„Wir wollten Antworten auf Fragen, etwa: Warum schlagen so viele Menschen wissenschaftliche Evidenz in den Wind und lassen sich von Polit-Desperados begeistern, die ihnen Pferdemedizin empfehlen?“, erzählt Lackner.
Zielinski und Lackner haben im Zuge der Recherche viel gelernt, sagen beide unisono. Dem Autoren-Duo war nicht bewusst, dass die Wurzeln solch profunder gesellschaftlicher Verwerfungen so weit zurück liegen.
Seit Jahrhunderten muss sich die Wissenschaft, besonders die medizinische, gegen religiöse Spinner, Scharlatane, Verschwörungsfantasien und gewissenlose Geschäftemacher wehren.
Schon Andreas Hofer, der große Tiroler Freiheitsheld, glaubte, man würde den braven Katholiken mit der übrigens schon damals hochwirksamen Pockenimpfung den Protestantismus einpflanzen. Johann Wolfgang von Goethe hingegen war ein entschlossener Befürworter der Impfpflicht.
Wiens Bürgermeister Karl Lueger schlug sich auf die Seite der oft antisemitischen Impfgegner, sein Berliner Amtskollege boykottierte hingegen demonstrativ 1899 einen internationalen Kongress der Impfgegner in seiner Stadt. „Angefeuert wurde diese Skepsis auch durch die nationalsozialistische Herrschaft, die rückwärtsgewandt war und sehr die Homöopathie forciert und die Schulmedizin verteufelt hat. Der Begriff Schulmedizin ist auch in der nationalsozialistischen Zeit entstanden. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass die Skeptiker in solchen gemischten Lagern entstehen“, analysiert Zielinski.
Gemischte Lager können einerseits Romantiker, Esoteriker und Naturfreunde sein, aber eben auch aus dem rechtsradikalen Lager stammen.
Den Anfang der systematischen Wissenschaftsskepsis nach dem Zweiten Weltkrieg löste dann die Tabakindustrie aus. Es war der Kampf um die Zigarette. Anfang der 50er-Jahre stellte das Magazin Reader's Digest die Frage, ob Rauchen gesund sei. Das entfachte eine Debatte, die die Tabakindustrie zum Handeln zwang. „Die Juden konnte man damals nicht als Schuldige heranziehen. Auch konnte man die wissenschaftlichen Ergebnisse nicht mehr grundsätzlich bestreiten. Also wurden die Studien in Zweifel gezogen. Die Tabakindustrie gründete ein eigenes Institut dafür, das fett mit Geld ausgestattet wurde“, erzählt Lackner. Wissenschaftler gaben sich dafür her, Studien zu publizieren, die negative gesundheitliche Folgen relativierten. Eine erfolgreiche Methode – es dauerte über 50 Jahre, bis sich das Rauchverbot in Lokalen durchsetzte.
Doch wie kann eine Lösung dieses Dilemmas aussehen? „Bildungsmangel“, das sei das Grundübel für die Wissenschaftsfeindlichkeit in diesem Land, ist Zielinski überzeugt. Es brauche eine radikale Bildungsreform. „Wir erziehen die Menschen entweder zu wenig oder zu weltfremd. Seit 40 Jahren haben wir eine Bildung, die uns immer mehr rückwärts wendet“, so der Top-Mediziner.
Wie erklärt er sich aber, dass akademische gebildete Ärzte bei der Wiener Ärztekammerwahl die Impfgegner wählen? „Auch das subsumiere ich unter Bildungsmangel“, meint er zynisch.
Buchtipp: Herbert Lackner & Christoph Zielinski: „Die Medizin und ihre Feinde“, Ueberreuter-Verlag. 200 Seiten. 25 Euro
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