Warum Säuglingsnahrung ab 2020 weniger Eiweiß enthalten muss
Eines betont Kinderarzt Karl Zwiauer mit Nachdruck: "Muttermilch ist unübertroffen und das Beste. Sie enthält nicht nur die für das Wachstum notwendigen Nährstoffe, sondern auch Elemente, die den Stoffwechsel, das Immunsystem sowie die körperliche und geistige Entwicklung des Kindes fördern."
Sollte Stillen aber nicht möglich sein, sei es "noch nie so einfach gewesen, einen Säugling gut zu ernähren, ohne substanzielle Nachteile für seine Entwicklung – diese Sicherheit kann man jeder Mutter geben", betont der Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde an der Uni-Klinik in St. Pölten. Eine neue EU-Verordnung, die ab Februar 2020 gilt, mache diesen Bereich noch sicherer – denn sie legt neue, höhere Mindeststandards für Anfangs- und Folgenahrung fest:
- Der Höchstwert für Eiweiß wird gesenkt. Zu viel Protein erhöht das Risiko für Übergewicht. "Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen der Menge der Eiweißzufuhr und dem Auftreten von Übergewicht", betont Zwiauer. "Durch verbesserte technologische Verfahren konnte die Protein-Qualität erhöht werden – deshalb ist auch mit einer geringeren Menge die Versorgung des Säuglings sichergestellt."
- Verbesserungen gibt es auch bei ungesättigten Fettsäuren, die für die Entwicklung des Nervensystems und Gehirns notwendig sind. Der Mindestgehalt für Linolsäure wird erhöht, erstmals müssen alle Milchnahrungen auch die mehrfach ungesättigte Omega-3-Fettsäure DHA enthalten. Bisher war das nicht verpflichtend vorgeschrieben.
Höhere Standards
Zwiauer: „Es gibt keine Nahrung, die so streng reglementiert ist wie Säuglingsnahrung. Und mit jeder Nahrung auf dem Markt ist das normale Gedeihen eines Säuglings gesichert. Es gibt aber gerade von den Firmen, die Forschung betreiben, Produkte, die diese Mindeststandards übertreffen.“
So fordern zahlreiche Forscher, dass Säuglingsnahrung auch die Omega-6-Fettsäure Arachidonsäure verpflichtend enthalten sollte – in dem Bestreben, die Säuglingsnahrung der Muttermilch bestmöglich nachzuempfinden. Zwiauer: „Darüber herrscht heute eigentlich Einigkeit, aber für diese Verordnung wurden – aufgrund des langen Gesetzgebungsprozesses – nur Studien bis 2013 berücksichtigt.“ Deshalb gibt es noch keine verpflichtende Beifügung, obwohl Muttermilch auch diese Fettsäure enthält.
Auch bestimmte Ballaststoffmischungen (sie fördern das Wachstum spezieller Milchsäurebakterien) und andere Inhaltsstoffe dürfen zwar – wenn Sicherheit und Wirksamkeit nachgewiesen sind – zugesetzt werden, sind aber ebenfalls nicht verpflichtend. Ebenso auch nicht die sogenannten humanen Milch-Oligosaccharide, ebenfalls Ballaststoffe, "die vom menschlichen Organismus nicht verdaut werden, aber Futter für die im Darm befindlichen Bakterien sind". Diese Substanzen sind überhaupt ein Forschungsfeld der Zukunft: Es gibt ungefähr 1000 in der Muttermilch, aber erst rund 200 davon sind analysiert.
Milupa-Ernährungswissenschafterin Sigrid Eckhardt: "Das gemeinsame Ziel forschender Firmen ist, Rezepturen zu entwickeln, die die Wirkung von Muttermilch so weit wie möglich imitieren – immer mit dem Ziel, dass auch nicht gestillte Säuglinge einen guten Start ins Leben erhalten.“
Mütter benötigen Rückendeckung
Rund 60 bis 70 Prozent der Säuglinge werden nach dem Verlassen des Spitals voll gestillt. „Das Bewusstsein für das Stillen hat sich in den vergangenen Jahren verbessert“, sagt die Hebamme und Stillberaterin Christina Kulle. Sie ist im Vorstand des Österreichischen Hebammengremiums für das Referat Stillen zuständig. „Grundsätzlich ist die Entscheidung jeder Frau zu respektieren. Und es gibt ja auch Situationen bei der Mutter oder dem Kind, wo stillen ganz einfach nicht möglich ist. Aber in ganz vielen Fällen ist es die Unsicherheit in der Anfangszeit, die viele Frauen, die eigentlich stillen wollen, schnell zum Fläschchen greifen lässt. In ganz vielen Fällen kann man aber durch Information und Begleitung diese Anfangsschwierigkeiten überwinden."
Kulle betont, dass mindestens acht Wochenbettbesuche von den Krankenkassen bezahlt werden: „Und auch beim Hebammengespräch zwischen der 18. und 22. Schwangerschaftswoche ist Stillen ein großes Thema.“
Positiv bestärken
„Frauen haben teilweise zu wenig positive Bestärkung in ihrem Umfeld“, sagt auch Anja Harnisch, Obfrau der La Leche Liga Österreich, einem gemeinnützigen Verein mit derzeit 74 ehrenamtlichen Stillberaterinnen: „Viele Mütter benötigen einfach nur Rückendeckung und die Versicherung, ,es ist okay, was du tust, du machst es richtig‘.“
Harnisch betont, dass es niemals darum gehe, Frauen Druck zum Stillen oder ein schlechtes Gewissen zu machen: „Es ist eine individuelle Entscheidung. Aber wichtig ist, dass Frauen eine informierte Entscheidung treffen können. Und es ist schade, wenn die, die stillen wollen, früher abstillen, weil die Unterstützung gefehlt hat.“
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