Welt-Alzheimertag: Wie pflegende Angehörige für sich selbst sorgen können

Welt-Alzheimertag: Wie pflegende Angehörige für sich selbst sorgen können
Menschen mit Demenz zu pflegen, ist eine enorme Herausforderung für Angehörige. Experten sagen, was sie für sich tun können.

Nichts mehr ist, wie es war. „Einen Menschen mit Demenz im häuslichen Umfeld zu versorgen, verändert alles. Nicht nur das Leben des Betroffenen, sondern auch das des Pflegenden“, schreibt Katrin Beckmann in ihrem neuen Buch „Die Kraft der Achtsamkeit für pflegende Angehörige“ (Verlag Irisiana, 18,50 Euro).  Als Demenzcoach weiß sie, was Angehörige leisten, wie viel Mut, Geduld, Verständnis und Einfühlungsvermögen sie brauchen. Es kann schwierig sein, sich selbst dabei nicht zu verlieren und sein eigenes Leben aufrechtzuerhalten.

In Österreich leben aktuellen Schätzungen zufolge rund 130.000 bis 150.000 Menschen mit einer Demenzform, wobei Alzheimer die häufigste ist. Deren Pflege ist oft Familienangelegenheit, laut Alzheimer Austria werden rund 80 Prozent der Menschen mit Demenz über viele Jahre daheim betreut – 24 Stunden lang, sieben Tage die Woche. Eine Aufgabe, bei der viele über ihre Grenzen gehen, aber wenig Anerkennung erfahren, betont Beckmann. 

Halte ich das durch?

Dazu kommt emotionale Betroffenheit. „Selbst bei Menschen, die aus ganzem Herzen pflegen, stellt sich eines Tages die Frage, ob sie das auf Dauer durchhalten. Sie sind nicht nur als Sorgende enorm gefordert, sondern auch auf der Gefühlsebene“, sagt Sepp Fennes, Coach und Trainer mit Schwerpunkt Demenz.  Es entsteht das Empfinden eines steten Verlusts und vieler Abschiede.  „Die Person, die man kannte, hat sich oft stark verändert. Der entscheidungskräftige Lebenspartner wird beispielsweise zum überforderten Menschen. Das ist schwer zu integrieren“, so Fennes.  Und: „Die Herausforderung ist auch abhängig von der Art der Demenz.  Das Idealbild des aus vollem Herzen Pflegenden gibt es, bleibt aber ein Idealbild. Die Wirklichkeit hat viele Facetten “, so Fennes. Die Last sei so oder so enorm: „Die Sorge ist 24 Stunden lang da, man muss funktionieren, im Bewusstsein, dass mittelfristig wenig besser wird.“ 

Gegen das Ausbrennen

Das geht allerdings nicht, ohne mit den eigenen Energien und persönlichen Prozessen bewusst und sorgsam umzugehen. „Nur so wirken pflegende Angehörige einem frühzeitigen Ausbrennen entgegen“, betont Fennes. An sich zu denken, ist nicht egoistisch, sondern grundlegend.  Genauso wie sich Hilfe und Unterstützung zu holen (siehe unten). Bei seinen Vorträgen und Workshops zitiert der Coach gerne den Gedanken des Zisterziensermönchs Bernhard von Clairvaux zur Reflexion: „Wenn du mit dir selber schlecht umgehst, wem bist du dann gut?“ 

Der wichtigste Beitrag zur Erhaltung der körperlich-seelischen Balance ist gelebte Selbstfürsorge: Je mehr die Pflegenden auf ihre Anliegen achten, desto größer wird ihre Lebenskraft und Wirksamkeit sein. Dafür hat Fennes den "Selbstfürsorgekompass" entwickelt, der sich verschiedenen Ebenen des Lebens widmet und pflegenden Angehörigen den Weg weist.  Zunächst gilt es, auf den eigenen Körper zu hören, der deutlich anzeigt, wann er mehr Fürsorge braucht: gesündere Ernährung, Bewegung, Erholungsphasen, etwa. Eigene Bedürfnisse sollten unbedingt ernst genommen werden, als Ausdruck der Lebensenergie – von physischen über soziale bis seelische Bedürfnisse, wie etwa Wertschätzung, Geborgenheit, Einfühlsamkeit. Und schließlich geistige, z.B. Selbstbestimmung, Autonomie, Spiritualität. 

Welt-Alzheimertag: Wie pflegende Angehörige für sich selbst sorgen können

Sepp Fennes, Coach und Trainer

„Resilienz erwächst aus einer guten Kenntnis und Beachtung dieser Bedürfnisse und dem Mut, diese seinem Umfeld zu kommunizieren“, betont Fennes. Gefühle sind hier wesentlich, weil sie den Erfüllungsgrad der jeweiligen Bedürfnisse anzeigen. „Freude, Heiterkeit und Zufriedenheit weisen auf  eine Erfüllung hin. Frustration, Ärger und Wut auf die Nichtbeachtung oder Verletzung“, so Fennes. 

Selbstfürsorge bedeutet weiters, belastende Gedanken und Glaubenssätze auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und in Frage zu stellen, hier gilt: Glauben Sie nicht alles was Sie denken! Weiters helfen positive Bilder oder Symbole, Energie zu sammeln und Trost zu finden. Zu guter Letzt gilt: Es gibt nicht Gutes, außer man tut es. Wer weiß, was ihm guttut, sollte es praktisch umsetzen. Fennes: „Erholung und Batterien aufladen ist nicht nur Ihr Recht, sondern auch Ihre Pflicht. Gönnen Sie sich täglich etwas, was Sie nährt und stärkt."

Drei Achtsamkeitsinseln für die Selbstfürsorge

Welt-Alzheimertag: Wie pflegende Angehörige für sich selbst sorgen können

Wer gut für sich sorgt, kann gut für andere sorgen

„Um den Pflegealltag zu meisten, brauchen pflegende Angehörige einen individuellen Plan“, meint Demenzcoach Katrin Beckmann. Dazu gehört aus ihrer Sicht, Achtsamkeitsinseln in den Alltag zu integrieren – ohne Druck, in kleinen Schritten.

  • Achtsamkeitsjournal: Eine Art Tagebuch, um Gedanken und Gefühle festzuhalten. Wie war mein Tag? Wie fühle ich mich? Wofür bin ich dankbar?
  • Kurzmeditation: Ideal für Zeiten, im Leerlauf, etwa im ärztlichen Wartezimmer oder unter der Dusche. Augen schließen, Atmung beobachten, sich vorbeiziehende Wolken vorstellen. Mit einem Danke oder einer Affirmation beenden: „Ich bin mutig und stark.“
  • Bewusste Kaffee- oder Teepause: Getränk langsamer und bewusster als normal zubereiten, beim Trinken auf das Aroma und den Geschmack achten, sich Zeit lassen und genießen.

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