Studie mit knapp 300 Personen
Die Forscher verglichen die Blutproben von 273 Personen, die in drei Gruppen zugeordnet wurden:
- jene, die strenge Kriterien für die Diagnose Long Covid erfüllten
- jene, die Covid-19 hatten, sich aber vollständig erholten, und
- Menschen ohne Anzeichen einer Infektion.
Jene Studienteilnehmer, die an Covid-19 erkrankt waren, hatten überwiegend leichte Erstinfektionen. Bei ihnen wurde im Schnitt ein Jahr nach der Erkrankung Blut abgenommen und untersucht. Die beiden Gruppen, die eine Covid-Infektion hinter sich hatten, beantworteten zudem detaillierte Fragen zu ihren Symptomen.
Bei den Studienteilnehmern in der Long-Covid-Gruppe waren die häufigsten genannten Symptome Müdigkeit, Gehirnnebel ("Brain Fog") und Gedächtnisprobleme sowie das posturale orthostatische Tachykardiesyndrom (POTS), das beim Aufstehen nach dem Liegen zu Herzrasen, Schwindel und Panikattacken führt.
➤ Mehr lesen: Long Covid: "Gehirnnebel" lässt Betroffene um 10 Jahre altern
Algorithmus zu 96 Prozent genau, wer Long Covid hatte
Die Forscher suchten nicht nach etwas Bestimmtem, sondern gingen explorativ vor. Sie maßen eine Reihe von Faktoren in den drei Gruppen, etwa Hormone, Immunaktivität und andere Krankheitserreger. Dazu nutzten sie auch Künstliche Intelligenz, um die riesigen Datenmengen, die sie generierten, zu ordnen. Ziel war es, Vergleiche zwischen den drei Teilnehmergruppen ziehen zu können.
Das Ergebnis: Ihr Algorithmus habe mit 96-prozentiger Genauigkeit identifizieren können, welche der Patienten Long Covid hatten, so die Studienautoren.
Vor allem zwei Werte spielten eine Rolle:
- Kortisolspiegel
- Immunwerte
➤ Mehr lesen: Long Covid: Warum ein tieferes Verständnis der Erkrankung notwendig ist
Niedriger Cortisolspiegel in der Früh
Menschen mit Long Covid hatten am Morgen niedrigere Werte des Hormons Cortisol im Vergleich zu jenen, die nicht an langfristigen Symptomen litten. Bei Gesunden ist normalerweise der Cortisolspiegel morgens am höchsten, um den Körper quasi aufzuwecken, und nachts am niedrigsten.
Long-Covid-Patienten hatten allerdings morgens abgeschwächte Cortisolspiegel. Das heißt, ihr Körper produziert zu wenig des Stresshormons, das sie wach machen und wachhalten soll. Die gemessenen Cortisolspiegel waren nur halb so hoch wie bei Menschen in der Kontrollgruppe. In der Studie war der morgendliche Cortisolwert jener Wert, der am besten vorhersagte, ob eine Person Long Covid hatte oder nicht.
Allgemein führt ein niedriger Cortisolspiegel zu Müdigkeit, Übelkeit und Erbrechen, Gewichtsverlust, Schwäche und Schmerzen. Diese Symptome können auch bei Long Covid auftreten. Ein niedriger Cortisolspiegel könnte also zu diesen Symptomen beitragen.
Allerdings konnte in der Studie kein Grenzwert für Cortisol festgestellt werden, ab dem eine Person mit Long Covid diagnostiziert werden kann. Dazu braucht es weitere Studien.
Hinweise auf Immunschwäche
Zusätzlich zu Cortisol fanden die Forscher auch Hinweise auf eine Immunschwäche. Jene mit Long Covid hatten eine höhere Menge an Immunzellen im Blut, die als nicht-konventionelle Monozyten bezeichnet werden, sowie niedrigere Mengen einer weiteren Art von Immunzellen, die als konventionelle dendritische Zellen vom Typ 1 bezeichnet werden. Tests ergaben auch eine Konstellation anderer Unterschiede, die darauf hindeuten, dass das Immunsystem aus dem Gleichgewicht geraten ist.
Die Forscher stellten weiters fest, dass auch frühere Infektionen mit anderen Erregern eine Rolle spielten. In der Gruppe der Long-Covid-Patienten zeigten sich Immunveränderungen, die darauf hindeuten, dass ruhende Viren im Körper wieder "erwacht" waren, etwa das Epstein-Barr-Virus, dessen Infektion für ihre schwächende Müdigkeit bekannt ist. Diese Reaktivierung ruhender Viren könnte einen Teil der Symptome bei Long Covid erklären.
"Das ist ein entscheidender Schritt vorwärts bei der Entwicklung von stichhaltigen und zuverlässigen Bluttest-Verfahren für Long Covid", so Studienautor David Putrino in einer Pressemitteilung des Mount-Sinai-Krankenhauses.
Neurologe Michael Stingl: "Ein wichtiger Schritt"
Der österreichische Neurologe Michael Stingl, der viele Long-Covid-Patienten betreut, sagte im Ö1-Morgenjournal vom Donnerstag zur Studie: "Es ist auf jeden Fall ein wichtiger Schritt, weil man klar gesehen hat, dass es Parameter gibt, anhand derer man Leute, die Long Covid haben, klinisch auseinanderhalten kann von Leuten, die Long Covid nicht haben. Man muss aber auch dazusagen, dass es eine Kombination aus Werten war, die herangezogen wurden. Es gibt also auch nicht diesen einzelnen Wert, den man bestimmt."
Ein solcher Wert wäre sehr wichtig bei Long Covid, so Stingl. Die Ergebnisse zu Cortisol und Immunwerten seien in dem Sinn nicht neu, neu war aber der Ansatz, die Werte zu kombinieren.
Generell sei der Forschungsstand zu Long Covid aus seiner Sicht nicht zufriedenstellend, betonte Stingl. Auch die Versorgung Betroffener sei "nicht optimal". "Einige Anlaufstellen, die es für Long-Covid-Personen gab, wurden wieder zugesperrt. Wir brauchen definitiv eine bessere Versorgung", sagte Stingl. Auch ein Zentrum, in dem Long Covid beforscht wird, wäre für viele Betroffene eine große Hilfe.
Die Studie war bereits im August 2022 als Preprint auf dem Portal "medRxiv" publiziert worden, hat nun aber einen Peer-Review-Prozess durchlaufen.
Kommentare