"Profiathleten definieren sich oft von Kindesbeinen an über sportliche Erfolge, der Sport ist im absoluten Fokus", schickt Sportpsychologe Georg Hafner voraus. Mit dem Karriere-Aus ändert sich nicht nur der Lebensmittelpunkt, "eine Ära geht zu Ende". Mit vielen Vorteilen – mehr Zeit für Familie und Freunde beispielsweise –, "aber auch mit allen Nachteilen", wie Hafner betont. So fallen etwa Prestige, Publikum, Reisen, berufliche Netzwerke und auch Preisgelder weg.
"Eine Spitzensportkarriere prägt den Menschen und seine Identität", bestätigt Sportpsychologin Andrea Engleder. "Hat man die Chance, diese Identität wieder zu leben, gibt es wenig Gründe, es nicht zu tun." Auch der Wunsch nach Zugehörigkeit spiele eine Rolle: "Sport funktioniert ähnlich wie Familie, man kennt sich, man ist sich vertraut, man hat seine Rolle, in der man sich sicher fühlt."
Tiefen Sehnsüchten begegnen
In vielen Athletinnen und Athleten lodert das Feuer für den Sport nach dem Ausstieg weiter. "Viele vermissen den Wettkampf, den Reiz, sich zu messen, das Adrenalin, den Siegesrausch – alles, was den Sportzirkus ausmacht", weiß Hafner. Der normale Alltag sei oft ungewohnt banal. Die Verlockung, noch einmal gefeiert zu werden, groß. "Wenn mir das alles Energie gibt, tue ich mir schwer, eine ähnliche Reizkulisse im Alltag zu finden", ergänzt Engleder. Sportler im Karriereübergang würden ihr immer wieder berichten, "wie herausfordernd es sein kann, ein Äquivalent zu finden".
Die voranschreitende Professionalisierung des Spitzensports macht insbesondere späte Comebacks möglich. Hafner: "Mit 35 gehört man heute nicht zum alten Eisen. Viele sind noch bis Ende 30 in der Lage Top-Leistungen zu erbringen – das macht den Wiedereinstieg attraktiv."
Mit seinem Comeback nach dem Karriere-Aus ist Hirscher im Ski-Sport ein Pionier. An sich sind reanimierte Sportlerkarrieren keine Seltenheit. Die Liste namhafter Athletinnen und Athleten ist lang: Da fällt einem etwa Michael Schuhmacher ein. Der Ausnahme-Rennsportler zog sich 2006 aus der Formel 1 zurück, nach langen Spekulationen gab er 2009 sein Comeback bekannt. NBA-Superstar Michael Jordan übte sich in den Neunzigern nach eineinhalbjähriger Auszeit wieder im Körbe werfen. Box-Legende Muhammad Ali stieg 1970 nach jahrelangem Boxverbot wieder in den Ring. Tennis-Ass Kim Clijsters kam gleich mehrfach zurück: Zuerst nach der Geburt ihrer Tochter 2009, dann abermals nach sportlichen Durstrecken. Katarina Witt, Weltmeisterin im Eiskunstlauf, trat 1988 zurück, sechs Jahre später feierte sie ihr Revival auf Kufen.
Sich innerlich neu ausrichten
Nicht immer folgten auf diese Sensationen auch Siege. Wie geht man damit um? "Bestenfalls mit sportpsychologischer Begleitung", sagt Hafner. So könne man etwa auf mentaler Ebene trainieren, Leistung anders zu gewichten "und sich von medialen Urteilen zu befreien".
Körperlich hat nach einem Sport-Aus das sogenannte Abtrainieren Priorität. Das mentale Runterkommen darf dabei nicht zu kurz kommen. "Einer der größten Risikofaktoren für die mentale Gesundheit sind ungeplante Karriereenden, häufig durch Verletzungen oder Leistungstiefs", schildert Engleder. Die Folgen reichen von Depression über Essstörungen hin zu Suchtverhalten. "Es ist wichtig, eine Vorstellung zu haben, was danach kommen könnte. Und sich damit auseinanderzusetzen, wer man ist, wenn man keinen Spitzensport mehr macht."
Eine alternative Zukunft erschaffen
Den Blick rechtzeitig auf künftige Aufgaben zu richten, hält auch Hafner für relevant. "Manche gehen als Experten zum Fernsehen, andere versuchen in anderen Sportarten zu reüssieren oder wechseln in den Trainerberuf." Langfristig gehe es darum, "Prioritäten neu zu ordnen". Der Fall Hirscher sei speziell: "Er hatte wohl schon vor seinem Ausstieg einen Plan B mit seiner eigenen Ski-Firma und wusste, wo er seine Sportleidenschaft weiterleben kann." Dass sein eigenes Unternehmen beim Comeback eine Rolle spielt, sei plausibel. "Er kann als Werbebotschafter für sein eigenes Produkt neue Bühnen erschließen."
Nicht immer ist ein Comeback ratsam. Wichtig sei, dass die Rückkehr aus den richtigen Gründen erfolgt, sagt Hafner: "Verzweiflung ist nie ein guter Ratgeber. Wenn die wirtschaftlichen, körperlichen und mentalen Rahmenbedingungen stimmen und ein Neustart mit Blick auf den Lebensweg Sinn macht, darf auch ein abgeschlossenes Kapitel wieder geöffnet werden."
Kommentare