Aufrecht war gestern: Wie uns das Smartphone krank macht

Das Smartphone verändert nicht nur den Alltag, sondern auch den Körper. Es kommt zu Haltungsschäden, Bandscheibenvorfällen und Kurzsichtigkeit. Mediziner raten nun dringend zu Ausgleichsübungen – auch für den Geist.
Der aufrechte Gang zeichnet den modernen Menschen auf besondere Weise aus. Doch das Zeitalter des Smartphones scheint einer gewissen Degeneration Vorschub zu leisten. Statt erhobenen Hauptes und mit nach vorne gerichtetem Blick wandeln wir zunehmend von leuchtenden Rechtecken gefesselt durch die Welt: Kopf vorgeneigt, Nacken gekrümmt, die Schultern hochgezogen.
"Hartnäckige Nackenbeschwerden sind längst ein relevantes Thema in der täglichen Praxis", sagt Vinzenz Auersperg, Leiter der Abteilungen für Orthopädie und orthopädische Chirurgie am Pyhrn-Eisenwurzen Klinikum an den Standorten Kirchdorf und Steyr.
Schleichende Folgen
Die chronischen Folgen eines exzessiven Gebrauchs liegen für den Experten auf der Hand: "Ganz offensichtlich haben ausgiebige Tätigkeiten am Handy Folgen für den Bewegungsapparat. Das betrifft in erster Linie den Nacken, wobei hier ein durchaus großflächiges Areal betroffen ist."
Auf der Omnipräsenz von Smartphones und Tablets fußt tatsächlich die Entstehung eines neuen pathologischen Phänomens: der Handynacken. Damit werden Beschwerden im Schulter-Nacken-Bereich bezeichnet, "die durch die Fehlhaltung der Halswirbelsäule beim Gebrauch digitaler Geräte entstehen".
Am häufigsten mache sich der sogenannte Text Neck in Form von Verspannungen und dadurch ausgelösten Spannungskopf- oder Schulternackenschmerzen bemerkbar. "Langfristig können durch Haltungsschäden dauerhafte Veränderungen des Skeletts begünstigt werden." Besteht etwa schon bei Jugendlichen ein sogenannter Rundrücken, eine verstärkte Krümmung des oberen Rückens, kann sich das ins Alter mit Folgeproblemen fortsetzen. "Denkbar sind chronische Schmerzen im Rücken und Nackenbereich und eingeschränkte Beweglichkeit. In weiterer Folge können sich mit anhaltender Fehlhaltung entsprechend degenerative Veränderungen an Gelenken und Bandscheiben entwickeln, welche die Fehlhaltung im Sinne von Rundrücken und Inklination der Halswirbelsäule fixieren kann", zählt Auersperg auf.
Immer wieder geistern regelrecht groteske Geschichten von durch Handynutzung verformten Nacken durchs Netz. Im Fachblatt der japanischen Orthopäden-Gesellschaft berichteten Fachleute kürzlich vom Fall eines 25-jährigen Mannes mit einer pathologisch nach hinten gerichteten Krümmung der Halswirbelsäule. Neben einer Entwicklungsstörung machten die Experten auch die überbordende Handynutzung als Ursache aus. Mit einer operativen Korrektur konnten die Beschwerden des Patienten gelindert werden.
"Es gibt eine Reihe von Studien, in denen derart gravierenden Auswirkungen als Ausprägung unseres immer intensiveren Smartphonekonsums beschrieben werden", sagt Orthopäde Auersperg. "Jemand, der sich auf Dauer eine Fehlhaltung einhandelt, bekommt mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Veränderungen an jenen Stellen, die dadurch besonders belastet werden, also am Übergang von Hals- zur Brustwirbelsäule. Bis zu einem gewissen Stadium kann einiges durch konservative Methoden repariert werden. Substanzielle, degenerative Probleme sind bei stundenlanger täglicher Handynutzung zu erwarten, etwa Bandscheibenschäden oder Arthrosen im Wirbelsäulenbereich."
Werden durch solche Veränderungen dann auch Nervenstrukturen irritiert, kann die Nutzung des Handys mit ausstrahlenden Schmerzen im Brustbereich, Kribbeln oder Taubheitsgefühlen in den Armen einhergehen.
- 50 Prozent der Befragten gaben 2023 in einer deutschen Studie an, psychisch unter Druck zu geraten, wenn das Smartphone nicht verfügbar ist.
- Stress-Faktor: Die Angst, ohne Smartphone dazustehen, hat einen Namen: Nomophobie (kurz für "No-Mobile-Phone-Phobia").
