Impfstoff von Astra Zeneca: Mehr als nur eine Imagekrise?
Eine Region in Schweden hatte die Impfungen wegen Fieberreaktionen kurz gestoppt. Südafrika will Impfstoff abgeben. Experten beurteilen diese Meldungen.
Es ist ein Hin und Her: Zuerst sorgten Meldungen aus Schweden für Beunruhigung, wonach es in der Region Sörmland zu einem vorübergehenden Stopp der Impfungen mit dem Präparat von Astra Zeneca gekommen ist.
Bei Krankenhauspersonal sollen deutlich häufiger Fieberreaktionen aufgetreten sein als dies in den Zulassungsstudien der Fall war, und zwar bei 100 von 400 Personen - also in 25 Prozent der Fälle. In der Zulassungsstudie lag der Anteil der Geimpften mit einer Fieberreaktion bei nur rund zehn Prozent. Mit dem Stopp sollte vor allem Personalmangel verhindert werden.
Doch kurz darauf dann Entwarnung: Gespräche mit der nationalen Arzneimittelbehörde und dem Hersteller hätten ergeben, dass es nichts gebe, was darauf hindeute, dass etwas mit dem gelieferten Präparat nicht stimme, teilte die Region Sörmland mit. Die Impfungen werden also fortgesetzt.
"Ich habe aufgrund dieser Medienberichte auch nichts gesehen, was mich beunruhigt hätte", sagt der Impfstoffexperte Herwig Kollaritsch zum KURIER. "Wir wissen, dass es zu Fieberreaktionen kommen kann, das ist nichts Neues. Und Astra Zeneca ist der einzige Hersteller, der untersucht hat, ob die vorbeugende Gabe von Paracetamol am Tag der Impfung und am Tag danach Impfreaktionen reduzieren kann - und da zeigte sich, dass dies der Fall ist."
Kollaritsch betont, dass man sich bei solchen Meldungen immer genau die Hintergründe ansehen müsse. "So war es auch bei den Meldungen aus Norwegen über Todesfälle nach der Impfung bei hochbetagten Menschen."
Hier habe sich nachträglich herausgestellt, dass es sich um sehr geschwächte Menschen über 90 Jahre gehandelt habe: "Für solche Menschen kann jede Impfung gefährlich werden. Aber nicht, weil die Impfung ein Risiko bedeutet, sondern weil der Allgemeinzustand dieser Menschen schon so schlecht ist, dass eine an sich harmlose, vorübergehende Fieberreaktion lebensbedrohend werden kann."
"Hier liegt es in der Verantwortung eines erfahrenen Impfarztes abzuschätzen, wem kann ich eine Impfung zumuten und wem nicht." Und mittlerweile sei auch eindeutig festgestellt worden, dass es keine Zunahme der Todesfälle nach Impfungen bei Menschen über 80 Jahre gibt, betont Kollaritsch.
Generell sind bei den Vektorimpfstoffen wie jenem von Astra Zeneca die Impfreaktionen sogar geringer als bei den RNA-Impfstoffen, zumindest laut den Zulassungsstudien. Allerdings zeigt sich das nicht im neuesten Bericht zu Impfreaktionen des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG).
Da wurden für Astra Zeneca 14,9 überwiegend leichte Reaktionen pro 1000 Impfungen gemeldet, wie Kopfschmerzen, Fieber, Müdigkeit oder Schmerzen an der Impfstelle gemeldet. Beim Impfstoff von Biontech/Pfizer lag die Rate bei 3,79 und bei Moderna bei 5,71.
Allerdings war bei Astra Zeneca mit 3961 Impfungen auch die Datenbasis am geringsten (zum Vergleich: Biontech/Pfizer mit 365.000 ausgewerteten Impfungen).
Der Impfstoffentwickler Otfried Kistner betonte im KURIER-Gespräch: "Meldungen wie diese losgelöst zu beurteilen ist immer ganz schwierig." Um genaue Angaben machen zu können, müsste man die Reaktion der Betroffenen mit einer ähnlichen Gruppe - zum Beispiel einem anderen nahe gelegenen Krankenhaus - vergleichen.
"Es könnte zum Beispiel sein, dass es in dem betroffenen Gebiet gerade eine kleine Schnupfenepidemie gibt und das Immunsystem gleichzeitig auf die Impfung und den Schnupfen anspringt. So könnte man das erhöhte Aufkommen der Nebenwirkungen erklären."
Denn prinzipiell gilt: Impfnebenwirkungen wie diese sind eigentlich ein "gutes Zeichen". Sie zeigen nämlich, die Impfung wirkt und kurbelt das Immunsystem an. Fieber ist dabei eines der ersten Symptome.
Der medizinische Chef von Astra Zeneca Nordeuropa, Andreas Hidini, bestätigte dem schwedischen Sender SVT zwar, dass die auftretenden Nebenwirkungen häufiger sind, als in den Studien beobachtet, beruhigte aber gleichzeitig, denn es gebe „keinen Grund zur Sorge“.
Der Impfstoff wurde laut Hidini "inzwischen vielen Millionen Menschen auf der ganzen Welt und sogar in klinischen Studien verabreicht, und dort haben wir keine wirklich schwerwiegenden Nebenwirkungen gesehen“.
