Erfolgsgeschichte: Wie die moderne Medizin dem Krebs auf der Spur ist
Die Krebsmedizin steht vor einer Zeitenwende: Das schreiben der Onkologe Christoph Zielinski und der Publizist Herbert Lackner in ihrem neuen Buch „Dem Krebs auf der Spur“. Besonders in den vergangenen 25 Jahren hätten zahlreiche neue Erkenntnisse zu großen Erfolgen in der Krebsmedizin geführt. Patientinnen und Patienten mit Krebs „leben immer länger und viele von ihnen werden geheilt“.
KURIER: Der Buchtitel erinnert an einen Krimi: Der Krebs als Täter, dem man auf der Spur ist?
Christoph Zielinski: Es ist ja tatsächlich eine Kriminalstory: Über Jahrhunderte sind unzählige Thesen zu diesen Erkrankungen und ihrer Therapie aufgestellt und verworfen worden, weil man auf einer falschen Spur war. Erst in den vergangenen Jahrzehnten gab es entscheidende Fortschritte im Verständnis von Krebs. Aber noch ist der Täter nicht besiegt.
Seit Ihrem Berufseinstieg 1979 hat sich unglaublich viel verändert. Ist irgendetwas mit heute vergleichbar?
Nein. Die Zeit damals kann man überhaupt nicht mit heute vergleichen. Damals gab es bescheidene Fortschritte in der Chemotherapie – aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass es ein wenig beschämend war, dass wir nichts anderes anzubieten hatten.
Heute wissen wir, dass man einen Tumor nur dann erfolgreich behandeln kann, wenn man seine Eigenschaften, seine Biologie, kennt. Dafür war der 2006 veröffentlichte „Cancer Genome Atlas“ ein Durchbruch, der die genetischen Bausteine von Tumoren entschlüsselt. Erst damit konnten wir beginnen, viele Tumore gezielt anhand ihrer genetischen Merkmale zu bekämpfen – und nicht nur unspezifisch mit einer Chemotherapie.
Ihr Buch soll Mut machen, schreiben Sie.
Insgesamt stehen uns seit 2002 fast 600 neue Medikamente zur Verfügung. Seit 2010 wurden rund 150 Medikamente zugelassen, die zielgerichtet gegen bestimmte genetische Tumormerkmale wirken. Dadurch wird Krebs in vielen Fällen zu einer chronischen Erkrankung.
Christoph Zielinski
Der internistische Onkologe war von 2004 bis 2017 Vorstand der Uni-Klinik für Innere Medizin am AKH / MedUni Wien. Bis 2018 leitete er auch das Comprehensive Cancer Center. Seit 2020 ist er Ärztlicher Direktor der Wiener Privatklinik. Die Stanford University reihte ihn unter die weltweit besten zwei Prozent der Wissenschafter.
Herbert Lackner
Der Politikwissenschafter und Publizist war 23 Jahre lang Chefredakteur des Nachrichtenmagazins „profil“ und davor stellvertretender Chefredakteur der „Arbeiter Zeitung“. Er ist auch Autor zahlreicher zeithistorischer Beiträge und mehrerer Bücher.
Aber noch gibt es solche Medikamente nicht gegen jede Tumorart. Auch die neuen Immuntherapien – sie heben die vom Tumor ausgelöste Lähmung des körpereigenen Abwehrsystems auf – helfen derzeit erst einem Drittel der Patientinnen und Patienten. Aber wo sie helfen, sind die Ergebnisse beeindruckend.
So leben fünf Jahre nach der Diagnose von schwarzem Hautkrebs heute noch mehr als 90 Prozent der Patientinnen und Patienten – noch vor 15 Jahren war das unvorstellbar. Genauso hoch ist die Fünfjahres-Überlebensrate bei früh erkanntem Brust- und Prostatakrebs. Seit 2016 geht der Anteil der verstorbenen Krebspatienten jährlich um zwei Prozent zurück.
Auch wenn moderne Therapien noch nicht bei jedem Patienten anschlagen – hat sich die Behandlungsqualität nicht für alle in irgendeiner Form verbessert?
Ganz klar. Operationstechniken und Strahlentherapie sind viel präziser geworden, alleine das hat die Prognosen für die Betroffenen verbessert. Nebenwirkungen der Therapien bekommen wir heute viel besser in den Griff. In bestimmten Fällen ist auch eine Chemotherapie in Tablettenform möglich, die weniger Nebenwirkungen hat. Das Ziel ist aber, irgendwann ganz ohne Chemotherapie auszukommen. Zum Teil gelingt das jetzt schon, etwa beim Melanom.
Wie wird die Krebstherapie im Jahr 2050 aussehen?
