Omnipräsentes Smartphone: "Soziale Medien sind wie Spielautomaten"

Menschen sehen sich Daten auf ihren Handys an.
Smartphones sind allgegenwärtig. Der Alarmismus, der sie und soziale Medien umgibt, ebenfalls. Wie schädlich sind sie wirklich?

Übergewicht, Essstörungen, Mobbing-Erfahrungen, Aggressionsprobleme, psychische Erkrankungen, Sucht, Radikalisierung, sexueller Missbrauch: Wer in die Flut an Studien zu Smartphones und den darüber verfügbaren sozialen Medien eintaucht, könnte zur Conclusio kommen, dass digitale Medien die Quelle allen Übels auf der Welt sind. 

"Das ist eine fehlgeleitete Debatte", sagt Kommunikationswissenschafterin Kathrin Karsay, die an der Universität Wien die Auswirkungen digitaler Unterhaltungsmedien auf gesellschaftlicher und individueller Ebene untersucht.

Warum sich wissenschaftliche Studien zum Thema oft widersprechen, wieso uns soziale Medien überhaupt dermaßen in ihren Bann ziehen und wie die Nutzung die Psyche auch stabilisieren kann, erklärt die Expertin im KURIER-Interview.

KURIER: Kürzlich ergab eine Studie, dass weniger Handyzeit zufriedener macht. Davor hieß es in einer Untersuchung, das Smartphone hebe die Stimmung. Was stimmt denn nun?

Kathrin Karsay: Die unterschiedlichen Ergebnisse lassen sich einerseits dadurch erklären, dass in vielen Studien unterschiedliche Dinge gemessen werden. Stimmung, Glück, Zufriedenheit, Schlaf, Selbstbewusstsein: Das sind alles im weitesten Sinn Teilaspekte von psychischem Wohlbefinden, aber eben nicht ganz dasselbe. Andererseits ist die Finanzierung von Studien ein wesentlicher Faktor. Die Studie zu den stimmungsaufhellenden Effekten wurde von Meta, also Facebook, finanziert, ist also mit Vorsicht zu genießen. Letztlich ist der Effekt der Nutzungsreduktion von Social Media oder Smartphones, also von digital Detox, nicht so groß, wie wir ihn uns wünschen würden. Wichtig ist, dass wir in der Debatte auf Metaanalysen zurückgreifen, weil sie den besten Einblick in den Forschungsstand geben.

Und die zeigen keinerlei negative Effekte?

Wir sehen schon, dass eine übermäßige Nutzung von Smartphones und Social Media sich negativ auswirkt auf das Wohlbefinden. In der breiten Bevölkerung sind das aber keine starken Effekte. Allerdings gibt es immer Personen, die besonders vulnerabel sind, zum Beispiel Kinder. Deswegen kann es sein, dass man im persönlichen Umfeld den Eindruck bekommt, dass das, was die Forschung sagt, nicht stimmt.

Omnipräsentes Smartphone: "Soziale Medien sind wie Spielautomaten"

Kommunikationswissenschafterin Kathrin Karsay untersucht die Auswirkungen digitaler Unterhaltungsmedien auf gesellschaftlicher und individueller Ebene.

Fachleute warnen laufend, dass immer mehr Menschen eine Handysucht entwickeln. In Fachkreisen kursiert dafür der Begriff der Nomophobie, wenngleich das keine echte Diagnose ist. Worin wurzelt das süchtigmachende Potenzial?

Smartphones und Apps sind darauf ausgelegt, dass wir sie gerne und immer wieder nutzen. Das ist ihr Geschäftsmodell. Wir bekommen dort immer wieder diesen kleinen, unmittelbaren Gratifikations- und Zufriedenheitskick. Dadurch, dass wir das Smartphone immer bei uns haben, ist er immer verfügbar. Das kann dazu führen, dass wir schlechte Gewohnheiten, ich spreche ungern von einer Sucht, im Umgang mit ihnen entwickeln. Das ist mittelfristig unserem Wohlbefinden nicht zuträglich, weil unter anderem etwa die Konzentration leidet. Das Smartphone ist wie ein Spielautomat: Man scrollt ohne Ziel und hofft, dass etwas Interessantes kommt. Dadurch gerät man in eine Scrolling-Schleife, aus der man schwer aussteigen kann. Auch deshalb, weil Algorithmen clever darauf ausgelegt sind, uns darin zu halten. 

Entwicklungsverzögerung, Übergewicht, Essstörungen, Mobbing-Erfahrungen: Immer wieder thematisieren Studien negative Effekte sozialer Medien auf Kinder und Jugendliche. Man könnte meinen, sie sind die Quelle allen Übels …

Das sind sie nicht. Aber es gibt Risiken, die mit der Nutzung einhergehen. Auch sexuelle Übergriffe, gewaltvolle Inhalte und Radikalisierung. Das sollte man nicht kleinreden und die Plattformen in die Pflicht nehmen. Tatsache ist aber auch, dass soziale Medien Möglichkeiten des sozialen Austauschs und auch positive Inspirationen liefern. 

In einer Studie hieß es zuletzt, dass kleine Kinder, die früh mit gewaltvollen Inhalten im Netz konfrontiert sind, später eher zu aggressivem Verhalten neigen. Sind Online-Gewaltdarstellungen ein gesondertes Problem?

Das kennen wir von Musik, Fernsehen und Videospielen – es verlagert sich jetzt auf die sozialen Medien. So einfach ist es nicht. Man sieht nicht einen bestimmten Inhalt und verhält sich dann aggressiv, glücklicherweise. Wir müssen schauen, dass wir Resilienzfaktoren wie die Medienkompetenz und -erziehung, aber auch elterliche Verantwortung für die kindliche Mediennutzung stärken.

Ist problematische Smartphone-Nutzung eigentlich nur ein Problem der Jungen?

Nein. Das ist eine fehlgeleitete Debatte. Ich verstehe, dass die Sorge bei Jungen groß ist. Aber uns berichten viele Erwachsene, dass sie Schwierigkeiten im Umgang mit Smartphones oder Social Media haben. Es ist ein bisschen ein Phänomen unserer Zeit: Während wir früher abgefragt haben, wie oft man Radio oder Fernsehen nutzt, muss man jetzt davon ausgehen, dass wir das Smartphone 24/7 nutzen können. Die Frage ist also: Wann nutzen wir es nicht? Da sind wir als Gesellschaft gefragt, neue Normen zu setzen. 

Wiener Forschende konnten einen suizidpräventiven Effekt durch Beiträge über Hoffnung und Krisenbewältigung von Social-Media-Influencern belegen. Ein Anlass zur Hoffnung?

Auf jeden Fall. Die positive Darstellung von Krisen ist wichtig, um Suiziden vorzubeugen. Wir wissen aber auch, dass viele Influencer monetäre Interessen haben und der im Konflikt zu den Inhalten steht, die sie promoten. Wir starten dazu gerade selbst ein Forschungsprojekt an der Uni Wien, wo sich schon jetzt im Austausch mit Influencern  zeigt, dass Mental Health gut klickt und viel Traffic generiert. Hier besteht die Gefahr, dass der Begriff der psychischen Gesundheit verwässert.

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