Südafrika will Impfstoff hergeben
Für Diskussionen sorgt aber auch ein Medienbericht aus Südafrika. Demnach soll Südafrika das Serum Institute of India - das den Impfstoff für Südafrika herstellt - aufgefordert haben, eine Millionen Dosen des Impfstoffes zurückzunehmen. In späteren Berichten wurde das aber relativiert: Südafrika will nun eine Million Dosen mit anderen afrikanischen Ländern teilen. Der Grund dafür ist eine Studie mit 2000 jungen Probanden (Durchschnittsalter 31 Jahre), in der der Impfstoff nur zu zehn Prozent vor milden Verläufen mit der südafrikanischen Virusvariante geschützt hat. Weiterführende Daten zur Auswirkung der südafrikanischen Variante auf schwere Verläufe und auf die Sterblichkeit bei mit diesem Impfstoff Geimpften gibt es noch nicht.
"Die Situation in Südafrika ist eine ganz andere als bei uns", sagt Kollaritsch. "Dort ist diese Virusvariante stark verbreitet, und der Anteil junger Menschen ist deutlich höher. Da ist es nachvollziehbar, dass sie nicht unbedingt diesen Impfstoff verwenden wollen."
Doch in Österreich sei die südafrikanische Variante nicht dominant: "Es gibt die Fälle in Tirol, aber da versucht man ja, die Verbreitung einzudämmen. Und abgesehen von der regionalen Häufung in Teilen Tirols haben wir nur Einzelfälle dieser Variante."
Und es sei eben auch noch nicht geklärt, ob gegen schwere Krankheitsverläufe nicht doch auch der Astra Zeneca Impfstoff bei der Südafrika-Variante wirksam sei: "Bei allen anderen Virus-Varianten ist er das aber."
Deshalb empfiehlt er, um keine Zeit zu verlieren, "auf jeden Fall jetzt auch mit Astra Zeneca zu impfen. Ob man dann nach elf bis zwölf Wochen für die zweite Impfdosis einen RNA-Impfstoff nehmen könnte, müsse noch untersucht werden: "Das wird erstens von entsprechenden Studienergebnissen abhängen und zweitens auch davon, ob sich die südafrikanische Variante überhaupt in Österreich ausbreitet."
Wichtig sei es, jetzt rasch so viel wie möglich zu impfen, um die Möglichkeiten des Virus zu mutieren einzuschränken. "Wie man im zweiten Quartal weitertut, wo wir wahrscheinlich mit Impfstoffen geflutet werden, kann man sich dann überlegen, wenn wir mehr über die Verbreitung der südafrikanischen Variante und auch die Wirksamkeit von Astra Zeneca dagegen wissen werden."
In Großbritannien wollen die Menschen das "britische" Vakzin
Während in der EU die Skepsis bei vielen wächst, ist die Situation in Großbritannien kurioserweise genau umgekehrt. Dort kommt es vereinzelt dazu, dass Menschen eine Biontech‐Impfung ablehnten, weil sie auf den "englischen Impfstoff" warten wollten.
Einem Bericht von Sky News zufolge hätten Minister, die nicht müde werden, den Impfstoff der Uni Oxford und des Pharmakonzerns Astra Zeneca als "großen britischen Erfolg" zu feiern, auf dessen Fläschchen am liebsten den Union Jack gedruckt, die britische Nationalflagge.
"Das als Produkt eines einzelnen Landes darzustellen, ist Nationalismus und nicht unbedingt wahr", kritisierte der englische Hausarzt Paul Williams im Gespräch mit dem Sender.
Noch nicht viele Astra-Zeneca-Impfungen in Österreich
In Österreich sind bereits 79.200 Dosen des Astra Zeneca-Impfstoffes angekommen, 261.725 sollen es insgesamt bis Ende Februar werden, ist auf der Homepage des Gesundheitsministeriums zu lesen. Bis Ende vergangener Woche sind 7.400 Dosen dieses Impfstoffes zum Einsatz gekommen.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat dem Impfstoff außerdem kürzlich eine Zulassung für einen weltweiten Notfalleinsatz erteilt. So können nun auch Länder, die sich keine eigenständige medizinische Begutachtung leisten können, das Vakzin einsetzen.
Wieso aber eigentlich rückt Astra Zeneca immer wieder in den Mittelpunkt der Impfstoff-Diskussion?
Hinter dem ursprünglich von der Universität Oxford entwickelten Vakzin steht eine andere Impfstofftechnologie als hinter den beiden anderen zugelassenen Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna. Ein harmloses Schnupfenvirus transportiert den Bauplan für das Oberflächeneiweiß des Coronavirus in die Zellen - es ist ein sogenannter Vektorimpfstoff. Diese Technologie hat laut Otfried Kistner aber nichts mit der fortlaufenden Verwirrung um den Impfstoff zu tun.
"Es gibt andere Vektorimpfstoffe, die sehr gut wirken. Ich denke, die Entwickler haben im Fall von Astra Zeneca einfach noch nicht das optimale Impfschema gefunden", so Kistner.
Wobei Kollaritsch betont, dass es beim Schutz gegen schwere Verläufe mit der Wildvariante und auch mit der britischen Variante praktisch keinen Unterschied zwischen den Impfstoffen gebe. Nur bei der südafrikanischen Variante gibt es eben noch keine Daten zur Wirksamkeit von Astra Zeneca bei schweren Verläufen.
Langfristig - also bis in den Herbst gedacht - sieht Kistner aber noch eine andere Problematik - nämlich in Hinblick auf die Impf-Strategie. Schon jetzt wurde offiziell gemacht, dass an einem Update des Astra-Zeneca-Vakzins gearbeitet wird.
Der Impfstoff soll in Hinblick auf die neuen Virus-Varianten angepasst werden. "Wenn dann die adaptierte Version im Herbst auf den Markt kommt: Wie gehen wir dann mit jenen um, die noch mit der ersten Generation von Astra Zeneca geimpft wurden? Das wirft ein großes Fragezeichen in der weiterführenden Impf-Strategie auf."
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