Norbert Bischofberger: "Mit 62 in Pension gehen? Das ist crazy"
Er wird oft in einem Atemzug mit dem Anti-Grippe-Mittel Tamiflu genannt – aber dann betont er, dass er mit seinen Teams „viel größere Sachen gemacht hat“, nämlich hochwirksame Therapien gegen den Aids-Erreger HIV und gegen Hepatitis C: Norbert Bischofberger war bei der US-Firma Gilead für die Entwicklung vieler Medikamente gegen Virusinfektionen verantwortlich. Seit sechs Jahren widmet sich der aus Vorarlberg stammende Biochemiker der Krebsforschung. Bischofberger lebt in Kalifornien, ist US- und österreichischer Staatsbürger und war auf Einladung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien. Er hielt den Festvortrag "Von Mellau in die Welt, ein Wissenschaftler als Gründer" bei der "Feierlichen Sitzung 2024".
KURIER: Sie waren bis 2018 in leitender Funktion bei einer der größten Biotech-Firmen, stiegen dann aber bei einem Start-up in der Krebsforschung, Kronos Bio, als Präsident und Geschäftsführer ein. Warum?
Norbert Bischofberger: Ich hatte 2018 das Gefühl, dass wir gegen die bedeutendsten Virusinfektionen gute Therapien entwickelt hatten – Corona war damals ja noch nicht ausgebrochen. Bei Krebs hingegen sind die Herausforderungen noch groß. Und zwischen Viren und Krebszellen gibt es viele Ähnlichkeiten: Beide wollen überleben und sich vermehren. Der zweite Grund war, dass ich bei Gilead für ungefähr 4.000 Angestellte verantwortlich war und viel organisatorische Arbeit hatte. Aber ich wollte wieder als Wissenschafter arbeiten. Deshalb dachte ich mir, fange ich nochmals mit einer kleinen Firma mit 60 Mitarbeitern an.
2018 waren Sie 62 Jahre alt. Sie hätten auch schon an die Pension denken können.
Tatsächlich fragten mich damals manche Leute: „Warum tust du das?“ Dann habe ich scherzhaft geantwortet: „Ich bin zwar 62, aber ich fühle mich wie 42 und verhalte mich wie 22.“ Es ist ein altes Konzept, dass man mit 60 oder 62 Jahren in Pension gehen kann. Das ist crazy. Was soll ich denn dann tun? Zu Hause vor dem Fernseher sitzen? Das wäre das Letzte. Diese Unterscheidung zwischen Work und Life verstehe ich nicht – meine Arbeit, die Wissenschaft, das ist mein Leben. Ich verstehe auch nicht die Diskussion um die 30-Stunden-Woche. Ich bin überzeugt, dass dadurch der Lebensstandard sinkt. Vor 50, 60 Jahren war die Arbeit in Fabriken hart. Aber heute ist das ganz anders.
Österreich, Schweiz
Der Biochemiker Norbert Bischofberger (68) wurde 1956 in Mellau im Bregenzerwald, Vorarlberg, geboren. Er besuchte das Gymnasium Mehrerau in Bregenz, studierte an der Universität Innsbruck Chemie und promovierte an der ETH Zürich.
USA
1983 ging er in die USA und absolvierte u. a. an der Harvard Uni sein postgraduales Studium. Seinen ersten Job hatte er bei Genentech, von 1990 bis 2018 arbeitete er für Gilead, ab 2007 als Vizepräsident und Forschungsdirektor. Er entwickelte Arzneien u. a. gegen Influenza, HIV und Hepatitis C. Seit 2018 ist er Präsident und Geschäftsführer des US-Start-ups Kronos Bio.
Sie haben HIV und Hepatitis C erwähnt: Was waren da die größten Erfolge in der Erforschung neuer Therapien?
Mitte der 90er-Jahre hatten die HIV-Therapien viele Nebenwirkungen und die Patienten mussten 30 Tabletten am Tag einnehmen. 2006 wurde ein von uns entwickeltes HIV-Medikament zugelassen: Damit konnte zum ersten Mal mit nur einer Pille pro Tag HIV behandelt werden.
Gegen Hepatitis C gab es lange sehr wenig Therapiemöglichkeiten, Hepatitis C war die wichtigste Ursache für Lebertransplantationen. Wir haben dann 2014 in den USA und Europa ein Medikament zugelassen bekommen. Nimmt man es für acht bzw. zwölf Wochen, liegen die Heilungsraten bei 94 bzw. 98 Prozent. Ich konnte das zuerst nicht glauben, dass man eine chronische Virusinfektion innerhalb von acht oder zwölf Wochen heilen kann.
