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Wer an einem Tinnitus leidet, hört Geräusche, die nicht auf eine äußere Quelle zurückzuführen sind. Es handelt sich also um ein subjektives Ohrgeräusch, das nur der Patient oder die Patientin wahrnimmt.
Die gängige Therapie beim chronischen Tinnitus fußt unter anderem auf verhaltenstherapeutischen Maßnahmen und Selbsthilfe. Eine Verhaltenstherapie vermittelt Bewältigungsstrategien, die den Umgang mit dem Tinnitus erleichtern sollen. Auch die Stärkung der Selbstwirksamkeit, Stressmanagement, Entspannungsmethoden und Strategien zur Umlenkung der Aufmerksamkeit weg vom Tinnitus stehen im Fokus. Mit dem Ziel, Patientinnen und Patienten das Gefühl zu geben, dass sie es selbst in der Hand haben, wie es ihnen mit dem Tinnitus geht.
Chatbot leistet Erste Hilfe bei Tinnitus
Hier setzt auch die neue App MindEar an. In der App leitet ein Chatbot verhaltenstherapeutische Interventionen an und kombiniert diese mit klangtherapeutischen Ansätzen. "Wir wollen die Menschen in die Lage versetzen, die Kontrolle wiederzuerlangen", wird Neurowissenschafter Fabrice Bardy von der Universität Auckland, Hauptautor der ersten kleinen MindEar-Studie, im Guardian zitiert. Er leidet selbst an Tinnitus.
In der Fachzeitschrift Frontiers in Audiology and Otology berichten Bardy und sein Team über die Erkenntnisse. In Summe nahmen 28 Personen an der Studie teil. 14 von ihnen wurden gebeten, acht Wochen lang täglich zehn Minuten lang den virtuellen Coach der App zu nutzen. Die anderen 14 Teilnehmenden erhielten ähnliche Anweisungen mit vier halbstündigen Videoanrufen mit einem klinischen Psychologen. Die Probandinnen und Probanden füllten vor der Studie und nach dem achtwöchigen Zeitraum auch Online-Fragebögen aus.
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Klinisch signifikante Verringerung der Belastung
Die Ergebnisse zeigen, dass sechs Teilnehmer, die nur die App erhielten, und neun, die zusätzlich Videoanrufe erhielten, eine klinisch signifikante Verringerung der durch den Tinnitus verursachten Belastung aufwiesen. Nach weiteren acht Wochen berichteten insgesamt neun Teilnehmende in beiden Gruppen über derartige Verbesserungen. Das Ausmaß des Therapieerfolges war also in beiden Gruppen ähnlich.
Der Start einer weiteren, größeren klinischen Studie am University College London steht nun unmittelbar bevor. Man wolle erforschen, ob bestimmte Personen mehr als andere von der zusätzlichen individuellen Unterstützung durch einen Psychologen profitieren. Weil Folgeerkrankungen wie Depressionen und Angst- oder Schlafstörungen beim Tinnitus eine große Rolle spielen, könnte die App in einigen Fällen zu wenig Hilfe bieten. Allerdings, auch das betonen die Fachleute um Bardy, sei schnelle Hilfe beim Tinnitus besonders wesentlich – leistbare Psychotherapieplätze vielerorts aber knapp. Um einer Zustandsverschlechterung vorzubeugen, könnte die App ein probates Überbrückungsmittel sein.
Keine "Komplettlösung für alle Tinnitus-Patienten"
MindEar ist nicht die erste App ihrer Art. So wird etwa gerade auch die Tinnitus-App Oto in Großbritannien erforscht. Matthew Smith ist Facharzt für HNO-Chirurgie und wirkt an der Studie mit. Derartige Apps könnten einen wertvollen Weg zur Bewältigung von Tinnitus weisen. Insbesondere indem Therapieoptionen für Patientinnen und Patienten zugänglicher werden. Smith mahnt im Gespräch mit dem Guardian aber auch zur Vorsicht und weist darauf hin, dass Verhaltenstherapie nur ein Aspekt der Tinnitus-Behandlung sei. Eine App allein sei keine "Komplettlösung für alle Tinnitus-Patienten".
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In Österreich leiden Schätzungen zufolge eine Million Menschen unter einem Tinnitus. Heilen lässt er sich in der Regel nicht, vor allem dann, wenn er chronifiziert, also länger als drei Monate besteht. Im Akutstadium kann mittels durchblutungsfördernder Kortison-Therapie behandelt werden. Je früher das passiert, desto größer die Erfolgschancen. Die anerkannte Therapie den chronischen Tinnitus baut neben verhaltenstherapeutischen Maßnahmen auf der psychosozialen Beratung und der Versorgung mit Hörgeräten sowie Hörtrainings bei Hörverlust.
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