Sie wird noch viel verfeinerter und individueller sein als heute. Wenn der Pathologe bei der Biopsie von Tumorgewebe eine seltene genetische Mutation entdeckt, bei der nicht klar ist, welche Therapie dagegen die optimale ist, wird Künstliche Intelligenz noch besser als heute helfen können: Sie wird in Sekundenschnelle in den Datenbanken mögliche vergleichbare Fälle auffinden – und die wirksamsten Therapien, die bisher weltweit dagegen eingesetzt wurden.
Auch die Frühdiagnostik wird viel besser werden: Derzeit werden Blutanalysen auf Tumor-Erbgut – die „liquid biopsy“ – bereits eingesetzt, um bei Patienten mit Metastasen Rückfälle frühzeitig zu erkennen. 2050 werden Blutanalysen aber sicher auch für Erstdiagnosen eine Rolle spielen.
Sie treten dafür ein, dass die Krankenkassen die Darmspiegelung auch bei Unter-50-Jährigen bezahlen sollen.
Wir sehen eine bestürzende Zunahme an Patienten mit Dickdarmkrebs, die um die 40 Jahre alt sind. Hier besteht sicher ein Zusammenhang mit einer ungesunden Lebensweise, wenig Bewegung, einseitige Ernährung, Übergewicht. Möglicherweise spielen auch Umwelteinflüsse wie Luftschadstoffe eine Rolle. Deshalb sollten die Kassen ab 40 Jahren eine Grundkoloskopie finanzieren, um zu sehen, ob bereits Polypen – gutartige Veränderungen der Darmschleimhaut, die später zu Krebs werden können – vorhanden sind.
Sie betonen sowohl für Gesunde als auch bereits Erkrankte ganz besonders den Stellenwert von Bewegung. Wird der unterschätzt?
Ja, eindeutig. Es gibt mehrere Studien, die klar zeigen: Bei gesunden Frauen und Männern senken Sport und Bewegung das Risiko, an Krebs zu erkranken, deutlich. Und bei Patienten, die an Dickdarm- oder Brustkrebs erkrankt sind, hat Bewegung drei Mal in der Woche in manchen Fällen einen besonders bemerkenswerten Effekt: Die Chance, dass die Erkrankung nach der Tumorentfernung nicht wiederkehrt, verdoppelt sich.
Und wenn keine Therapie mehr wirkt?
Zu Beginn meiner Ausbildung war der Umgang der Ärztinnen und Ärzte mit den Patientinnen und Patienten teilweise sehr bevormundend, paternalistisch. Heute sind Arzt und Patient Partner, und unter gegenseitigem Respekt geht es um eine ehrliche Kommunikation und das Eingehen auf individuelle Bedürfnisse. Die moderne Palliativmedizin ermöglicht auch, dass die Menschen frei von Schmerzen sind und ihre Würde gewahrt bleibt.
Sie sind schon so lange in der Krebsmedizin tätig: Wie hat Sie das geprägt?
Ich bin ein sehr optimistischer Mensch. Mich hat immer die Hoffnung angetrieben, den Patienten bessere Therapien anbieten zu können: Diese Entwicklung seit der Jahrtausendwende, bei der es laufend Fortschritte gibt, die hat mich sehr geprägt. Wir erleben derzeit Schritt für Schritt den Sieg des menschlichen Geistes über eine biologische Problematik. Und das ist – auch wenn wir noch nicht am Ziel sind – sehr befriedigend.
Buchtipp:
Christoph Zielinski, Herbert Lackner:
„Dem Krebs auf der Spur. Die Erfolgsgeschichte der Krebsforschung“
Carl Ueberreuter Verlag,
184 Seiten, 25 Euro
Veranstaltungshinweis. Männer ab dem 45. Lebensjahr sollten regelmäßig eine urologische Vorsorgeuntersuchung durchführen lassen. Das empfehlen sowohl die Österreichische Krebshilfe als auch die Gesellschaft für Urologie.
Mit rund 7.000 Neuerkrankungen pro Jahr ist Prostatakrebs die häufigste Krebserkrankung bei Männern. Über die neuesten Erkenntnisse zur Vorsorge, Früherkennung und Behandlung und generell alle Fragen zum Thema „Gesunde Prostata“ wird am kommenden Montag, 14.10., beim KURIER-Gesundheitstalk ab 18.30 Uhr im Van Swieten Saal der MedUni Wien diskutiert (Adresse: Van-Swieten-Gasse 1 a, 1090 Wien).
Am Podium vertreten sind:
Shahrokh Shariat, Leiter der Uni-Klinik für Urologie, AKH / MedUni Wien
Gregor Schweighofer-Zwink, leitender Oberarzt der Uni-Klinik für Nuklearmedizin und Endokrinologie in Salzburg
Martina Löwe, Österreichische Krebshilfe
Moderation: Gabriele Kuhn (KURIER)
Der Talk ist eine gemeinsame Initiative von KURIER, MedUni Wien und Novartis. Die Teilnahme ist kostenlos, jedoch ist eine Anmeldung online notwendig:
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