Fertilitätspolitik in Österreich: Der beschwerliche Weg zum Wunschkind

Eine Frau hält ein Ultraschallbild eines Babys in Händen.
Immer mehr ungewollt kinderlose Paare möchten Fruchtbarkeitsbehandlungen in Anspruch nehmen, berichten Fachleute. Wie groß die Hürden zum Wunschbaby in Österreich und ganz Europa sind, zeigt eine neue Studie.

Trauer, Ohnmacht, Scham und Schuldgefühle: Es sind Emotionen wie diese, die mit einem unerfüllten Kinderwunsch verbunden sein können. Rund einer von sechs Menschen ist weltweit betroffen, allein in Europa sind es 25 Millionen. Wie gut sie versorgt sind, führt der eben veröffentlichte "Fertility Atlas" (deutsch: Fruchtbarkeitsatlas) vor Augen.

Durchwachsenes Zeugnis für Österreich

Bereits zum zweiten Mal hat das European Parliamentary Forum for Sexual & Reproductive Rights (EPF) zusammen mit Fertility Europe die Fertilitätspolitik von 49 Ländern verglichen. Österreich landet hinter Bulgarien und vor Island im Mittelfeld. Spitzenreiter sind Belgien und die Niederlande, Schlusslicht der Kosovo.

Bewertet wurden die Nationen unter anderem anhand der finanziellen Unterstützung für Betroffene, vorhandenen Behandlungsoptionen und allgemeinen gesetzlichen Regelungen. "Der Atlas misst nicht, wie fruchtbar die Menschen in einem Land sind, sondern, wie gut die politischen Rahmenbedingungen für unfruchtbare Personen sind", präzisiert Leonidas Galeridis vom EPF in einer Pressekonferenz am Mittwoch. 

Kritik an Kriterien für Kostenübernahme

Aufholbedarf gibt es hierzulande demnach beispielsweise bei der Kostenübernahme. Zwar haben Paare unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, den staatlich finanzierten IVF-Fonds in Anspruch zu nehmen. Er refundiert allerdings nur einen Teil der Kosten für künstliche Befruchtungen. Um für den Fonds infrage zu kommen, müssen spezifische Diagnosen vorliegen. Fachleute fordern seit Längerem, Unfruchtbarkeit als für sich stehende Diagnose anzuerkennen und etwa auch das Alter – für eine Fonds-Finanzierung darf die Frau nicht älter als 40 Jahre sein – anzuheben. Nur so könne ein gleichberechtigter Zugang zu geförderten Behandlungen gesichert werden. 

Seit der Novellierung des Fortpflanzungsmedizingesetzes 2015 können sich auch lesbische Paare über den Fonds ihren Babywunsch erfüllen. Alleinstehende Frauen, anders als in Deutschland beispielsweise, nicht.

Teuerung macht auch vor Fruchtbarkeitsbehandlungen nicht Halt

Mit der jüngsten Teuerung hält der Fonds zudem nicht Schritt, kritisiert Alexander Just, Reproduktionsmediziner am Kinderwunschzentrum an der Wien. So seien etwa Kosten für Medikamente oder die Eizellentnahme deutlich gestiegen. "Es wäre essenziell, dass der Fonds aufgestockt wird, um die Kosten der Behandlungszyklen besser abzudecken." Bisher vorgenommene Aufstockungen seien nicht ausreichend.

Grundsätzlich – heißt es auch auf KURIER-Anfrage aus dem Gesundheitsministerium – sind die Mittel des IVF-Fonds budgetär nicht beschränkt. Das heißt: Alle Personen, die einen Rechtsanspruch haben, werden unterstützt. Allerdings: Als der Fonds im Jahr 2000 eingerichtet wurde, wurden Tarife für die zu fördernden Behandlungen vereinbart. Diese deckten im Laufe der Jahre inflationsbedingt, aufgrund allgemeiner Preissteigerungen sowie neuer, teurer Medizintechniken die realen Kosten der Therapien nicht mehr ab. Vergangenes Jahr wurden hier erste Anpassungen getroffen. 

Betroffene klagen dennoch darüber, dass die selbstzutragenden Kosten ebenfalls empfindlich gestiegen seien.

