Was die Medizin in einem Jahr Covid-19 gelernt hat

Was die Medizin in einem Jahr Covid-19 gelernt hat
Die Wünsche von Tiroler Intensivmedizinern: Möglichst schnell impfen lassen und konsequentes Maskentragen.

Frühzeitig entzündungshemmendes Cortison bei Atmungssymptomen durch Covid-19 und erst spät invasive Beatmung. Das sind laut dem nächsten Präsidenten der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI), Leiter der Intensivabteilung am Krankenhaus Zams in Tirol, Walter Hasibeder, zwei Kernpunkte im Lernprozess der Medizin zu SARS-CoV-2 im vergangenen Jahr. Seine Wünsche: Schnelles Impfen und konsequentes Maskentragen.

Am Krankenhaus Zams war man 2020 von Anbeginn der SARS-CoV-2-Pandemie mit zum Teil schwerkranken Patienten konfrontiert. "Insgesamt hatten wir von März 2020 bis Jänner 2021 458 Covid-19-Patienten in unserem Spital. In der ersten Welle, von März bis Juli vergangenen Jahres, waren es 154 Hospitalisierte, davon kamen 16,2 Prozent auf die Intensivstation. In der zweiten Welle, von September 2020 bis Jänner 2021, waren es 304 hospitalisierte Patienten, 12,5 Prozent mussten in die Intensivstation aufgenommen werden", sagte Hasibeder im Gespräch mit der APA. Der Spezialist arbeitet für die ÖGARI auch regelmäßig die aktuelle internationale Fachliteratur auf.

Höheres Durchschnittsalter bei zweiter Welle

Die beiden Phasen der Covid-19-Pandemie unterschieden sich laut den Erfahrungen der Intensivmediziner in ihren Konsequenzen ganz wesentlich voneinander. Der President elect der ÖGARI: "Während in der ersten Welle die Mortalität der in unser Spital aufgenommenen Covid-19-Patienten 11,7 Prozent betrug, lag sie in der zweiten Welle bei 13,5 Prozent. Das ist ein relativ kleiner Unterschied, aber: Die Mortalität der auf der Intensivstation behandelten Patienten betrug in der ersten Welle 12,5 Prozent, in der zweiten jedoch 36 Prozent."

Hasibeder führte dafür vor allem zwei Gründe an: "In der ersten Welle von Covid-19 betrug das mittlere Alter der Intensivpatienten 63 Jahre, in der zweiten Welle hingegen im Mittel 72 Jahre. Die älteren Patienten hatten häufiger arteriellen Bluthochdruck und andere Vorerkrankungen."

Der wichtigste Fortschritt in der medikamentösen Behandlung von Covid-19-Patienten kam laut dem Intensivmediziner von dem Uralt-Entzündungshemmer Cortison. "Jeder Covid-19-Kranke, der ins Spital eingeliefert wird und Symptome wie Atemnot, 'Druck auf Brust' oder Hinweise auf eine reduzierte Sauerstoffsättigung im Blut hat, bekommt bei uns zehn Tage lang acht Milligramm Dexamethason pro Tag. Wundermittel ist es keines." Aber zumeist zeige sich eine allfällige Wirkung binnen drei, vier oder fünf Tagen. Weiterhin ein großes Problem rund um Covid-19 laut dem Intensivmediziner: "Der Verlauf dieser Erkrankung ist nicht vorhersehbar." Das sei das völlig Neue rund um SARS-CoV-2.

Der zweite große Lernprozess der Intensivmediziner laut Hasibeder: "Wir versuchen, möglichst lang eine invasive maschinelle Beatmung samt Intubation hinauszuzögern." Möglichst lang soll eine ausreichende Sauerstoffversorgung über dicht sitzende Masken - auch mit maschineller Unterstützung - gewährleistet werden. Der Grund dafür, so der Experte: "Unter invasiver maschineller Beatmung mit Intubation haben wir Patienten gehabt, bei denen sich binnen kurzer Zeit, auch nur binnen zwei Wochen, eine schwere Lungenfibrose entwickelt hat. So etwas habe ich zuvor 'nie im Leben' gesehen." Manchmal ließen sich eine Intubation und maschinelle Beatmung aber nicht vermeiden. Der monoklonale Antikörper Tocilizumab gegen Interleukin-6 (sonst ein Mittel gegen rheumatische Polyarthritis) habe zur Verhinderung der schwersten Krankheitsverläufe keine überzeugenden Studiendaten aufzuweisen.

Frühzeitige Anwendung notwendig

Antiviral gibt es derzeit eher Ernüchterung, was SARS-CoV-2 betrifft. Ob Remdesivir, das Aids-Kombinationsmittel Ritonavir/Lopinavir oder ähnliche Virusstatika, empfohlen sei das nicht mehr und bringe offenbar nichts. Bei Rekonvaleszeneten-Plasma von Spendern, die Covid-19 überstanden haben, gibt es ein großes Problem. Hasibeder: "Die enthaltenen Antikörperkonzentrationen sind sehr heterogen." Und die in den vergangenen Monaten entwickelten monoklonalen Antikörper gegen SARS-CoV-2 eigneten sich eher als "passive Impfung". "Bei Infizierten müsste man sie sehr frühzeitig anwenden. Aber wer geht mit einem 'Schnupfen' schon gleich zum Arzt. Geeignet wären die monoklonalen Antikörper zum Beispiel, wenn ein Besucher SARS-CoV-2- in ein Altersheim gebracht haben könnte und man die Kontaktpersonen in Form einer 'Passiv-Impfung' zu schützen versucht."

Bleibt noch die Blutverdünnung mit Heparinen, die laut Beobachtungsstudien die Mortalität von hospitalisierten Covid-19-Patienten rund ein Drittel senken kann. "Viele der Patienten entwickeln Mikrozirkulationsstörungen, Thrombosen bis hin zu Lungenembolien. Es können auch Herzinfarkte dadurch auftreten. Hier gibt es mit Heparin gute Erfahrungen", sagte der Intensivmediziner. Derzeit würden die Patienten bei Aufnahme ins Spital auch Dosen des Medikaments erhalten, wie sie sonst zur Therapie von Thrombosen eingesetzt werden."

So ist die Medizin im vergangenen Jahr in der Behandlung von Covid-19-Patienten auf relativ "traditionelle Weise" deutlich besser geworden. Die größten Wünsche des zukünftigen Präsidenten der ÖGARI: "Möglichst viele Menschen sollten sich möglichst schnell impfen lassen. Und zwar mit egal welchem der zur Verfügung stehenden Impfstoffe. Sie wirken alle gut." Das gelte natürlich auch für die Vakzine von Oxford-AstraZeneca.

Die zweite wichtige Maßnahme, so Hasibeder: "Das ist das konsequente Tragen der (FFP2-)Masken. Die Wirkung ist unglaublich groß. Das senkt das Infektionsrisiko gegen Null."

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