Christian Gäbler: Das finde ich großartig. Und ich sehe nichts, was dagegen spricht. Mit einem künstlichen Kniegelenk – und übrigens auch einem Hüftgelenk – sind Spitzenleistungen definitiv möglich. Vonn hatte in ihrer aktiven Zeit viele Verletzungen, auch Operationen am rechten Knie. Dadurch hat sie Muskulatur verloren – und diese ist der begrenzende Faktor. Entscheidend ist, ob sie es geschafft hat, ihre Muskulatur wieder gut aufzutrainieren – wovon ich ausgehe. Das gilt auch für Hobbysportler: Einer meiner Patienten trainierte eifrig und war bereits fünf Monate nach der Implantation einer Knieprothese mit einem Guide im freien Gelände im Tiefschnee unterwegs.
Es gibt aber auch skeptische Stimmen. Die Belastung gerade bei einer Abfahrt mit 130 km/h sei nicht zu unterschätzen, das Risiko enorm.
Eine moderne Knieprothese hält diese Belastungen aus. Die Prothese ist durch Knochenzement – eine spezielle Kunststoffverbindung – so fest mit dem Knochen verbunden, dass eher der Knochen bricht, als dass die Prothese ausreißt. Das hat dann aber nichts mit der Prothese zu tun. Biomechanisch sehe ich da gar kein Problem.
Ich habe nicht wenige Patientinnen und Patienten Mitte 50, die sagen, dass sie sportlich recht aktiv sind – und Nordic Walking, Radfahren oder auch Wandern nennen. Nur Skifahren sei wegen ihrer Arthrose im Kniegelenk nicht mehr möglich, die Schmerzen seien zu groß. Und deshalb entscheiden sich dann diese Menschen eher früher als später für ein künstliches Kniegelenk.
Ein neues Knie, nur um Skifahren zu können?
Ja. Kürzlich hat mir eine Patientin erzählt: Wenn sie nicht mehr Skifahren könnte wäre das für sie so, als würde man ihr das Autofahren verbieten wollen. Für andere wiederum ist die Möglichkeit, weiterhin Tennis zu spielen, die Motivation. Ich weiß, dass das nicht jeder nachvollziehen kann, aber in diesen Fällen hat die jeweilige Sportart eine sehr hohe emotionale Bedeutung. Diesen nicht mehr ausüben zu können bedeutet eine Einschränkung ihrer Lebensqualität, die sie nicht hinnehmen wollen.
Aber könnte – zumindest bei Hobbysportlern – dann nicht auch Training zur Stärkung der Muskulatur reichen?
Das hängt vom Grad der Arthrose, also der fortschreitenden Knorpelschädigung, ab. Natürlich kann man mit Muskelaufbau durch Physiotherapie, mit Elektrotherapie, Knorpelpräparaten und anderen konservativen Verfahren viel erreichen. Aber sobald Knochen frei liegt und nicht mehr durch Knorpel geschützt ist, ist das so wie wenn man irgendwo am Körper eine offene Wunde hat und mit dem Finger auf diese drückt – nicht zum Aushalten. Reibt Knochen auf Knochen führt das zu Dauerschmerzen und starken Bewegungseinschränkungen. Und das kann Sportarten wie Skifahren oder Tennis unmöglich machen.
Wie längt hält ein modernes künstliches Kniegelenk?
20 bis 30 Jahre auf jeden Fall, möglicherweise auch länger. Das ist ja auch der Grund, warum wir heute einen derartigen Eingriff auch jüngeren Menschen mit Schmerzen im Knie anbieten können. Früher haben die Prothesen teilweise nur zehn Jahre lang gehalten. Weil beim Einpassen der Prothese große Knochenteile entfernt werden mussten, war es auch nicht möglich, alle zehn Jahre eine neue Prothese einzusetzen – irgendwann war der Knochen so zerstört, dass es keine vernünftige Möglichkeit für einen Ersatz mehr gab.
Und wie ist es heute?
Heute sind die Eingriffe viel schonender, die Prothesen maßgefertigt. Wir entfernen nicht mehr große Knochenteile, sondern schneiden lediglich kaputte Knorpel-Knochenanteile weg. Danach setzen wir statt klobiger Metallteile lediglich einen Oberflächenersatz ein. Ich vergleiche das mit einer Zahnkrone: Ein Zahn hat zwar geschädigte Teile, aber die Substanz ist gut und deshalb zieht man ihn nicht, sondern entfernt nur den beschädigten Teil und setzt eine Krone darauf.
Es erhalten also zunehmend auch Jüngere Knieprothesen?
Genau. Früher hat versucht, den Eingriff möglichst lange hinauszuschieben – auch mit kontinuierlicher Schmerzmitteleinnahme. Auch heute kommen noch 50-, 55-jährige Patienten zu mir, denen gesagt wurde, sie müssten zumindest bis 60 auf eine Prothese warten, obwohl sie starke Schmerzen haben. Aber das ist nicht notwendig. Die heutigen Prothesen sind so viel besser, die OP-Methoden so viel schonender, dass wir auch jüngeren Menschen ein künstliches Knie implantieren können, ohne dass sie dann mit 70 Jahren ein chirurgisch unlösbares Problem haben.
Welche Gründe sind eigentlich dafür verantwortlich, dass bereits 50-Jährige eine Knieprothese benötigen, um weiterhin voll aktiv sein zu können?
Da gibt es ein großes Missverständnis. Ich habe gar nicht wenige Patientinnen und Patienten, die zu mir kommen und sagen: „Ich habe immer so viel Sport gemacht, und jetzt ist mein Knie kaputt.“ Darauf antworte ich: Das stimmt nicht. Ihr Knie ist nicht kaputt, weil sie Zeit Ihres Lebens sportlich aktiv waren, sondern weil sie zum Beispiel irgendwann in ihrer Jugend Verletzungen durchgemacht haben – Mikroschäden, die sie damals vielleicht gar nicht bemerkt haben - und 40 Jahre später machen sich Folgeschäden bemerkbar.
Solche Mikroschäden an der Knochenoberfläche können wirklich ganz minimal gewesen sein, aber über die Jahrzehnte entsteht daraus eine beträchtliche Beeinträchtigung des Knorpels. Keinen Sport zu machen, das ist aber nicht die Alternative: Auch dann ist man nicht vor Knorpelschäden gefeit, weil dann ist man eher übergewichtig – und Übergewicht ist der häufigste Grund für Knorpelschädigungen.
Zwei Gründe für eine fortgeschrittene Arthrose, die eine Prothese notwendig machen können, haben Sie jetzt genannt. Gibt es noch weitere?
Es gibt die vier apokalyptischen Reiter des Kniegelenks. Verletzungen und Übergewicht sind sicher die häufigsten. Die dritte Ursache sind Kniefehlstellungen, die zu einer sehr raschen Abnutzung des Kniegelenks führen, etwa ein O-Bein oder ein X-Bein. Dadurch wird das Gelenk ungleichmäßig belastet – und der stärker belastete Teil nützt sich rascher ab. Und dann gibt es noch den vierten apokalyptischen Reiter des Kniegelenks, und das ist die Genetik. Also genetische Ursachen, die dazu führen, dass sich der Knorpel, die Schutzschicht der Knochen, auch ohne Vorliegen der anderen drei Gründe rascher abnützt und degeneriert. Das ist allerdings die seltenste der vier Ursachen einer Arthrose.
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