Kriegskinder: Entbehrungen bei Lebensmitteln wirken ein Leben lang nach

Ein leerer Teller.
Vor allem Frauen überkompensieren Mängel ein Leben lang. Fehlte es an Fleisch, wird häufiger täglich Fleisch gegessen, wie eine aktuelle Studie zeigt.

Hunger ist in Kriegszeiten weit verbreitet. Wer diese Mängel erlebt hat, bei dem wirken sie ein Leben lang nach. Das zeigt eine aktuelle gemeinsame Studie von ZEW Mannheim (Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung), der Erasmus-Universität Rotterdam und der Global Labor Organization. Untersucht wurden die Daten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs von rund 13.000 Menschen in Italien, wobei Essgewohnheiten, Body-Mass-Index und andere Gesundheitsdaten aus dem späteren Leben der Menschen einbezogen wurden.

Das Ergebnis: Vor allem Frauen überkompensieren den Mangel an Fleisch während des Zweiten Weltkriegs in Europa für den Rest ihres Lebens. Sie essen häufiger täglich Fleisch und geben mehr Geld für Lebensmittel aus. Zudem leiden sie auch häufiger unter Folgeerkrankungen wie Übergewicht oder Krebs als Menschen, die keine Fleischknappheit in ihrer Kindheit erlebten.

"Nicht nur die Kriegsgeneration selbst versucht den erlittenen Mangel auszugleichen – ihre Kinder übernehmen das Verhalten der Eltern. Auch ein kurzfristiger Mangel in der Kindheit hat also einen großen Einfluss auf Lebensstil und Gesundheit gleich mehrerer Generationen", sagt Ko-Autorin Effrosyni Adamopoulou. 

Alle Schichten hungerten, vor allem an Fleisch mangelte es

Hunger war während des Zweiten Weltkriegs in Familien aller sozio-ökonomischen Schichten Italiens weit verbreitet. Viele Nutztiere wurden zur Deckung des Nahrungsbedarfs der einmarschierten Armeen geschlachtet – das Fleischangebot ging erheblich zurück. Allerdings erreichte der durchschnittliche Pro-Kopf-Fleischkonsum bis 1947 in fast allen Regionen Italiens wieder Vorkriegsniveau, das heißt, der Krieg verursachte nur eine kurzfristige Fleischknappheit.

Die Forschenden fanden zudem einen Geschlechterunterschied heraus. Dass Frauen die Mängel ihrer Kindheit später stärker kompensierten als Männer, liege laut den Autoren daran, dass Mädchen in Zeiten der Knappheit gegenüber Buben benachteiligt wurden. Zwischen den Jahren 1942 und 1944 verloren zweijährige Mädchen im Schnitt stärker an Gewicht als Buben – beim Verteilen der knappen Güter wurden offenbar Söhne gegenüber Töchtern bevorzugt, schreiben die Wissenschafter. 

Dieser Unterschied war bei Arbeiterkindern noch größer. In ländlichen Regionen betrug der durchschnittliche Gewichtsverlust von Arbeiterkindern 1942 bis 1944 bei Mädchen vier Prozent, bei Buben waren es 1,4 Prozent. 

Frauen leiden eher unter Folgeerkrankungen wie Übergewicht als Männer

Diese Unterschiede zeigen sich bis heute. Frauen leiden eher unter gesundheitlichen Folgen der Überkompensation. "Frauen, die in ihrer Kindheit größeren Fleischmangel erlebt haben, neigen zu einem höheren BMI und haben eine größere Wahrscheinlichkeit, später im Leben übergewichtig zu sein", erläutert Adamopoulou. "Für diese Frauen ist auch wahrscheinlicher, dass sie ihre eigene Gesundheit als schlecht empfinden und an Krebs erkranken – das deckt sich mit medizinischen Erkenntnissen, die den Verzehr von rotem und verarbeitetem Fleisch mit Übergewicht und einem höheren Krebsrisiko in Verbindung bringen."

Die Untersuchung beruht auf Daten des italienischen Nationalen Instituts für Statistik (ISTAT), darunter Archiv-Daten zum Nutztierbestand der Kriegsjahre sowie historische Schlachtzahlen zusammen mit umfangreichen Umfragedaten zu Essgewohnheiten und gesundheitlichen Auswirkungen auf individueller Ebene. Vermögens- und Einkommensdaten der Haushalte erlauben zusätzlich Rückschlüsse zu Effekten auf Lebensmittelausgaben.

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