenotransplantation“, sagt Rainer Oberbauer, Leiter der klinischen Abteilung für Nephrologie und Dialyse der MedUni Wien. „Jetzt hat man den Eindruck, dass das Thema wieder ein wenig abhebt.“

Ein entscheidender Grund dafür: Die leichtere Veränderung des Erbguts der Schweine mit der – teilweise in Wien entwickelten – Genschere Crispr-Cas9:

Mehrere Schweinegene wurden aus dem Erbgut des Tieres, von dem die Niere stammte, entfernt. Sie sind für die Bildung von Zuckermolekülen an der innersten Zellschicht der Blutgefäße verantwortlich: „Diese Zuckerreste sind vergleichbar mit nicht passenden Blutgruppen, die sofort zur Zerstörung des Transplantats führen.“ Durch das Entfernen dieser Gene kommt es nicht mehr zur akuten Abstoßung.

Was chronische Reaktionen des Immunsystems betrifft, müsse man noch Erfahrungen sammeln, wie gut sie mit den genetisch angepassten Schweineorganen unter Kontrolle gehalten werden. Bei früheren Versuchen sei das Immunsystem nach rund einem Monat aktiv geworden.

Im Erbgut von Schweinen befinden sich aber auch die Baupläne für Viren, die zwar für das Schwein unschädlich sind, aber die immungeschwächten Transplantationspatienten infizieren könnten. Mit der Genschere wurden auch die Erbgutabschnitte für diese Viren-Baupläne entfernt. Und es wurden menschliche Gene in das Schweine-Genom eingefügt. Insgesamt wurden 69 genetische Veränderungen durchgeführt.

Niere oder Herz vom Schwein: Wie weit die Forschung ist

Sollte es mit derartigen genetischen Modifikationen eines Tages gelingen, die Abstoßungsreaktionen langfristig unter Kontrolle zu bekommen, könnten Schweineorgane „vielleicht vielen Menschen wieder ein normales Leben ermöglichen“, sagt Oberbauer. Ähnlich sieht das auch US-Transplanteur Madsen: Der US-Patient werde zu einem "Hoffnungsträger für zahllose Menschen, die an einer Nierenerkrankung im Endstadium leiden". Denn Spenderorgane sind ein sehr knappes Gut. Aber bis es so weit ist, wird es noch mehrere Jahre dauern, sind sich Experten einig.

Top-Experten in Wien

Oberbauer und sein Kollege Thomas Wekerle organisieren am 4. April an der MedUni Wien ein prominent besetztes Symposium zum Thema Xenotransplantation. Zu den Referenten zählt der US-Herzchirurg Bartley Griffith von der University of Maryland in Baltimore: Er hat mit seinem Team 2022 bzw. 2023 zwei schwer kranke Patienten Schweineherzen transplantiert. Beide sind zwar mehrere Wochen nach der Operation gestorben. Trotzdem: Die geglückte Transplantation wird als medizinische Meisterleistung bezeichnet.

Auch Robert Montgomery, Direktor des Transplantationsinstituts des New Yorker Krankenhauses NYU Langone, kommt nach Wien. Er hat 2023 einem hirntoten Patienten eine Schweineniere eingesetzt, die zwei Monate lang funktionierte – deutlich länger als bei früheren Versuchen, bei denen das Schweineorgan nur drei Tage lang vom Organismus des Empfängers toleriert wurde.

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