Sie sind bei Ihrem Festvortrag in der Akademie der Wissenschaften auf Mentalitätsunterschiede zwischen Europa und den USA eingegangen: Europa müsse mutiger und zuversichtlicher werden. Sind wir zu negativ?
Natürlich gibt es auch in Europa viele positiv eingestellte Menschen, aber in der Gesellschaft als Ganzes herrscht viel mehr Zweifel und Skepsis, was den Blick in die Zukunft betrifft, als in den USA. Wenn ich in Europa gesagt habe, „Hey, ich habe eine Idee, wir könnten das und das versuchen“, kam als Antwort so oft zurück: „Ja, aber ... “
Es ist dieses „aber“, mit dem man sich selbst herausredet und das einen davon abhält, aktiv zu werden. Mit dieser Einstellung hätte ich nie die Experimente für die HIV- und Hepatitis-C-Medikamente durchgeführt. Denn für jedes Projekt können Sie 100 Gründe finden, warum es nicht funktionieren wird. Das ist nicht schwer. Dabei gibt es gerade in Österreich keinen Grund für eine negative Zukunftssicht: Österreich ist hoch industrialisiert, viele Menschen sind sehr gut ausgebildet. Wir sollten alle zuversichtlicher und positiver sein.
„Innovation ist unsere Zukunft“, sagte Norbert Bischofberger bei seinem Vortrag in Wien: „Ich habe gehört, dass es in Österreich in der Politik Stimmen gibt, die die Frage stellen: ,Warum sollen wir Grundlagenforschung finanzieren? Sollten wir das Geld nicht für die Bekämpfung sozialer Probleme ausgeben?‘“ Seine Antwort sei eindeutig: „Grundlagenforschung garantiert unsere Zukunft, unseren Lebensstandard und den unserer Kinder. Und wir brauchen mehr Einrichtungen wie die Akademie der Wissenschaften (ÖAW), das ISTA (Institute of Science and Technology) oder das CeMM (Forschungszentrum für molekulare Medizin).“
In der Grundlagenforschung sei es nahezu unmöglich vorherzusagen, was dabei herauskommt. „Manchmal wird etwas publiziert und man denkt sich, was ist denn das für ein eigenartiges Zeug? Aber einige Jahre später werden diese Erkenntnisse dann plötzlich wichtig“, so Bischofberger zum KURIER.
Initiative mit Science-Videos für junge Menschen
Die Bedeutung von Wissenschaft will die ÖAW jetzt gezielt jüngeren Menschen mit Science-Videos für die Schule und Social-Media-Plattformen unter dem Titel „Fäkt“ nahe bringen. Im ersten geht es um den Energieverbrauch von künstlicher Intelligenz. Präsentiert werden die Videos von Miso Tschak und Julia Winkler. ÖAW-Präsident Heinz Faßmann: „Wir müssen die jungen Menschen erreichen, die noch kein fixes Weltbild haben und die den Rollbalken noch nicht heruntergelassen haben.“
Info: www.faekt.science
Zwar vertrauen drei Viertel der Bevölkerung der Wissenschaft, aber ein Viertel steht ihr desinteressiert bis skeptisch gegenüber. Ein Beispiel sind die vielen Fake News zu den Corona-Impfungen.
Ich verstehe dieses Misstrauen nicht. Die RNA-Impfstoffe haben unglaublich gut gewirkt, es gibt keine Belege für anderslautende Behauptungen. Dank dieser Technologie ist die Gesellschaft auch viel besser auf künftige Pandemien vorbereitet. Denn man wird damit viel rascher als bisher Impfstoffe auch gegen andere Erreger herstellen können. Das ist ein großer Durchbruch in der Impfstoffentwicklung.
Welches Ziel haben Sie in der Krebsforschung?
Eine neue Therapie, die Krebspatienten ähnlich gut hilft, wie dies bei den Medikamenten gegen HIV und Hepatitis C der Fall ist. Wir haben zwei „kleine Moleküle“ gegen verschiedene Tumoren im Spätstadium in Entwicklung. Sie werden als Tabletten eingenommen, dringen in die Krebszellen ein und sollen ihr Wachstum hemmen. Leicht wird das nicht, aber zumindest versuchen wir es. Ich bin jedenfalls optimistisch. Aber das müssen Sie in diesem Business auch sein – andernfalls müssen Sie etwas anderes machen.
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