Rätselhafter Effekt: Helfen Placebos gegen Rückenschmerzen?
Placebos können offenbar in der Schmerztherapie helfen. Und das sogar dann, wenn die Studienteilnehmer darüber informiert werden, nur "Scheinpräparate" ohne Wirkstoffe zu erhalten. Das zeigt jetzt zumindest eine Studie des Universitätsklinikums Essen mit 127 Patientinnen und Patienten, die von chronischen Rückenschmerzen betroffen sind.Bei den Studienteilnehmern bestanden die Schmerzzustände seit mindestens zwölf Wochen.
Sie wurden in zwei Gruppen geteilt: Die eine erhielt die gleiche Behandlung wie bisher, die andere bekam zusätzlich zwei Mal am Tag ein Placebo.Vor Studienbeginn wurde allen Teilnehmern ein Video gezeigt, das über die sogenannten "Placeboeffekt" und die aktuelle Studienlage zu möglichen positiven Effekten einer offenen - also den Patienten kommunizieren - Placebogabe informierte.
Den Patienten war also bewusst, dass sie ein Präparat ohne Wirkstoff einnahmen. Den Patienten in der Vergleichsgruppe wiederum wurde gesagt, dass sie nach Beendigung der Studie ebenfalls eine zusätzliche Placebo-Gabe erhalten können.
Das Ergebnis: In der Gruppe, die mit Placebos behandelt wurde, nahm die subjektiv berichtete Schmerzintensität signifikant stärker ab, die Teilnehmer fühlten sich im Alltag deutlich wenig durch die Schmerzen beeinträchtigt und gaben auch an, weniger depressiv zu sein. Auch war in der Placebo-Gruppe weniger oft eine zusätzliche Schmerzmittelgabe bei akuten starken Schmerzzuständen (Notfallmedikation) notwendig. Insgesamt hatte sich in der Placebo-Gruppe das subjektive Befinden deutlich verbessert.
Keinen Unterschied zwischen beiden Gruppen gab es bei den objektiv messbaren Kriterien. So wurde die Beweglichkeit der Wirbelsäule, ihr Bewegungsausmaß und ihre Bewegungsgeschwindigkeit, mit Sensoren gemessen. Bei der Auswertung der Daten zeigten sich aber keine nennenswerten Differenzen.
Eine abschließende Erklärung, warum Placebos das subjektive Befinden signifikant verbessern konnten, obwohl den Studienteilnehmern sogar klar war, dass sie Placebos, also völlig wirkstofffreie Kapseln, erhalten hatten, gibt es nicht. Die Mechanismen einer offenen Placebo-Anwendung sind noch nicht hinreichend erforscht, betonen Julian Kleine-Borgmann (Erstautor der Studie) und Projektleiterin Ulrike Bingel. Patienten könnten durch das Informationsvideo unbewusste positive Erwartungen im Hinblick auf das Placebo entwickelt haben.
Eine weitere Hypothese ist die Umdeutung sogenannter natürlicher Fluktuationen: Es ist bekannt, dass chronische Rückenschmerzen in ihrer Intensität über den Verlauf schwanken. Möglicherweise führen schmerzärmere Phasen dazu, dass positive Erwartungen im Sinne einer "self-fulfilling prophecy“" (selbsterfüllenden Prophezeiung) erfüllt werden, wodurch der Glaube an einen positiven Effekt der Placebos weiter bestärkt wird.
Weitere Studien sind jedenfalls notwendig: Hans-Christoph Diener von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie sagt: "Es lohnt sich, den Placeboeffekt stärker in bestehende Therapiekonzepte einzubinden. Dazu gehört eine positive Darstellung des zu erwartenden Therapieerfolges." Er hebt hervor, dass bei chronischen Schmerzerkrankungen die Psyche eine wichtige Rolle spielt und auf das subjektive Schmerzempfinden Einfluss nehmen kann.
"Wenn wir die subjektive Schmerzlast der Patienten – und sei es auch nur bei einem Teil der Patienten – durch ein Aufklärungsvideo und die Ergänzung des Placeboeffektes nennenswert senken können, sollten wir diese Option nutzen. Chronische Schmerzpatienten haben einen enormen Leidensdruck, der sie körperlich und seelisch zermürbt, eine Therapie, die zu einer subjektiven Verbesserung führt, hat Berechtigung – auch wenn wir die dahinterliegenden Mechanismen noch nicht vollständig verstehen."
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