Hinter dem Nobelpreis: Wie wir Wärme und Berührung empfinden
Wie zwei Sinnesforscher eines der letzten Geheimnisse der Abläufe im Körper entschlüsselt haben: Die molekularbiologischen Grundlagen des Fühlens von Temperatur- und Berührungsreizen.
Jeder kennt dieses Brennen: Man hat sich geschnitten und bringt auf die Wunde ein alkoholhältiges Desinfektionsmittel auf. Man kennt auch den Schmerz, der entsteht, wenn ein zu stark beanspruchter Muskel übersäuert, oder auch das brennende Gefühl, das scharfe Chilischoten im Mund auslösen: „All das wird durch einen speziellen Hitze-, Kälte- und Säuresensor in den Nervenenden in der Haut ausgelöst“, sagt Michael Fischer, Leiter des Instituts für Physiologie, MedUni Wien.
Entdeckt hat den Sensor der US-Molekularbiologe David Julius von der University of California, 65, einer der beiden Medizinnobelpreisträger dieses Jahres. Und auch die Forschungen des zweiten Preisträgers, des aus dem Libanon stammenden Molekularbiologen Ardem Patapoutian, 54, (Scripps Research Institute, La Jolla, Kalifornien), erklären, warum wir Temperaturen und Berührungen fühlen können. „Sie haben es uns ermöglicht zu verstehen, wie Wärme, Kälte und mechanische Kräfte die Nervenimpulse auslösen, die es uns erlauben, die Welt um uns herum wahrzunehmen und uns an sie anzupassen“, begründete das Nobelpreiskomitee in Stockholm am Montag die Entscheidung.
„Ich kenne beide Forscher sehr gut. Ihre Arbeiten bedeuteten einen Durchbruch und sind absolut nobelpreiswürdig“, sagt Fischer. David Julius arbeitete mit Capsaicin, dem scharfen Inhaltsstoff von Chilis. Er versuchte, einzelne Gene zu identifizieren, die eigentlich unempfindliche Zellen auf Capsaicin reagieren lassen. „Es war buchstäblich die Suche in einem großen Heuhaufen nach möglichen Genen. Mit einer gezielten Strategie konnte er die Suche immer weiter einengen.“
Und tatsächlich: Er stieß auf ein Gen, das den Bauplan für einen Sensor (TRPV1), ein Protein, enthielt, das Zellen auf Capsaicin reagieren lässt. Dieses Protein wird bei einem Reiz für Ionen durchlässig, und löst hiermit die elektrische Erregung der Nerven aus. „Generell können wir damit auch schmerzhafte Hitze ab 42 Grad Celsius wahrnehmen.“ Unabhängig von David Julius stieß auch Ardem Patapoutian auf weitere, ähnliche Sensoren zur Temperaturempfindung.
Er machte sich aber auch an die „Lösung des letzten großen Rätsels der Sinneswahrnehmung: Wie der mechanische Sinn – Berührung, Tasten, Druck – beim Menschen vermittelt wird“, erläutert Fischer.
Patapoutian experimentierte mit Zellen, die auf Druck mit einem elektrischen Signal reagierten. Dabei konnte er zwei Gene ausfindig machen, die für die Druckempfindlichkeit dieser Zellen verantwortlich sind. „Sie sind die Grundlage für Sensoren, die nicht nur für unser Berührungsempfinden, sondern auch dafür verantwortlich sind, dass wir unsere Lage in einem Raum richtig einschätzen können“, erklärt Fischer.
Schmerzmittel
Gerade bei den Sensoren für das Hitzeempfinden bestand lange die Hoffnung, auf ihrer Basis Medikamente gegen Schmerzen und Entzündungen entwickeln zu können. „Denn der von Julius entdeckte Sensor TRPV1 hat auch einen Einfluss auf Entzündungen – Mäuse, in denen man ihn ausschaltete, litten weniger oft an Gelenksentzündungen.“
Allerdings: Dieser Temperatursensor reguliert auch die Körperkerntemperatur: „Es gibt experimentelle antientzündliche Medikamente, die ihn ausschalten, aber sie erhöhen die Körpertemperatur um ein bis zwei Grad. Und das ist zu riskant.“
Möglicherweise gebe es aber in Zukunft Anwendungen zur Schmerzbehandlung in bestimmten Bereichen, betont Physiologe Fischer: „Bei den von den Nobelpreisträgern neu entdeckten Proteinen konzentriert sich die Schmerzmittelforschung derzeit auf Nischen.“
Julius und Patapoutian waren übrigens zuerst nicht erreichbar – erst über Angehörige sei es dann gelungen, hieß es beim Nobelpreiskomitee. In den Sozialen Medien sorgte ein Bild von Patapoutian und seinem Sohn Luca für Begeisterung, wie die beiden gemeinsam im Bett die Pressekonferenz der Preisbekanntgabe verfolgten.
So sehr sich die internationale Forschergemeinde einig ist, dass der Nobelpreis für die Sinnesforscher absolut verdient ist, wurde die Entscheidung vielfach auch als überraschend bezeichnet. Denn es war spekuliert worden, dass der Preis für die Entwicklung der mRNA-Impfstoffe vergeben werden könnte. Noch besteht diese Möglichkeit auch heuer – am Mittwoch bei der Vergabe des Chemie-Nobelpreises. Ein Sprecher des Nobelkomitees ging darauf aber nicht näher ein und erklärte nur das Abstimmungsverhalten: Die Nobelversammlung, der Jury für den Nobelpreis für Medizin, wählt aus Nominierungen aus – und heuer fiel die Wahl eben auf die Sinnesforscher.
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