HPV bis Syphilis: "Das Tabu erschwert die Behandlung"
Krankheiten wie Syphilis verbinden viele mit dem Mittelalter – einer Zeit, in der als Lustseuchen titulierte sexuell übertragbare Infektionen viele dahinrafften. Wenig potente und teils drastische Therapien richteten zudem mehr Schaden als Nutzen an. Tatsache ist: Geschlechtskrankheiten grassieren auch heute noch in beträchtlichem Ausmaß. Auch in Österreich.
Warum das so ist und welche modernen Ansätze bei der Prävention vielversprechend sind, erklärt Spezialist Georg Stary, Oberarzt an der Universitätsklinik für Dermatologie der MedUni Wien, im KURIER-Interview.
KURIER: Welche Geschlechtskrankheiten kommen in Österreich am häufigsten vor?
Georg Stary: Am öftesten sehen wir Geschlechtskrankheiten, die auf Viren zurückgehen, insbesondere Humane Papillomviren (HPV) oder das Herpes-simplex-Virus (HSV). Die häufigste bakterielle Geschlechtskrankheit ist die Chlamydien-Infektion, gefolgt von Gonorrhö – besser bekannt als Tripper – und Syphilis. Weniger bekannt, aber ebenfalls durchaus verbreitet, ist das Bakterium Mycoplasma genitalium.
Haben diese Erkrankungen einen gemeinsamen Nenner?
Bis auf den Übertragungsweg im weitesten Sinn nicht, nein. Jede Geschlechtskrankheit hat ihre eigenen Charakteristika. Wenn man über sexuell übertragbare Krankheiten spricht, redet man über ein breites Spektrum an Pathogenen, rund 30 verschiedene Erreger. Sie können akute bis chronische Beschwerden verursachen, manche bemerkt man gar nicht bis kaum, andere lösen massive Schmerzen und langanhaltende Symptome aus.
Bleiben wir bei den bakteriellen Infektionen. Was sind die wichtigsten Symptome?
Tripper, Chlamydien oder Mycoplasma genitalium können sich durch Ausfluss aus der Harnröhre bemerkbar machen. Teilweise kommen zusätzlich Schmerzen beim Urinieren hinzu. Allerdings können diese Infektionen auch unbemerkt und untherapiert bleiben. Syphilis lässt in einem ersten Stadium Geschwüre im Genitalbereich wachsen und kann danach Ausschläge verursachen, die viele andere Hautkrankheiten nachahmen.
Wie wird behandelt?
Grundsätzlich: mit Antibiotika. Allerdings haben wir bei manchen bakteriellen Geschlechtskrankheiten das Problem, dass multiresistente Keime entstehen, gegen die eine gängige Antibiotikatherapie nicht mehr anschlägt. Insbesondere bei der Gonorrhö ist das ein Thema. Resistente Gonokokken gegen häufig eingesetzte Antibiotika kommen teilweise auch in Österreich vor und sind eine therapeutische Herausforderung. Multiresistente Gonokokken sind hierzulande noch selten. Aber es gibt auch solche Bakterienstämme, die aus dem Ausland, etwa Südostasien, eingeschleppt werden. Sie breiten sich aber noch nicht weiter aus. Aber das zeigt, wie wichtig es ist, diese Resistenzen zu beobachten und vorbeugende Strategien zu überlegen.
Was wären das für Strategien?
Es gibt aktuell keine Impfung gegen bakterielle Geschlechtskrankheiten, wie Gonorrhö, Chlamydien-Infektionen oder Syphilis. Allerdings gibt es für Gonokokken Studien, die zeigen, dass ein etwa 30- bis 40-prozentiger Impfschutz besteht, wenn man gegen Meningokokken B geimpft ist – wohl wegen der Verwandtschaft der Erreger. Präventiv wirkt, wie bei allen Geschlechtskrankheiten, die Reduktion von sexuellem Risikoverhalten. Bei Gonorrhö, aber auch bei Syphilis und Chlamydien, scheint es eine protektive Wirkung des Antibiotikums Doxycyclin zu geben. Allerdings bestehen gegen Medikamente mit diesem Wirkstoff schon jetzt hohe Resistenzen. Wenn man regelmäßig ein Antibiotikum zuführt, besteht die Gefahr, dass sie verstärkt werden. Für die allgemeine Bevölkerung ist eine antibiotische Präventionsstrategie sicherlich nicht sinnvoll.
Sexuell übertragbare Krankheiten sind allgemein seit einiger Zeit auf dem Vormarsch. Warum?
Dazu haben wir an der MedUni vergangenes Jahr an einer Überblicksarbeit im Fachblatt Lancet Regional Health Europe mitgewirkt. Wir sehen, dass es in Europa zu einem starken Anstieg in den vergangenen Jahren gekommen ist. Zum einen hat HIV an Schrecken verloren, weil die Infektion heute gut behandelbar ist. Zum anderen kann man sich inzwischen mit der PrEP, einem Medikament zur Präexpositionsprophylaxe, vorbeugend schützen. Allerdings schützt die PrEP nicht vor anderen Geschlechtskrankheiten. Wenn man sich fälschlicherweise in dieser Sicherheit wähnt und das Kondom weglässt, führt das vermehrt zu Übertragungen.