- 53 Minuten wenden Jugendliche in Österreich laut Statistik Austria täglich allein für die Kommunikation über digitale Geräte auf.
- 80 Prozent der Wienerinnen und Wiener nutzen das Internet laut Mediendiskursstudie 2024 täglich, 50 Prozent tun selbiges mit Social Media. Die Nutzung intensiviert sich: Bei der ersten Erhebung im Jahr 2019 galt dies für 72 bzw. 44 Prozent.
- Effekte im Gehirn: In einer US-Studie mit Heranwachsenden fand man Hinweise, dass starke Smartphonenutzung mit einer veränderten Sensibilität für Belohnung und Bestrafung im Gehirn in Verbindung steht.
Akute Unfallgefahren
Nicht minder bedeutsam sind die unmittelbaren Gesundheitsgefahren, die vom Smartphone und seinen einnehmenden Effekten ausgehen. "Ich würde sagen, dass Handys unsere Sicherheit durchaus ernsthaft gefährden können", bekräftigt Auersperg. Wie risikoreich das Starren aufs Handy sein kann, musste kürzlich ein junges Mädchen erfahren. Die Elfjährige war auf dem Bahnsteig einer Wiener U-Bahn-Station derart in ihr Handy vertieft, dass sie aufs Gleis fiel. Das Kind rettete sich in die Fluchtnische unter der Bahnsteigkante und kam bis auf Abschürfungen mit dem Schrecken davon (der KURIER berichtete).
"Es klingt banal, aber man muss wirklich betonen, dass man das Handy nur verwenden sollte, wenn es sicher genug ist, das zu tun", sagt Auersperg, auch Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie.
Die akute Gefahr, die von der Sogwirkung digitaler Screens ausgeht, untermauern auch Studien: Immer mehr Verkehrsunfälle werden durch einen kurzen Blick aufs Smartphone verursacht. Ablenkung ist laut dem Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV) nach wie vor die häufigste Unfallursache im Straßenverkehr – mehr als 30 Verletzte täglich sind darauf zurückzuführen. Smartphones spielen dabei eine zentrale Rolle. Pro Stunde werden hierzulande durchschnittlich 120.330 Nachrichten aus fahrenden Autos geschrieben.
Wie das Telefonieren ist auch das Schreiben von Nachrichten oder Checken von sozialen Netzwerken auf dem Handy eine ernst zu nehmende Gefahrenquelle im Straßenverkehr. In mehr als der Hälfte aller Unfälle mit tödlichem Ausgang sind schwache Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger, Radfahrer und Motorradfahrer verwickelt. Immer häufiger sind sie auch dafür verantwortlich, wie chinesische Forschende 2020 herausfanden. Nicht zuletzt lassen auch Scooter-Fahrende ihren Blick gerne auf ihr Smartphone schweifen.
Interessant sind auch die Ergebnisse einer US-Studie aus dem Jahr 2019. Demnach korrelierte das gehäufte Auftreten unfallgebundener Kopf- und Nackenverletzungen in der Vergangenheit mit der Einführung des iPhones, wie die Untersuchungen der Rutgers New Jersey Medical School ergab. Zu den häufigsten Verletzungen gehören Schnitte, Prellungen, Schürfwunden und innere Verletzungen, insbesondere im Bereich der Augen und Nase. "Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Aufklärung über die Risiken der Handynutzung und abgelenkten Verhaltens erforderlich ist", forderte Studienautor und Chirurg Boris Paskhover schon damals.
Nicht nur die Körperhaltung beugt sich dem Smartphone. Auch der Gang nimmt sonderbare Eigenschaften an: "Wenn man beim Gehen ins Handy vertieft ist, werden die Schritte meist automatisch kürzer und breiter – manche sprechen vom sogenannten Cowboy-Gang", beschreibt Auersperg. Eine intuitive Vorsichtsmaßnahme: "Mit dem gedrosselten Tempo hat man eine Spur mehr Sicherheit, weil der Horizont, den man einsehen muss, um Unfälle zu vermeiden, automatisch kleiner wird."
Bildschirmzeit belastet die Augen
Apropos Sehen: Das Starren aufs Smartphone strapaziert auch die Augen. In den heimischen Augenarztpraxen nehmen Patientinnen und Patienten mit bildschirmgebundenen Augenproblemen zu, weiß Gabriela Seher, Augenärztin und Präsidentin der Österreichischen Ophthalmologischen Gesellschaft. "Überbordende Benutzung diverser elektronischer Endgeräte macht aufgrund des elektromagnetischen Feldes sehr oft trockene Augen", weiß die Expertin. In weiterer Folge können sich Augen- und Kopfschmerzen entwickeln.
