Neues Medikament senkt Blutzucker und Gewicht
Die Adipositas-Epidemie führt zu immer mehr Patienten mit Typ-2-Diabetes. Verschiedene Blutzucker senkende Arzneimittel haben oft nur begrenzte Wirksamkeit. Eine neue Wirksubstanz, Tirzepatid, sorgt jetzt bei Diabetologen für Furore: Stärkere Blutzuckersenkung und Gewichtsabnahme werden dadurch erreicht. Jetzt sind große klinische Studien, eine davon mit österreichischer Beteiligung, erschienen.
8,8 Prozent der Weltbevölkerung oder 425 Millionen Menschen leiden an Zuckerkrankheit. Typ-2-Diabetes macht 90 Prozent der Fälle aus. Übergewicht bzw. Adipositas sind wesentliche Mitursachen. An Behandlungskonzepten gibt es seit Jahrzehnten verschiedene Antidiabetika, welche vor allem die Insulinfreisetzung erhöhen, die Resistenz gegenüber dem körpereigenen Insulin reduzieren oder die Zuckerausscheidung über den Harn fördern. Vor allem im späteren Stadium der Erkrankung wird trotzdem oft eine Insulintherapie notwendig, was häufig zu einer weiteren Gewichtszunahme bei ohnehin schon übergewichtigen/adipösen Patienten führt.
Gewichtskontrolle
Doch hier bahnt sich eine wesentliche Verbesserung an. In rund zehn klinischen Studien wurde und wird die Substanz Tirzepatide, ein neues medikamentöses Wirkprinzip, in klinischen Studien erprobt. Erst vergangene Woche erschien im New England Journal of Medicine (5. August) die sogenannte SURPASS-2-Studie. Juan Frias (Universität Leicester/Großbritannien) und seine Co-Autoren belegten darin bei 1.879 Patienten über 40 Wochen hinweg, dass die Substanz in einer einmal wöchentlichen Dosierung von fünf, zehn oder 15 Milligramm zum Injizieren unter die Haut besser als der seit längerem eingesetzte GLP-1-Rezeptoragonist Semaglutide wirkte.
Bei den Neuentwicklungen geht es vor allem um die vielen Typ-2-Diabetiker, bei denen die alleinige Einnahme des Blutzucker senkenden und seit Jahrzehnten bekannten Metformin für die Kontrolle der Erkrankung nicht mehr ausreicht. Die SURPASS-2-Studie umfasste Probanden mit hohem Risiko: Der HbA1c-Wert als Marker für die mittelfristige Blutzuckereinstellung lag im Durchschnitt bei 8,28 Prozent (Beladung der roten Blutkörperchen mit Zucker). Ein gewünschter Zielwert beträgt beispielsweise 6,5 Prozent. Das Durchschnitts-Körpergewicht der Patienten betrug 93,7 Kilogramm, das Durchschnittsalter 56,6 Jahre. Jede medikamentöse Therapie des Typ-2-Diabetes hat eine ausreichende Blutzuckersenkung als Ziel, hinzu kommt möglichst auch die Förderung einer Gewichtsabnahme.
Duale Wirkung
Seit einigen Jahren gibt es mit Substanzen wie Semaglutide (GLP-1-Rezeptoragonist) neue wirksame Medikamente. Hier setzt die Geschichte mit Tirzepatide ein. Es vereint die Wirkung von zwei für die Blutzuckerkontrolle im Körper entscheidenden Botenstoffen: Glucagon-like peptide-1 (GLP-1) und das Glucose-dependent insulinotropic polypeptide (GIP). GLP-1 wird im Darm nach dem Essen ausgeschüttet und veranlasst die Betazellen in der Bauchspeicheldrüse zur Freigabe von Insulin. Semaglutid wirkt genau in dieser Weise durch Bindung an den Rezeptor von GLP-1. Tirzepatide hat aber noch zusätzlich den Wirkmechanismus von GIP. Das Polypeptid ist ein Hormon, das die Wirkungen von GLP-1 ergänzen kann. Ein zusätzlicher Effekt besteht in der Förderung der Gewichtsabnahme, auch durch einen höheren Energieverbrauch.