Viele Geschlechtskrankheiten verlaufen beschwerdelos Welche sind besonders tückisch?
Es ist tatsächlich bei vielen sexuell übertragbaren Infektionen ein Problem, dass diese über längere Zeit unbemerkt bleiben, aber dennoch übertragen werden können. Hier ist vorrangig HIV zu nennen, wo Betroffene lange symptomlos sind, bis es nach Jahren zu Verschlechterungen beim Immunsystem kommt. Aber auch Herpes-Infektionen werden häufig weitergegeben, weil keine akuten Beschwerden bestehen. Auch Chlamydien laufen nicht selten unbemerkt ab. Unbehandelte Chlamydien-Infektionen können zu Unterleibsentzündungen, Entzündungen der Prostata, Hoden und Nebenhoden sowie Unfruchtbarkeit führen. Eine Syphilis ist in über der Hälfte der Fälle symptomlos oder symptomarm. Unbehandelt schädigt sie schlimmstenfalls viele Organe.
Was halten Sie von Selbsttests? Chlamydien können etwa über den Morgenharn nachgewiesen werden.
Wenn man keine Beschwerden hat und eine mögliche symptomlose Infektion abklären möchte, ist das durchaus sinnvoll. Sobald man Beschwerden hat, sollte man auf jeden Fall zum Arzt oder zur Ärztin oder in ein Labor gehen, um den Verdacht zu prüfen.
Sind Geschlechtskrankheiten immer noch tabuisiert?
Teilweise schon. Aufklärung ist extrem wichtig in diesem Zusammenhang. Nur so kann die Aufmerksamkeit in der Gesellschaft gesteigert werden, um sexuell übertragbare Infektionen zu reduzieren. Da ist noch viel zu tun. Denn das Tabu erschwert die erfolgreiche Behandlung.
2019 wurde erstmals ein Impfstoff gegen Chlamydien am Menschen getestet. Ist dieser greifbar?
Das Vakzin ist noch in der frühen klinischen Austestung. Es ist zu hoffen, dass die weitere klinische Prüfung positiv verläuft. Kürzlich haben auch erste Tests für einen mRNA-basierten Impfstoff gegen HIV gestartet. Auch hier kann man noch nicht absehen, ob diese Strategien von Erfolg gekrönt sein werden. Es lohnt sich aber, in innovative und neue Impfstrategien zu investieren.
Der Begriff "sexuell übertragbare Infektionen" (aus dem Englischen oft mit STIs abgekürzt) umfasst sämtliche Infektionen, die durch intimen Körperkontakt und/oder Geschlechtsverkehr übertragen werden können. Diese Infektionen können unterschiedlichen Ursprungs sein: Manche werden durch Viren ausgelöst, andere durch Bakterien, und wiederum andere durch Pilze.
Die HPV-Impfung wurde in Österreich ausgeweitet. Eine gute Sache?
Bei HPV haben wir in Österreich leider bescheidene Impfraten und es besteht Aufholbedarf. Es ist erfreulich, dass einiges getan wird, um das zu ändern. Der Impfstoff kann viel bewirken, weil er gegen die häufigsten neuen HPV-Typen wirkt, die sowohl Genitalwarzen als auch Krebsarten wie Gebärmutterhalskrebs, Peniskrebs, Vulvakrebs, Analkrebs oder auch Rachenkrebs verursachen. Da sind Impfkampagnen in Schulen gefragt.
Ist bei der HPV-Impfung ein Imagewechsel geglückt? Noch vor zehn Jahren geisterten Geschichten über potenziell schwerwiegende Nebenwirkungen herum.
Der Gegenwind war schon bei der Einführung nicht gerechtfertigt und wurde medial übertrieben dargestellt, angefacht von impfkritischen Gruppen ohne wissenschaftliche Grundlage. Das hat der Verbreitung der Impfung und den Personen, die nicht geimpft wurden, geschadet. Fakt ist: Nichts spricht gegen eine HPV-Impfung. Der Impfstoff ist sicher und sollte in der frühen Jugendzeit, idealerweise in den Schulen, verabreicht werden.
In Österreich werden die Kosten für die HIV-Präexpositionsprophylaxe seit Kurzem refundiert. Ist das sinnvoll?
Das ist gut, weil man somit Menschen helfen kann, sich in einer gewissen Sturm-und-Drang-Zeit ihres Lebens nicht mit HIV anzustecken und eine lebenslange Therapie zu umgehen. Das ist auch gesundheitsökonomisch sinnvoll, wie in mathematischen Modellen gezeigt wurde. Es ist erfreulich, wenn das Gesundheitssystem auch prophylaktische Maßnahmen unterstützt.
Wo herrschen in der Bevölkerung die größten Wissenslücken?
Viele unterschätzen nach wie vor, wie verbreitet Geschlechtskrankheiten sind – und, dass nicht unbedingt Symptome im akuten Stadium bestehen. Es gibt auch keine Jahreszeiten, die risikoärmer für eine Ansteckung sind: Wir sehen laufend hohen Infektionszahlen. Unterm Strich kann man es nicht oft genug sagen: Dort, wo es möglich ist, sollte man sich unbedingt mit einer Impfung schützen. Und: Das Kondom ist immer noch das Hilfsmittel, das am besten schützt.
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