Verlernen junge Menschen tatsächlich immer mehr zu schreiben? Zum Teil, meint die Wiener Graphologin und Schriftsachverständige Elisabeth Charkow. "Schreiben ist eine Fertigkeit. Je mehr man übt, desto besser wird man darin und kann mit der Zeit auch seinen individuellen Stil ausprägen – vergleichbar mit dem Erlernen eines Musikinstruments", sagt Charkow.
Erste Kritzeleien im Kindergarten, später dann die Schulschrift
Schon Kleinkinder beginnen mit einem Stift in der Hand auf Papier zu kritzeln, in den ersten Kritzeleien kann sich die persönliche Note der späteren Schrift abzeichnen. In der Volksschule werden Formen und Bewegungen erlernt, die gesellschaftlich und kulturell bestimmt sind. In Österreich wird die Österreichische Schulschrift unterrichtet. Es gibt nicht nur Vorgaben, wie die Buchstaben geschrieben werden, wann also wo welche Schlaufe oder welche Schnörkel zu ziehen sind, sondern etwa auch, wie die einzelnen Buchstaben miteinander verbunden werden oder dass sie leicht nach rechts gekippt sind.
Letzteres soll die Basis für späteres schnelleres Schreiben legen und gilt als leichter lesbar als nach links geneigte Schriften.
Individuelle Schrift entsteht durch häufiges Schreiben
"Am Anfang ist die Schrift natürlich holprig, wie beim Lernen von Fertigkeiten im Allgemeinen, etwa beim Radfahren oder Skifahren. Durch sehr viel Üben wird die Bewegung aber geschmeidiger, die Formen gewandter", erklärt Charkow. Die individuelle Schrift entwickelt sich durch häufiges Schreiben, in der Schule durch Nachziehen, Abschreiben und Selbstschreiben, wobei sich die Bewegungen, Formen und Buchstaben im Lauf der Zeit verändern, sowohl in der Textschrift als auch bei der später eigens geübten Unterschrift.
Die verstärkte Nutzung digitaler Medien, das häufige Tippen statt händischem Schreiben, habe ebenso Einfluss auf das Schriftbild. Schreibt man nur selten, bleibe man auf einer sehr einfachen Stufe. Charkow: "Wer weniger übt, ist nicht so 'virtuos' in seinen Bewegungen. Ein gewisses Grundmuster sollte schon zu erkennen sein, aber man bleibt auf diesem Grundlevel der schulmäßigen Schreibform."
Neben der Häufigkeit des Schreibens können Krankheiten oder Medikamente die Handschrift verändern. Auch Müdigkeit und Emotionen wie Freude oder Wut können Auswirkungen haben.
Unterschrift als Aushängeschild
Die Unterschrift sei jenes Schriftprodukt, das am meisten zu Papier gebracht werde, auch wenn sonst wenig oder nicht geschrieben wird. "Sie ist unser Aushängeschild, unsere Visitkarte und oft verbunden mit Darstellungsbedürfnissen. Oft unterscheidet sich die Unterschrift von der Textschrift, manchmal ist sie zum Beispiel größer als die normale Schrift." Und es gibt kulturelle Unterschiede: In Spanien werde die Unterschrift beispielsweise sehr kunstvoll eingelernt, in skandinavischen Ländern sei sie tendenziell eher schlicht.
Beim Abgleich von Unterschriften braucht es Vergleichsunterschriften, mindestens 15 Stück, aus einem bestimmten Zeitraum, um die Bandbreite der Schrift einzubeziehen. Denn auch die Unterschrift kann sich im Laufe des Lebens verändern.
Kinder sollten beides lernen: händisches Schreiben und Tippen
Kinder und Jugendliche sollten aus Sicht der Expertin jedenfalls Schreiben lernen und üben. Denn: Händisches Schreiben fördere nicht nur das Schreiben an sich, sondern auch damit verbundene kognitive und motorische Fähigkeiten.
Eine US-Studie zeigte etwa, dass die motorischen Fähigkeiten, die durch regelmäßiges Schreiben mit der Hand entwickelt werden, durch die häufige Nutzung von Touchscreens und Tastaturen zurückgehen. Untersuchungen in Schulklassen, in denen entweder nur Tablets oder Tablets und händisches Schreiben im Unterricht eingesetzt wurden, würden laut Charkow zeigen, dass jene, die beide Fertigkeiten nutzen, in ihrer Merkfähigkeit besser sind. "Es sollte beides erlernt werden. Nicht mit Zwang, wie zu jenen Zeiten, als Schönschreiben ein sehr striktes Unterrichtsfach war. Aber man sollte Kindern sowohl das händische Schreiben als auch das Tippen auf Tastaturen darlegen."
Und: "Schrift hat sich immer verändert, auch mit der Erfindung der Schreibmaschine zum Beispiel. Die Benützung neuer Medien ist ein entscheidender Eingriff und klar verändert sich das Schriftbild dadurch. Für mich persönlich ist es aber eine Bereicherung, wenn ich beide Möglichkeiten habe und beides anwenden kann."
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