Technologie im Turbogang: Wie Sensoren unser Leben verlängern
Alarm! Die Smartwatch vibriert, es beginnt ein 20-sekündiger Countdown. Sie hat durch ihre Sensoren erkannt, dass ihr Träger gerade einen Herzstillstand erleidet. Da der Countdown nicht abgebrochen wird, kontaktiert die Uhr automatisch den Notdienst und übermittelt den Standort des Patienten. Die Rettungskräfte sind schnell vor Ort, sie können den Smartwatch-Träger wiederbeleben.
1. Smartwatch
Dieser Notfall ist zwar erfunden, aber möglich. Die neueste Pixel-Smartwatch von Google kann etwa seit Mitte Oktober einen Herzstillstand erkennen. Das Unternehmen betont allerdings, dass die Uhr nicht jeden Herzstillstand zuverlässig erkenne und für Personen mit bestehenden Herzkrankheiten ungeeignet sei. "Man muss immer bedenken, dass solche tragbaren Geräte keine Medizinprodukte sind", sagt Richard Felsinger, Allgemeinmediziner und Experte für Public Health an der Medizinischen Universität Wien. "Sie geben bei manchen Gesundheitsdaten einen guten Richtwert an, können allerdings auch in die Irre führen."
Bereits jetzt zeichnen Smartwatches, Smartphones und auch smarte Ringe allerlei Körperdaten auf: Körpertemperatur, Atemfrequenz, Herzrhythmus, Schlafdaten – das sind alles Informationen, durch die Ärzte frühzeitig Krankheiten entdecken können. "Alles, was man kontinuierlich messen muss, kann man eigentlich bereits am Handgelenk messen oder es wird bald kommen", meint Gerald Urban vom Institut für Mikrosystemtechnik der Universität Freiburg.
2. Blutzucker-Sensor
Zwar nicht am Handgelenk, aber am Oberarm kann man heute bereits kontinuierlich seinen Blutzucker messen. Ein münzgroßer CGM-Sensor ermittelt dank einer feinen Nadel den Glukosegehalt in der zwischenzellulären Flüssigkeit und gibt so kontinuierlich Auskunft über die Glukosewerte. Diese werden dann direkt an ein eigenes Gerät oder das Smartphone übertragen oder steuern eine Insulinpumpe. Solche Sensoren werden mittlerweile nicht nur von Diabetespatienten genutzt, sondern sind auch unter Sportlern beliebt, die sich dadurch Trainings- und Leistungsverbesserungen versprechen. Der Sensor muss bisher noch alle ein bis zwei Wochen gewechselt werden. Es gibt allerdings bereits implantierbare Sensoren, die monatelang unter der Haut getragen werden können. Ältere Generationen an CGM-Sensoren müssen zudem noch manuell kalibriert werden, der Pieks in den Finger entfällt also nicht. Neuere Versionen kommen aber auch ohne Referenzmessungen aus.
3. Cochlea-Implantat
Technologie kann Körperfunktionen allerdings nicht nur messen, sondern verlorengegangene Funktionen teilweise auch wiederherstellen. „Das Cochlea-Implantat gilt in dieser Hinsicht als Erfolgsgeschichte, auch weil die Anfänge in Österreich liegen“, sagt Urban. Das Ehepaar Ingeborg und Erwin Hochmair zählt zu den Erfindern des Geräts, das Gehörlosen und Schwerhörigen wieder das Hören ermöglicht. Ein Mikrofon, das meist hinter dem Ohr befestigt ist, nimmt Schallwellen auf und wandelt sie in elektrische Signale um. Diese werden drahtlos an eine implantierte Spule übertragen, die im Innenohr sitzt und den Hörnerv stimuliert. „Solche Implantate, die heute bei Kleinkindern eingesetzt werden, müssen 100 Jahre halten“, sagt Urban. Das sei bei Cochlea-Implantaten aufgrund ihres Einsatzortes möglich, bei anderen Implantaten sieht es allerdings nicht so gut aus. Implantate wie jene der Elon-Musk-Firma Neuralink werden direkt auf die Hirnrinde gesetzt, wo sie sowohl Signale empfangen als auch senden können. Sie dienen quasi als „Bypass“ für beschädigte Nerven und könnten in ferner Zukunft vielleicht blinden Menschen das Sehen und gelähmten Menschen das Gehen ermöglichen. Noch sei man laut Urban allerdings weit davon entfernt – die Haltbarkeit dieser Geräte im Körper ist zu gering: „Man kann nicht einen Metallklotz ins Hirn setzen. Die Implantate müssen sehr klein und flexibel sein und bestehen daher aus Kunststoff“, sagt Urban. Darunter leidet die Haltbarkeit. „Für eine kurze Zeit, etwa ein bis zwei Jahre, geht das. Alles darüber hinaus ist aber noch eine Utopie.“
4. Herzschrittmacher
Glücklicherweise halten Herzschrittmacher deutlich länger. Hier ist nicht das Material das Problem, sondern die Energieversorgung. Macht die Batterie nach sieben bis zehn Jahren schlapp, muss er ausgetauscht werden. Mittlerweile sind viele Schrittmacher allerdings so klein, dass sie minimalinvasiv durch eine kleine Öffnung eingesetzt und auch wieder ausgetauscht werden können. Diese Operation gilt als besonders schonend.