Die vermehrte Naharbeit führt bei vielen Kindern und Jugendlichen zudem zu höherer Kurzsichtigkeit, sofern nicht mit Aufenthalten im Freien bei Tageslicht gegengesteuert wird. "Stubenhocker werden grundsätzlich kurzsichtiger. Genetische Faktoren und vermehrte Naharbeit fördern die Kurzsichtigkeit. Kinder raus ins Freie lautet die Devise", erläutert Seher.
Um dem Sicca-Syndrom, wie trockene Augen und Folgeerscheinungen fachsprachlich genannt werden, beizukommen, ist eine Reduktion der Bildschirmzeit unerlässlich. "Zehn Minuten Bildschirmpause pro Stunde sind sogar gesetzlich vorgesehen", sagt Seher. Konservierungsmittelfreie Augentropfen sind bei mehrstündiger Bildschirmarbeit sinnvoll. "Bewusstes Blinzeln ebenso, wird aber erfahrungsgemäß selten gemacht."
Wichtig ist auch die richtige Position des Bildschirmes zum Fenster, um Blendungen zu vermeiden. In der Bildschirmpause können Entspannungsübungen sinnvoll sein, etwa in die Ferne schauen und mit den Augen einen Achter in den Himmel malen.

Debatte um blaues Licht
Diskutiert wird der augenschonende Effekt von Blaulichtfiltern, die den Blaulichtanteil des Displays oder den Blaulichtanteil, der die Augen erreicht, über spezielle Brillengläser verringern. Für ihre Wirksamkeit gebe es laut Seher keine solide wissenschaftliche Evidenz. "Blaues Licht ist im normalen Tageslicht mehr vorhanden als am Bildschirm. Es hält uns munter, was bei der Bildschirmarbeit durchaus von Vorteil ist. Es gibt allerdings auch keine Hinweise, dass Blaulichtfilter schädlich sind."
Spezielle Bildschirmbrillen seien mit dem Eintritt der Alterssichtigkeit ein Muss: "Im Alter nimmt im Allgemeinen die Trockenheit der Augen zu. Die Wichtigkeit der richtigen Brille ebenso, denn ältere Augen können Sehfehler nicht mehr so gut kompensieren wie junge. Bei älteren Personen ist eine augenärztliche Kontrolle gefragt, um die richtigen befeuchtenden Augentropfen je nach den Mängeln im Tränenfilm auszuwählen", sagt Seher.
Stichwort Blaulicht: Smartphones gelten aufgrund der aktivierenden Eigenschaften des künstlichen Lichts als Schlafräuber. Doch nicht alle Menschen reagieren gleichermaßen sensibel darauf. In einer Studie stellten norwegische Forschende kürzlich die These auf, dass digitale Endgeräte den Schlaf schlicht deshalb beeinträchtigen, weil man Zeit damit vertrödelt und später einschläft. Auch emotionale Aufgewühltheit und physiologische Erregung durch konsumierte Inhalte könnten Einfluss haben.
Plausibel erscheint laut den Studienautoren auch, dass Personen mit bestehenden Schlafproblemen eher bildschirmbasierte Aktivitäten nutzen, um sich die Zeit vor dem Einschlafen zu vertreiben oder sich zu entspannen. In diesem Fall könnte die Bildschirmnutzung eher eine Folge des schlechten Schlafs sein als die Ursache.
Für all jene, die mit ihren Schlafgewohnheiten hadern, hat Studienleiterin Gunnhild Johnsen Hjetland vom norwegischen Institut für öffentliche Gesundheit einen Tipp parat: "Versuchen Sie, die Bildschirmnutzung im Bett zu reduzieren und idealerweise mindestens 30 bis 60 Minuten vor dem Schlafengehen aufzuhören."
Ohne die wischende Geste des Daumens geht am Smartphone bekanntlich gar nichts. Ständiges Swipen kann den Daumen strapazieren, genauer gesagt die vom Daumensattelgelenk bis zum Unterarm verlaufenden Sehnenscheiden. Auersperg: "Diese Region ist sehr anfällig für Sehnenscheidenentzündungen. Wird dieses Stadium überwunden und ständig eine Überbelastung herbeigeführt, ist es vorstellbar, dass auch Gelenke Schaden nehmen oder bestehende Gelenkschäden sich verschlimmern."
