Schon Goethe war für die Impfpflicht
Es sind Zahlen, die nach den Erlebnissen der vergangenen zwei Pandemie-Jahre eigentlich nicht mehr überraschen. In einer aktuellen Eurobarometer-Umfrage, wie hoch das Interesse an der Wissenschaft sei, rangiert Österreich am vorletzten Platz. Nur Kroatien komme auf einen noch niedrigeren Wert. Auch andere bedenkliche Resultate offenbart die Studie – etwa in Sachen Verschwörungsfantasien: So glauben etwa 21 Prozent der Österreicher, dass „Viren in staatlichen Labors produziert worden sind“.
Zahlen wie diese haben den renommierten Onkologen Christoph Zielinski und Herbert Lackner, den Autor zeithistorischer Bestseller, animiert, das Buch „Die Medizin und ihre Feinde“ über die Gründe der Wissenschaftsfeindlichkeit in unserer Gesellschaft zu recherchieren.
„Wir wollten Antworten auf Fragen, etwa: Warum schlagen so viele Menschen wissenschaftliche Evidenz in den Wind und lassen sich von Polit-Desperados begeistern, die ihnen Pferdemedizin empfehlen?“, erzählt Lackner.
Zielinski und Lackner haben im Zuge der Recherche viel gelernt, sagen beide unisono. Dem Autoren-Duo war nicht bewusst, dass die Wurzeln solch profunder gesellschaftlicher Verwerfungen so weit zurück liegen.
Lueger – ein Impfgegner
Seit Jahrhunderten muss sich die Wissenschaft, besonders die medizinische, gegen religiöse Spinner, Scharlatane, Verschwörungsfantasien und gewissenlose Geschäftemacher wehren.
Onkologe Christoph Zielinski und Herbert Lackner zu Gast im Checkpoint bei Ida Metzger
Schon Andreas Hofer, der große Tiroler Freiheitsheld, glaubte, man würde den braven Katholiken mit der übrigens schon damals hochwirksamen Pockenimpfung den Protestantismus einpflanzen. Johann Wolfgang von Goethe hingegen war ein entschlossener Befürworter der Impfpflicht.
Wiens Bürgermeister Karl Lueger schlug sich auf die Seite der oft antisemitischen Impfgegner, sein Berliner Amtskollege boykottierte hingegen demonstrativ 1899 einen internationalen Kongress der Impfgegner in seiner Stadt. „Angefeuert wurde diese Skepsis auch durch die nationalsozialistische Herrschaft, die rückwärtsgewandt war und sehr die Homöopathie forciert und die Schulmedizin verteufelt hat. Der Begriff Schulmedizin ist auch in der nationalsozialistischen Zeit entstanden. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass die Skeptiker in solchen gemischten Lagern entstehen“, analysiert Zielinski.
Gemischte Lager können einerseits Romantiker, Esoteriker und Naturfreunde sein, aber eben auch aus dem rechtsradikalen Lager stammen.
Tabakindustrie
Den Anfang der systematischen Wissenschaftsskepsis nach dem Zweiten Weltkrieg löste dann die Tabakindustrie aus. Es war der Kampf um die Zigarette. Anfang der 50er-Jahre stellte das Magazin Reader's Digest die Frage, ob Rauchen gesund sei. Das entfachte eine Debatte, die die Tabakindustrie zum Handeln zwang. „Die Juden konnte man damals nicht als Schuldige heranziehen. Auch konnte man die wissenschaftlichen Ergebnisse nicht mehr grundsätzlich bestreiten. Also wurden die Studien in Zweifel gezogen. Die Tabakindustrie gründete ein eigenes Institut dafür, das fett mit Geld ausgestattet wurde“, erzählt Lackner. Wissenschaftler gaben sich dafür her, Studien zu publizieren, die negative gesundheitliche Folgen relativierten. Eine erfolgreiche Methode – es dauerte über 50 Jahre, bis sich das Rauchverbot in Lokalen durchsetzte.
Bildungsreform
Doch wie kann eine Lösung dieses Dilemmas aussehen? „Bildungsmangel“, das sei das Grundübel für die Wissenschaftsfeindlichkeit in diesem Land, ist Zielinski überzeugt. Es brauche eine radikale Bildungsreform. „Wir erziehen die Menschen entweder zu wenig oder zu weltfremd. Seit 40 Jahren haben wir eine Bildung, die uns immer mehr rückwärts wendet“, so der Top-Mediziner.
Wie erklärt er sich aber, dass akademische gebildete Ärzte bei der Wiener Ärztekammerwahl die Impfgegner wählen? „Auch das subsumiere ich unter Bildungsmangel“, meint er zynisch.
Buchtipp: Herbert Lackner & Christoph Zielinski: „Die Medizin und ihre Feinde“, Ueberreuter-Verlag. 200 Seiten. 25 Euro
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