Kontakt-Tagebuch in der Coronakrise: "Wo war ich wann?"
Manchmal ist die Rückverfolgung der Kontakte leicht: Drei 15-jährige Schulfreunde, die sich im Supermarkt eine Flasche Saft kaufen – und gemeinsam austrinken. Nicht die beste Idee in Zeiten einer Pandemie, wie der bereits unwissentlich infizierte Virenverbreiter nachträglich eingestand. Wobei den Burschen zugute gehalten werden muss, dass sie die allgemein empfohlenen Hygienemaßnahmen von Händewaschen bis Desinfizieren gut verinnerlicht haben. Nur die Virenübertragung durch eine Trinkflasche, das kam ihnen nicht in den Sinn.
Im Fall dieser Ansteckungskette hatten die Eltern der später positiv Getesteten rasch die richtige Spur verfolgt. Experten empfehlen, aber präventiv ein Kontakt-Tagebuch zu führen. Oder wissen Sie aus dem Gedächtnis noch genau, was Sie vor einigen Tagen gemacht oder wen Sie in welchem Zusammenhang getroffen haben?
Zumindest Stichworte
Wer sich zumindest Stichworte notiert, z.B. in einer App, am Computer oder in einem Kalender, ist im Falle einer Infektion klar im Vorteil. "Ein Kontakttagebuch hilft enorm", betont der Epidemiologe Hans-Peter Hutter von der MedUni Wien. "Die Rückverfolgung der Infektionskette über die Kontakte ist in einer Epidemie immer eine der wichtigsten Säulen.“ Sie stehe auch jetzt in einer Reihe mit anderen Maßnahmen wie Hygiene und Teststrategie.
Behördliche Contact Tracer überfordert
Mit dem starken Ansteigen der Infektionszahlen wird die Rückverfolgung der Kontakte immer schwieriger: Die Quote des behördlichen Contact Tracings liegt nur mehr bei 23 Prozent. Dass die Contact Tracer nicht mehr nachkommen, ist für Hutter zwar eine logische Folge des großen Anstiegs. Aber auch ein enormes Defizit. "Gelingt das nicht mehr, nehmen die Infektionen noch mehr zu." Nachsatz: "Es ist mir eigentlich unverständlich, warum diese Ressourcen nicht schon längst ausgebaut wurden."
Doppelter Nutzen
Ein zumindest grober Überblick über Aktivitäten und Kontakte erleichtert nicht nur die Rückverfolgung der eigenen Kontakte, um diese gleich parat zu haben und damit das persönliche Umfeld schneller vorwarnen zu können. "Es ist ebenso ein Vorteil für die behördliche Nachverfolgung. Man nimmt weniger Zeit des Contact Tracers in Anspruch", sagt Hutter. Pro positiv Getesteten müssen im Schnitt zwanzig Kontakte informiert werden. "Das ist viel – und setzt sich bei den Kontakten der Kontakte fort."
Die "3 G" notieren
Was sollte nun aber sinnvollerweise in einem Kontakt-Tagebuch vermerkt werden? Und wie? "Das ist jedem selbst überlassen", sagt Hutter. "Es kann akribisch bis ins Detail sein oder nur stichwortartig die wichtigsten Kontakte enthalten." Am einfachsten ist es, sich auf zentrale Risikofaktoren zu konzentrieren – auf die "drei G": Geschlossene Räume; große Gruppen und Gedränge; Gespräche in lebhafter Atmosphäre. "Auch das ist bereits eine Orientierung", sagt Hutter. Christian Drosten, der Chefvirologe der Berliner Charité, empfahl in einem Gastbeitrag in Die Zeit ein Cluster-Tagebuch. Das heißt: Nicht jeden Kontakt festhalten, sondern nur Situationen mit höherem Infektionsrisiko. Der Wiener Epidemiologe Hutter findet das allerdings komplizierter. "Wenn man seine Kontakte notiert, sind auch jene Orte dabei, wo man auf viele Menschen trifft."
Realer oder digitaler Eintrag
Aber in welcher Form soll man sein Tagebuch führen? Lose Zettel, Kalender, Tagebuch oder gar eine App? Auch hier kann man ganz nach persönlichen Vorlieben vorgehen, rät Hutter. Möglichkeiten gibt es viele: Die Warn-App "Stopp Corona" des Roten Kreuzes registriert automatisch Kontakte, wenn ein Abstand unterschritten oder ein Zeitraum überschritten wird. Im App-Store gibt es kostenlose Kontakt-Apps, z. B. "Cluster Diary", "Kontakt-Tagebuch" oder "Coronika". Der GU-Verlag bringt am 30. November das erste Kontakt-Tagebuch mit Ausfüll-Anregungen heraus: Mit "Mein Kontakt-Tagebuch: Wo war ich und wenn ja, mit wie vielen?" (5,20 €) kann man Begegnungen wöchentlich bis zu sechs Monate aufzeichnen.
Reflexion
"Jeder hat sein bevorzugtes Medium", sagt der Epidemiologe. Wer ohnehin einen Kalender führt, wird vermutlich hier Einträge machen. Manchen hilft eine Checkliste oder Anleitung, wie sie Bücher zur Selbstorganisation bieten. Wer gern mit der Hand schreibt, wird hier vielleicht eine Möglichkeit sehen, den Tag Revue passieren zu lassen. Hutter: "Das ist auch eine Beschäftigung mit sich selbst. Das ist ja kein Nachteil."
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