Frauen in der Medizin: "Man muss immer besonders gut sein"
Als Katja Bühler Mathematik und Informatik zu studieren begann, gab es keine einzige Professorin an ihrer Universität, dem Karlsruher Institut für Technologie. Nach den Ferien wurde sie im Sekretariat immer mit Namen begrüßt – als Frau fiel sie unter den mehr als 20.000 Studierenden auf und blieb im Gedächtnis.
"In der Informatik gab es sehr wenige Studentinnen. In der Mathematik waren es mehr, weil wir auch Lehrerinnen dabei hatten“, resümiert sie heute. Ausgemacht habe ihr das damals wenig. Bei ihrer Diplomarbeit wurde sie dann aber von einer Doktorandin betreut, "und das war gut. Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass es doch etwas Anderes ist, wenn ich mit einer Frau rede“, erzählt sie.
Auch nach ihrem Doktorat an der Technischen Universität Wien arbeitet Bühler noch jahrelang vorwiegend mit Männern zusammen. Im Jahr 2003 übernimmt sie als erste Frau eine Gruppenleitung am VRVis Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung in Wien, der führenden außeruniversitären Forschungseinrichtung für Visual Computing in Österreich.
Heute ist die gebürtige Deutsche dort wissenschaftliche Leiterin; in ihrem Forschungszentrum sind dank verschiedener Maßnahmen für Diversity und Gleichstellungsförderung inzwischen mehr als 30 Prozent Frauen im wissenschaftlichen Bereich beschäftigt – und der Anteil nimmt weiter zu. "Ich habe das Gefühl, dass das ein Selbstläufer wird, wenn man eine gewisse Schwelle überschritten hat. Zu uns kommen viele Frauen und Studentinnen, weil sie sehen, dass im Team viele Frauen sind“, sagt sie zum KURIER.
Männlich geprägtes Feld
Als studierte Mathematikerin und Informatikerin befasst sich Bühler im VRVis unter anderem mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz in der medizinischen Bildanalyse und ist auch Expertin auf dem Gebiet des Visual Computing, der Bildinformatik und Data Science für die Neurowissenschaften.
Als Frau war es in dem männlich geprägten Feld nicht immer einfach. Auch von vielen Kolleginnen weiß sie, dass sie unter besonderem Druck stehen: "Man muss immer besonders gut sein.“ Netzwerke mit Kolleginnen schätzt sie daher sehr: „Es geht in erster Linie um den Austausch, wenn man sonst nicht viele Frauen zum Reden hat. Das ist sehr wichtig, damit man wieder auf den Teppich kommt und nicht denkt, sich in dieser Männerwelt ständig behaupten zu müssen.“
Was sie freut? "Die Dinge ändern sich und das ist schön zu sehen. Die nachkommende Generation ist sich dieser Unterschiede sehr viel bewusster und versucht aktiv, etwas zu ändern – auch die Männer.“ Mit ihrer Berufsbiografie dient Bühler heute jedenfalls vielen jungen Studentinnen als Vorbild. 2020 wurde ihr dafür der renommierte TU-Frauenpreis verliehen.
Weibliche Medizin, männliche Führung
Heute, 125 Jahre nachdem Gabriele Possanner von Ehrentag im April 1897 als erste Frau in Österreich eine Arztpraxis öffnen durfte, sind laut Ärztekammer mehr als 23.000 Ärztinnen in Österreich tätig. In der Pflege, Medizin und Forschung sind Schätzungen zufolge fast 80 Prozent der Beschäftigten im heimischen Gesundheitssystem Frauen.
Auch unter den Studierenden an der Medizinischen Universität Wien ist die Frauenquote hoch. "Wir sehen einen kontinuierlichen Anstieg und sind inzwischen bei über 50 Prozent“, bestätigt Michaela Fritz, Vizerektorin für Forschung und Innovation. Danach trete allerdings ein Phänomen ein, das als "leaky pipeline“ (undichte Leitung, Anm.) bezeichnet wird: Der Frauenanteil in der Wissenschaft nimmt mit jeder Karrierestufe ab.
"Sobald es in Richtung Laufbahnstellen, Dozentinnen und Professorinnen geht, geht ein Gap auseinander. Bei den Professuren sind wir zum Beispiel knapp bei 30 Prozent“, sagt Fritz.
Entscheidungsträger
Auch ein Blick auf andere medizinische Führungsetagen des Landes zeigt: Die meisten Entscheidungen werden noch immer von Männern getroffen – in Institutionen, Kammern, der Politik, Spitälern, ärztlichen Direktionen und der Industrie. Laut Fritz unterscheiden sich die Gründe im Gesundheitswesen nicht wesentlich von anderen Gebieten.
Besonders häufig entstehe der Karriereknick mit den Kindern. Wichtig sei daher, dass "Karriereunterbrechungen und unterschiedliche Lebensentwürfe viel stärker in der Leistungsbeurteilung berücksichtigt werden – bei Frauen und Männern.“ Künftig sollen Frauen außerdem vermehrt direkt für Positionen angesprochen werden und Ausschreibungen viele Leute erreichen.
"Wir wünschen uns, dass Frauen mehr Mut haben, sich zu bewerben. Dafür braucht es Vorbilder, Netzwerke und Mentorinnen, damit – wenn jemand den Mut noch nicht in sich hat – man hilft, ihn aufzubringen.“
Ärztinnen: Mit Stichtag 31. Dezember 2020 verzeichnete die Österreichische Ärztekammer insgesamt 47.674 Ärzte, davon 23.109 Frauen und 24.565 Männer
Studierende: Mehr als 50 Prozent der Medizinabsolventen sind weiblich, erklärt Michaela Fritz, Vizerektorin für Forschung und Innovation an der MedUni Wien
30 Prozent Frauenquote herrscht auf der Medizinischen Universität Wien bei den Professuren vor. Der Frauenanteil liegt somit deutlich unter der Zahl der Absolventinnen. Laut Fritz entstehe die Lücke aufgrund vielfältiger Probleme. Zugang zu Netzwerken, zeitliche Ressourcen, fehlende Kinderbetreuung und ungleiche Verteilung von Sorgearbeit sind nur einige Beispiele
Buchempfehlung: "Medizin in Frauenhand“ von Ruth Reitmeier und Alexander Foggensteiner, Ampuls Verlag, 176 Seiten, € 24,90
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