Kriegsberichterstattung: Wenn die Psyche Pausen braucht

Horrorbilder aktivieren die Alarmanlage in unserem Kopf.
Zwischen Mitgefühl und Angstzuständen braucht das Gehirn jetzt auch Erholungsphasen, sagen Experten.

Mutter, Vater, zwei Töchter, nebeneinander auf einer Brücke liegend, ihre Gesichter sind deutlich zu erkennen. Nur der Vater lebt noch. Das Foto einer ukrainischen Familie, die auf der Flucht von russischen Soldaten erschossen wurde, sorgt für Wut und Entsetzen, nachdem es die New York Times auf ihrer Titelseite und in der Online-Ausgabe gezeigt hat.

Täglich produziert der Krieg neue Schreckensbilder, die über (soziale) Medienkanäle zu uns dringen und das Leid der Betroffenen veranschaulichen. Die ungefilterte Fotoflut rüttelt nicht nur auf, sie belastet auch die Psyche, weiß der Neurobiologe Marcus Täuber. „Ein Bild wie das von der getöteten Familie löst nicht nur Mitgefühl, sondern auch Schmerz, Schock und Trauer aus – im Prinzip Anzeichen einer Depression.“

Horrorbilder würden die „Alarmanlage“ in unserem Kopf aktivieren: „Verbunden mit dem Gefühl fehlender Kontrolle kippt unser Gehirn in einen Modus, in dem der Gedanke ans Überleben in den Vordergrund rückt.“

Ähnliches berichtet die Psychotherapeutin Andrea Kucera. „Vor allem bei Menschen, die selbst vor dem Krieg geflüchtet sind, können solche Bilder zu Retraumatisierungen führen und Erinnerungen an vergangene Zeiten auslösen. Bei Angstpatienten können sie bereits vorhandene Sorgen und Ängste verstärken.“

Selbstfürsorge

Die Psychologin rät, Gesehenes innerhalb der Familie zu thematisieren. „Statt Ohnmacht und Hilflosigkeit ist es besser, in die Handlung zu kommen, zum Beispiel durch Spenden. Eine weitere Bewältigungsmöglichkeit ist, dankbar dafür zu sein, dass wir hier in Sicherheit sind.“ Bei allen Schreckensmeldungen sollte man jetzt nicht auf das Positive vergessen, sagt Kucera. Dem Mode-Begriff „Selbstfürsorge“ – Neudeutsch: Selfcare – haftet etwas Egoistisches, Weltfremdes an, dennoch sei die Seelenpflege gerade jetzt essenziell. „Überlegen Sie, was in Ihrem Leben wichtig ist: Sind es Bindungen zu anderen Menschen, ist es die Natur? Es ist wichtig, den Blick auf das Jetzt zu lenken.“

Den Fokus auf das unmittelbar Kontrollierbare zu richten, rät auch der Neurobiologe. Unser Gehirn sei zwar für Stress gemacht, brauche aber auch Erholungsphasen. Vor allem Meditation und Atemübungen stoppen den negativen Gedankenfluss. Dazu gehört auch, den Medienkonsum zu dosieren. Entscheidend sei der Zeitpunkt, sagt Täuber. „Beim Einschlafen ist unser Gehirn in einer Art Trance, einem Zustand ähnlich der Hypnose. Botschaften, die kurz zurückliegen, werden bevorzugt verarbeitet und in den Schlaf mitgenommen.“

Er empfiehlt daher, in der letzten Stunde vor dem Schlafengehen keine Negativ-Nachrichten mehr zu lesen, oder schauen. „Besser ist es, den Tag mit Dankbarkeit und schönen Eindrücken Revue passieren zu lassen.“

Kommentare