Nach der Definition der WHO liegt Unfruchtbarkeit beim Menschen vor, wenn nach einem Jahr trotz regelmäßigen, ungeschützten Geschlechtsverkehrs zu optimalen Zeitpunkten keine Schwangerschaft zustande kommt.

Der IVF-Fonds übernimmt bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen (demografischer wie medizinischer Natur) 70 Prozent der Behandlungs- und Medikamentenkosten. Die restlichen 30 Prozent trägt das Paar selbst. Samenübertragungen (Insemination), bei denen männliche Samen in den Genitaltrakt der Frau übertragen werden, sind davon nicht abgedeckt. Zuletzt wurden 2022 im Rahmen des IVF‐Fonds 12.392 IVF‐Versuche durchgeführt. 2016 waren es noch knapp über 10.000.

Die Nachfrage in den Kinderwunschkliniken ist jedenfalls enorm, weiß Experte Just – Tendenz steigend. Wie viele Frauen und Männer in Österreich genau ungewollt kinderlos sind, lässt sich nicht abschätzen. Einheitliche Statistiken zu Fruchtbarkeitsbehandlungen – ebenfalls ein Gütekriterium im Fertility Atlas – fehlen. Zwar werden über den IVF-Fonds geförderte Fruchtbarkeitsbehandlungen erfasst. Privat bezahlte in allerdings nicht.

Betroffene psychosozial begleiten

Rückständig sei man laut Fertility Atlas auch bei der kostenlosen psychosozialen Begleitung Betroffener. Immerhin zeigen Studien, dass die Belastungen, die mit Unfruchtbarkeit verknüpft sind, mit jenen nach einer Krebsdiagnose vergleichbar sind.

Wie es sich anfühlt, mit Unfruchtbarkeit umgehen zu müssen, weiß Christina Fadler aus Erfahrung. 2019 fand sie sich mit ihrem Partner im Wartezimmer einer Fruchtbarkeitsklinik wieder. Trotz langem Versuchen war Fadler auf natürlichem Weg nicht schwanger geworden. Eine eindeutige Ursache fand man nicht.

Ihren Strapazen entsprang erst ein Blog, dann eine Selbsthilfegruppe – inzwischen mit landesweiten Ablegern – und letztlich der Verein "Die Fruchtbar", mit dem Fadler das Thema Unfruchtbarkeit aus der Tabu-Zone holen will. Heute ist Fadler Mama eines Babys, das durch künstliche Befruchtung gezeugt wurde. Ihr Weg zum Wunschbaby hat Spuren hinterlassen. Finanziell – rund 6.000 Euro gab das Paar in Summe aus –, vor allem aber emotional. "Sich den Kinderwunsch zu erfüllen, sollte nicht privilegierten Menschen vorbehalten sein. Und Betroffene sollten mit der Belastung nicht allein gelassen werden." Existierende Familienberatungsstellen seien gute Anlaufstellen für Menschen, die bereits Kinder haben. Für ungewollt Kinderlose seien sie "nicht entsprechend spezialisiert".

Social Freezing für mehr reproduktive Selbstbestimmung

Gefordert wird vonseiten "Die Fruchtbar" auch die Legalisierung von Embryonenspenden und Social Freezing für mehr reproduktive Selbstbestimmung. Damit würde auch Fortpflanzungstourismus – viel Paare müssen für Behandlungen ins Ausland reisen – eingedämmt. Derartige Gesetzesänderungen, in Österreich ist beides aktuell nicht erlaubt, sind nicht unumstritten. Eine gesetzliche Lockerung würde Kommerzialisierung und Missbrauch Tür und Tor öffnen, argumentieren Kritikerinnen und Kritiker. Auch späten und damit besonders risikoreichen Schwangerschaften würde die Rutsche gelegt.

Faire Fertilitätspolitik sei dennoch nicht zuletzt ein entscheidender Gegenimpuls zur fortschreitend alternden Gesellschaft, betont EPF-Vorsitzende und SPÖ-Nationalratsabgeordnete Petra Bayr. "Wir wissen, dass der globale Norden ein Problem mit der Fruchtbarkeitsrate (durchschnittliche Anzahl der lebendgeborenen Kinder pro Frau im gebärfähigen Alter, Anm.) hat." In der Diskussion oft übersehen: Frauen, die gerne schwanger werden würden, es aber aus medizinischen Gründen nicht können.

Kommentare