Nicht nur die Nutzung von Smartphones, Tablets und Computern kann dem menschlichen Bewegungsapparat zusetzen. Auch allgemeiner Bewegungsmangel, Stress, Schlafmangel und stundenlanges Sitzen am Arbeitsplatz können Verspannungen, Verschleißerscheinungen und damit letztlich auch anhaltende Schmerzzustände begünstigen. "Ganz grundsätzlich ist es bei starker einseitiger Belastung von Knochen, Gelenken und dem Muskelsystem wichtig, Abwechslung reinzubringen – also ganz einfach weniger in einer Position zu verweilen", erklärt Max Becker, Physiotherapeut bei der Wiener Praxis Physeli’s. "Das lässt sich im Alltag gut umsetzen."
Sind schon Schmerzen vorhanden, können Mobilisierungs- und Kräftigungsübungen helfen. "Schon ein Trainingsausmaß von zehn Minuten an zwei bis drei Tagen pro Woche kann positive Effekte haben."
Aktive Augen
Wenn der andauernde Blick auf Bildschirme auch die Augen belastet, ist Augengymnastik hilfreich. "Wir nutzen unsere Augenmuskulatur allgemein wenig zum Wechsel von Nähe auf Ferne – und umgekehrt“, weiß Experte Becker. Zum gezielten Training fokussiert man sich idealerweise auf einen Punkt in Augennähe und schaut dann schnell in die Ferne und fokussiert dort erneut einen Gegenstand.
Die Beweglichkeit der Sehorgane profitiert von dieser simplen Übung: Ein Objekt, zum Beispiel den vor dem Gesicht ausgestreckten Daumen, mit den Augen verfolgen und dabei den Kopf nicht bewegen. Oder umgekehrt: den Kopf bewegen und dabei ein Objekt mit den Augen fixieren. Die Übung kann auch mit leicht nach vorne oder hinten gebeugtem Kopf durchgeführt werden.
Große Gesundheitsrisiken
Viel Bildschirmzeit geht auch zulasten des täglichen Bewegungsausmaßes. "Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Gesamtzeit, die wir in Bewegung verbringen und Haltungsschäden", schildert Auersperg. "Personen, die keinen Sport betreiben, sind viel anfälliger für Haltungsfehler und -schwächen und entsprechende Strukturveränderungen."
Die Folgen für den Körper gehen freilich über den Bewegungsapparat hinaus: Zu wenig Bewegung im Alltag führt zu körperlichen Folgen wie schwacher Muskulatur, Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einem erhöhten Risiko für Diabetes Typ 2, Schlaganfälle und Osteoporose. Auch die Psyche leidet, ebenso wie die allgemeine Leistungsfähigkeit und das Immunsystem.
Gehemmte Spielfreuden
Besonders ungünstig ist es, wenn das Smartphone etwa schon im Kindesalter das Toben draußen im Freien verdrängt. Kreist der Daumen nämlich ständig übers Display, statt über der Fahrradklingel – und wird die Konsole im Kinderzimmer dem Spielen an der frischen Luft vorgezogen, ist Bewegungsmangel vorprogrammiert. In Kombination mit ungesundem Ernährungsverhalten droht Übergewicht.
Das strapaziert das kindliche Skelett. Immer öfter suchen Kinder mit Haltungsproblemen, Wirbelsäulenfehlhaltungen und daraus resultierenden Beschwerden im Rücken-, Schulter- und Nackenbereich orthopädischen Rat. Übergewichtige Kinder plagen nicht selten Fehlstellungen an Beinen und Füßen, X-Beine oder Plattfüße. "Eine gewohnheitsmäßige Smartphonenutzung unter 14 sollte man tunlichst verhindern", sagt Auersperg. "Aus ganz vielen Gründen, unter anderen auch deshalb, weil die Spiel- und Bewegungsfreude erheblich darunter leiden kann." Um gegenzusteuern, sollten sportliche oder auch musikalische Aktivitäten von klein auf gefördert werden, beispielsweise in entsprechenden Sport- oder Musikvereinen.
Der Experte ermutigt Groß und Klein zu Mini-Sportbetätigungen im Alltag: "Es genügt schon, den Weg zur Schule oder den Einkauf zu Fuß zu erledigen – oder im Büro die Stiegen zu nehmen." Hier könne das Smartphone tatsächlich gewissermaßen hilfreich sein: "Denn damit können wir bekannterweise unsere täglichen Schritte zählen und damit ein gesundes Bewegungsausmaß verfolgen."
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