In der Studie waren die Ergebnisse im direkten Vergleich von Tirzepatide und Semaglutide eindeutig: Unter Semaglutide-Therapie nahm der HbA1c-Wert um 1,86 Prozentpunkte (von 8,28 Prozent als Durchschnittswert) ab. Mit Tirzepatide lag die Reduktion je nach Dosierung zwischen 2,01 und 2,3 Prozentpunkten und war damit statistisch signifikant stärker. Eine Verringerung der Blutzuckerbeladung der roten Blutkörperchen zu einem solchen Anteil ist hoch relevant. Das neue Medikament trägt auch viel stärker zum Abnehmen der Patienten bei: Je nach Dosierung von Tirzepatide verringerte sich das Körpergewicht binnen 40 Wochen um 1,9 Kilogramm bis 5,5 Kilogramm mehr als unter der Behandlung mit Semaglutid.
Hier schließt eine internationale Studie an, die vor wenigen Tagen (6. August) online im Fachblatt Lancet erschienen ist. Beteiligt waren 122 Kliniken in 13 Staaten. Als Autor scheint auch der Wiener Diabetologe Bernhard Ludvik auf (Klinik Landstraße/Karl Landsteiner Institut für Adipositas und Stoffwechselerkrankungen).
An der Untersuchung nahmen 1.444 Typ-2-Diabetiker mit einem BMI über 25 (durchschnittlich 94,3 Kilogramm) und einem HbA1c-Wert von durchschnittlich 8,17 Prozent teil. Die Patienten waren unter einer Behandlung mit Metformin allein oder in Kombination mit einem anderen neuen Medikament zur Blutzuckersenkung (SGLT-2-Hemmer) nicht ausreichend behandelt. Die Alternative war der Start einer zusätzlichen Insulintherapie (einmal täglich Injektion bis zum Erreichen eines Nüchternblutzuckers von weniger als 90 Milligramm pro Deziliter Blut) oder einmal pro Woche fünf, zehn oder 15 Milligramm Tirzepatide. Die Zahl der Patienten in jeder der vier Gruppen lag bei je rund 360.
Nach 52 Wochen erwies sich Tirzepatide mit einer Reduktion des HbA1c-Wertes um 1,93 bis 2,37 Prozentpunkte (je nach Dosierung) als wirksamer als das Insulin (minus 1,34 Prozentpunkte). Ein HbA1c-Wert von weniger als sieben Prozent wurde bei 82 bis 93 Prozent der Behandelten erreicht, unter Insulintherapie bei 61 Prozent.
Risiken reduzieren
Besonders beachtenswert war die Entwicklung des Körpergewichts in dieser klinischen Studie: Unter der Behandlung mit Tirzepatide nahmen die Patienten je nach verwendeter Dosis zwischen 7,5 und 12,9 Kilogramm ab. Hingegen legten die Patienten in der Vergleichsgruppe mit Insulintherapie um durchschnittlich 2,3 Kilogramm an Körpergewicht zu. Die Zunahme an Körpergewicht ist seit vielen Jahrzehnten ein Problem, das mit der Insulintherapie von Diabetes in Verbindung steht.
"Bei Diabetes-Patienten vom Typ 2 zeigte sich Tirzepatide in den Dosierungen von fünf, zehn und 15 Milligramm dem Insulin degludec (Langzeit-Insulin; Anm.) überlegen - mit einer größeren Reduktion des HbA1c-Wertes und des Körpergewichts nach 52 Wochen und einem geringeren Risiko für Hypoglykämie-Episoden ("Unterzuckerung")", schrieben die Autoren. Hypoglykämien können lebensgefährlich sein. Das gilt besonders für solche Zwischenfälle während des Schlafs.
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