Tatsächlich gibt es die Bezeichnung "(Voll-)Mondgesicht“ für Menschen mit einem rundlichen, aufgedunsenen Gesicht in der Medizin. "Ein Mondgesicht tritt bei den meisten Menschen mit Cortisolüberschuss als eines von mehreren Symptomen auf. Dieser Überschuss entsteht allerdings nicht durch Alltagsstress, sondern bei bestimmten Erkrankungen oder Tumoren", betont die Salzburger Endokrinologin Lenka Vargova. Die Veränderung des Gesichts entsteht, weil Fettgewebe falsch abgelagert wird und sich Wasser ansammelt. Der krankhafte Cortisolüberschuss sorgt auch für einen Verlust an Muskelmasse, was ebenfalls Einfluss auf die Gesichtsform hat. Vargova: "Die gute Nachricht ist, dass wenn man das Cortisol wieder unter Kontrolle hat, sich das Mondgesicht wieder zurückbildet.“
Cortisol macht den Körper leistungsfähiger
Zwar ist Cortisol das Stresshormon, das heißt, es wird bei Stress vermehrt freigesetzt und versetzt den Körper in Alarmbereitschaft. Und: Studien zeigen, dass Alltagsstress den Cortisolspiegel ansteigen lässt. Allerdings sorgt diese kurzfristige Erhöhung des Cortisolspiegels im Blut nicht für ein "Mondgesicht", sondern lediglich für einen leichten Cortisolanstieg. "Die Ausschüttung von Cortisol bei Stress ist eine ganz normale Reaktion des Körpers und sorgt dafür, dass wir leistungsfähiger sind. Der Körper rüstet sich sozusagen für Kampf oder Weglaufen und ist aktiviert", sagt Vargova. Zudem reguliert Cortisol den Blutdruck, den Glukosehaushalt und den Stoffwechsel und ist an zahlreichen anderen Körperprozessen beteiligt.
Der Cortisolspiegel schwankt im Verlauf des Tages und kann neben Stress etwa auch durch Schlafmangel, Alkohol, zu viel salziges oder zuckerhaltiges Essen beeinflusst werden. Ein leicht aufgedunsenes Gesicht kann nach einem anstrengenden Tag oder einer langen Nacht zwar auftreten, allerdings ist dieser Effekt nur kurzzeitig und nicht vergleichbar mit einem "Mondgesicht".
Cushing-Syndrom löst "echtes" Mondgesicht aus
Die Veränderung der Gesichtsform tritt bei krankhaft erhöhten Werten auf, meist ausgelöst durch das Cushing-Syndrom. Cushing wird in der Regel durch die Einnahme von Steroiden verursacht. Das sind Medikamente, die aufgrund einer Erkrankung, etwa bei Rheuma, eingenommen werden. Erfolgt dies über einen längeren Zeitraum hochdosiert, kann es zu einem Cortisolüberschuss kommen. Auch Tumore, die den Körper dazu anregen zu viel Cortisol zu produzieren, lösen das Cushing-Syndrom aus.
"Der Großteil der Betroffenen des Cushing-Syndroms entwickelt neben dem Mondgesicht eine sogenannte Stammadipositas, das heißt, der Bauch wird kugelig, Arme und Beine sind im Vergleich dazu aber dünn. Durch den Cortisolüberschuss kommt es zudem zu Dehnungsstreifen, Schlafstörungen, Muskelschwäche und einer verringerten Knochendichte. Auch Blutzucker und Blutdruck steigen an", erklärt Vargova.
Betroffene wie US-Komikerin Amy Schumer leiden unter der veränderten Gesichtsform
Betroffene leiden häufig unter der veränderten Gesichtsform. Prominentes Beispiel ist die US-Komikerin Amy Schumer. Die 43-Jährige reagierte auf Kommentare zu ihrem veränderten Aussehen und gab bekannt, dass bei ihr das Cushing-Syndrom festgestellt wurde, ausgelöst durch hochdosierte Steroidinjektionen. "Die Beschämung und Kritik an unseren sich ständig verändernden Körpern ist etwas, mit dem ich lange Zeit zu tun hatte. Ich wünsche mir so sehr, dass Frauen sich selbst lieben und unermüdlich für ihre eigene Gesundheit kämpfen", sagte Schumer.
Auch die in Tiktok-Videos beschriebenen rundlicheren Gesichter zielen insbesondere auf Frauen ab, die ihren Körper optimieren möchten. Sie seien der Versuch, "ein vermeintliches kosmetisches Problem wie ein rundes Gesicht zu erklären und es zu einem medizinischen Thema zu machen, um es dann selbst beheben zu können", wird Cristina Psomadakis, eine Dermatologin aus London, in einem Bericht der New York Times zitiert. Veränderungen im Gesicht ohne medizinische Ursachen wie das Cushing-Syndrom seien oft auf Gewichtszunahme oder -abnahme zurückzuführen. Psomadakis berichtet allerdings von immer mehr Patienten, die zu ihr kämen, weil sie sich aufgrund von Videos auf Social Media Plattformen Sorgen um ihren Stresspegel und ihren Cortisolspiegel machten.
Endokrinologin Vargova betont, dass – sollte man den Verdacht auf ein "Mondgesicht" oder erhöhte Cortisolwerte haben – man immer zunächst zum Arzt gehen sollte, bevor man selbst Maßnahmen setzt, von denen man vielleicht im Internet gehört hat. "Das endogene (körpereigene, Anm.) Cushing-Syndrom ist selten. Man schätzt, 2 bis 10 Menschen je einer Million sind pro Jahr davon betroffen. Das sollte wirklich gut abgeklärt werden", so Vargova.
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