Kopfsache: Stress macht Haare grau – aber nicht zwingend für immer

Die französische Königin Marie-Antoinette soll in der Nacht vor ihrer Hinrichtung ergraut sein. Wissenschaftlich haltbar ist diese historische Erzählung nur bedingt.
US-amerikanische Forschende haben sich dem legendenumwobenen Phänomen, das auch als Marie-Antoinette-Syndrom bekannt ist, gewidmet.

Schlohweiße Haare über Nacht: Die Erzählung, dass Marie-Antoinettes Haarpracht in den Stunden vor ihrer Hinrichtung 1793 schlagartig ergraut sein soll, hält sich bis heute hartnäckig. Durch extreme Stressmomente verlieren Haare anhaltend ihre Farbe – so die naheliegende, bislang aber im Detail wissenschaftlich teilweise noch umstrittene These.

Zwar hat sich in Tierstudien gezeigt, dass die mit dem Alter fortschreitende und potenziell stressbedingte Erschöpfung bestimmter Stammzellen in den Follikeln Haare unwiederbringlich ergrauen lässt. Die Haarfarbe stammt bei Tier und Mensch von pigmentierten Zellen, sogenannten Melanozyten, die ihrerseits von Stammzellen im Haarfollikel produziert werden. Werden Haare weiß, ist ihr Stammzellen-Depot verbraucht. Auf den Menschen dürfte diese Theorie nur bedingt übertragbar sein, argumentieren nun Forschende der US-amerikanischen Columbia University. In ihrer kleinen Studie mit 14 Probanden offenbarte sich: Stress macht Haare tatsächlich grau, durch gezielte Entspannung können sie jedoch wieder ihre Ursprungsfarbe erlangen.

Haarschopf im Scanner

Mithilfe modernster Untersuchungsverfahren fertigten die Wissenschafterinnen und Wissenschafter zigfach hochauflösende Bilder winzigster Haarabschnitte an, um den langsam fortschreitenden Pigmentverlust sichtbar zu machen. Jede Haarsequenz war nur ein Zwanzigstel-Millimeter breit, jene Länge, die ein Haar in etwa pro Stunde wächst. "Betrachtet man ein Haar mit dem bloßen Auge, erscheint dessen Farbe durchgängig. Unter einem hochauflösenden Scanner sieht man schon kleinste, subtile Farbabweichungen", erklärt der Neurologe und Studienleiter Martin Picard im Fachblatt eLife.

Die Forscher analysierten so einzelne Haare der Studienteilnehmer und glichen die Ergebnisse mit den Stresstagebüchern dieser ab. Minimalste Farbabweichungen konnten tatsächlich mit Veränderungen im Stressempfinden in Zusammenhang gebracht werden. Besonders interessant: Manche grauen Haare schienen auf natürliche Weise ihre ursprüngliche Farbe wiederzuerlangen, sobald Stressphasen bei den Probanden abflauten. "Es gab eine Person, die auf Urlaub fuhr, und fünf Haare auf dem Kopf dieser Person wurden während des Urlaubs wieder dunkel", präzisiert Picard.

Reversibles Altern

Die US-Forscher machen – unter anderem stressbedingte – Schwankungen im Proteingehalt der Haare für die Farbveränderungen verantwortlich (und widersprechen damit der Stammzellen-These). Solange ein Haar im Follikelstadium unter der Kopfhaut steckt, sei es etlichen biologischer Prozessen im Körper – und damit auch dem Einfluss von Stresshormonen (etwa Noradrenalin) – ausgesetzt. Doch auch nachdem die zarten und hauptsächlich aus Keratin bestehenden Hornfäden die Haut durchstoßen haben, könnten sie ihre ursprüngliche Farbe wiedererlangen, wenn emotionaler Stress versiegt. "Unsere Daten tragen zu einer wachsenden Zahl von Beweisen bei, die zeigen, dass das menschliche Altern kein linearer, feststehender biologischer Prozess ist, sondern zumindest teilweise angehalten oder sogar vorübergehend rückgängig gemacht werden", schließt Picard aus den neuen Erkenntnissen.

Allerdings: Das erfreuliche Repigmentierungspotenzial hat Grenzen: Lang und sichtbar ergrautes Haar kann keine Form der Tiefenentspannung farblich revitalisieren. Ebenso wenig führe überbordender Stress bei Kindern zu plötzlichem Ergrauen. Befindet sich ein Haar aber in der Mitte des Lebens sozusagen an der „Schwelle zum Grauwerden, kann ein Zuviel an Stress schnell den Unterschied machen“, schreiben die Forscher.

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