Erst heuer wurde einem Menschen erstmals auch ein komplett künstliches Herz aus Titan implantiert. Es diente einem 58-jährigen US-Amerikaner als Überbrückung, bis er sein Spenderherz erhielt. Acht Tage lang lebte der Mann mit der künstlichen Pumpe, und es wären wohl noch einige mehr möglich gewesen. Das Gerät gilt als ausdauernd, eines läuft seit Jahren durchgehend im Labor des Herstellers Bivacor.
5. 3-D-gedruckte Körperteile
Implantate und Prothesen werden heutzutage oft mithilfe von 3-D-Druckern hergestellt. Entweder wird damit eine individuelle Form erstellt, in die meist eine Titanlegierung gegossen wird, oder die Prothesen werden direkt mit einem Laser in ein Bett mit Titanpulver hineingeschmolzen. Dank solcher passgenauen Prothesen können sich viele Patienten schmerzfrei bewegen.
Durch 3-D-Druckverfahren lassen sich allerdings nicht nur Metalle, sondern auch biologisches Material – also Zellen – drucken. „Im Feld des Bio-Printing tut sich einiges, die Zahl der Studien in den vergangenen zehn Jahren ist regelrecht explodiert“, sagt Felsinger. Mittlerweile könnten bereits Leberzellen oder Mini-Herzen aus menschlichem Gewebe gedruckt werden, so der Mediziner: „Bis ganze Organe aus dem 3-D-Drucker kommen, dauert es allerdings sicher noch mindestens zehn Jahre.“
6. Sehne aus Stammzellen
Künstliche Sehnen aus körpereigenen Zellen könnten allerdings schon früher in die Kliniken kommen. Forscher nutzen dafür etwa Stammzellen, die auf einem Gerüst aus Seidenprotein aufgebracht werden und so zu einer neuen Sehne wachsen. Zumindest in Tierversuchen zeigen sich künstliche Achillessehnen, die durch diese Methode gewachsen sind, vielversprechend. Doch bis sie auch in Menschen eingesetzt werden, dürfte noch einige Zeit vergehen.
„Momentan ist man in der Medizin in einer Art Revolutionszeitalter. Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz erzielt man in allen Disziplinen enorme Forschungsfortschritte“, sagt Felsinger. Bis klinische Tests durchgeführt und medizinische Zulassungen verteilt werden, dauere es Jahre bis Jahrzehnte.
„Die tief hängenden Früchte wurden bereits gepflückt“, meint Urban. Zwar hoffen viele auf einen KI-Motor, der die Forschung antreibt, dafür brauche es allerdings Lerndaten. Diese seien schwierig zu gewinnen und zu bewerten. Glücklicherweise hänge ein langes Leben aber nicht nur von technischen Fortschritten ab. „Wir ernähren uns gesünder, rauchen weniger, haben bessere Arbeitsbedingungen, mehr Wohlstand und mehr soziale Kontakte im Alter – das alles trägt zur Lebenserwartung bei“, sagt Felsinger. „Es ist nicht nur die Medizin verantwortlich.“
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