Umstrittenes Thema: Soll ab 12 Jahren gegen Covid-19 geimpft werden?
„Bei der Covid-19-Schutzimpfung für 12- bis 15-Jährige gehen die Meinungen der Eltern total auseinander“, sagt Volker Strenger, Kinderinfektiologe an der MedUni Graz: „Die einen sehnen den Tag der Impfung für ihre Kinder herbei, weil sie diese schützen wollen. Die anderen sind dagegen, weil sie sagen, die meisten Kinder haben bei einer SARS-CoV-2-Infektion keine ernsten Symptome.“
Natürlich sei es „aus infektiologischer, virologischer und gesellschaftlicher Sicht sinnvoll, alle Kinder zu impfen“, sagt Strenger. „Andererseits geht es auch darum, ob man Kindern, die weniger bedroht sind als ältere Altersgruppen, die Impfreaktionen zumuten will – gerade jetzt, da das Infektionsrisiko gering ist.“ In erster Linie würde man ja für den Eigenschutz impfen, nicht für den Herdenschutz. Und es sei die Frage, ob es vertretbar sei, nur den Herdenschutz als Argument für die Impfung der 12- bis 15-Jährigen heranzuziehen. „Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass im Herbst die Infektionszahlen wieder ansteigen werden." Unentschlossene Eltern könnten bis August abwarten, bis dahin wird es mehr Daten geben.“
Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA entscheidet Freitag über die Zulassung des Impfstoffs von Biontech/Pfizer für die 12- bis 15-Jährigen – und wird diesen wahrscheinlich empfehlen. Das Nationale Impfgremium werde in den Tagen danach seine Empfehlungen abgeben“, heißt es im Gesundheitsministerium. In Deutschland erklärten bereits Mitglieder der Ständigen Impfkommission (STIKO), dass eine generelle Impfempfehlung für alle Kinder unwahrscheinlich sei. Noch gebe es zu wenig Daten.
Vormerkungen für diese Altersgruppe sind in Österreich bereits teilweise möglich – in Wien sind etwa schon 15 Prozent angemeldet. In den USA wird diese Altersgruppe schon seit Anfang Mai geimpft. Laut US-Gesundheitsbehörde CDC waren in der Zulassungsstudie 2.264 Kinder, die Hälfte erhielt ein Placebo. In der geimpften Gruppe trat kein Covid-Fall auf, in der Placebo-Gruppe gab es 16 Fälle. Zumeist kam es nur zu milden Impfreaktionen, es gebe aber keine Sicherheitsbedenken. Etwas erhöht waren in der Impfgruppe die Fälle von vorübergehenden Lymphknotenschwellungen.
Die komplette Studie, von externen Fachleuten geprüfte Studie zur Impfung der Kinder und Jugendlichen wurde heute, Freitag, im New England Journal of Medicine veröffentlicht. Mehr dazu lesen Sie hier:
„Extreme Symptome“
Auch wenn es nicht so häufig ist – aber auch Kinder können nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 schwer erkranken, betont Strenger. Bis einschließlich März 2021 wurden in Österreich 846 Kinder wegen SARS-CoV-2 in einem Spital aufgenommen, 75 auf einer Intensivstation. Bis Jänner waren 50 Fälle des schweren Entzündungssyndrom PIMS gemeldet worden, „in den letzten Wochen sind jede Woche zusätzlich 1 bis 9 Kinder mit Hyperinflammation (starken Entzündungen) aufgenommen worden, jedoch nur die Hälfte mit dem Vollbild eines PIMS.“
„Alleine wir hatten auf unserer Klinik 15 Kinder mit diesem Syndrom. Dabei kommt es zu extrem hohem Fieber, häufig auch zu einer Herzmuskelentzündung bis hin zu einem Organversagen“, sagt Susanne Greber-Platzer, Leiterin der Kinderklinik am Wiener AKH / MedUni Wien. „Die ursprüngliche Infektion verlief harmlos, teilweise mit wenig Fieber, aber ein bis drei Wochen später kamen extreme Symptome.“
Normalität auch für die Jüngeren
Zusätzlich gebe es auch bei Kindern Fälle von Long Covid. Greber-Platzer verweist auch auf die psychischen Probleme durch die lange Isolation: „Das können wir im Herbst nicht wiederholen. Mit der Impfung dieser Altersgruppe werden auch jene Jugendlichen geschützt, die wegen einer Grunderkrankung auf die Impfung nicht gut angesprochen haben.“ Sie ist für eine rasche Impfung, um den ohnehin belasteten Kindern einen unbeschwerten Sommer zu ermöglichen."Wir haben die jungen Menschen ein wenig vergessen, deshalb kann ich nur sagen, sie sollten auch so rasch wie möglich geimpft werden, um ihnen genauso zu ermöglichen, ein weitgehend normales Leben zu führen. Es ist wichtig für ihre Entwicklung, dass sie sich ohne Sorgen mit Gleichaltrigen treffen können, soziale Kontakte aufbauen können - wir sehen ja, dass alles andere in die Depression und in psychische Störungen führt."
„In den USA wurden mehr als 600.000 Kinder zwischen 12 und 15 Jahren geimpft“, sagt Thomas Müller, Leiter der Kinder- und Jugendheilkunde der Uni-Kliniken Innsbruck. „Hätte es einen Zwischenfall gegeben, wäre das publik geworden. Es gibt keinen Hinweis auf andere Nebenwirkungen als die bisher bekannten. Langzeitfolgen sind extrem unwahrscheinlich.“ Und: „Das Virus wird das verbleibende Reservoir an Ungeimpften nützen, um sich vermehren zu können. Sollten im Herbst/Winter viele Jugendliche gleichzeitig infiziert sein, werden wir auch mehr schwer Kranke sehen.“
Und Volker Strenger sagt: "Lieber zwei Tage mit Impfreaktionen als zwei Monate im Homeschooling."
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