Forscher-Appell: So können die neuen Virusvarianten eingedämmt werden
Einen europaweiten Aktionsplan zur Eindämmung des neuen Coronavirus fordern jetzt Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus ganz Europa in einem gemeinsamen Appell, den sie im Wissenschaftsmagazin The Lancet und auf der Homepage der Initiative "Contain Covid-19" veröffentlicht haben.
Die derzeitigen, nicht koordinierten Maßnahmen würden angesichts der neuen, infektiöseren Virusvarianten nicht ausreichen, um vor allem auch die neuen Varianten einzudämmen.
Zu den Autoren des internationalen Papiers zählen aus Österreich der Gesundheitsökonom Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS), der Physiker und Komplexitätsforscher Peter Klimek von der MedUni Wien und der Forschungseinrichtung Complexity Science Hub (CSH) sowie die Politikwissenschafterin Barbara Prainsack von der Universität Wien. Es ist dies bereits der zweite Aufruf, der im Magazin The Lancet erschienen ist.
Sobald sich eine der neuen infektiöseren Varianten stärker ausgebreitet hat, werde das Stabilisieren von Infektionszahlen zunehmend schwierig. Gleichzeitig fordern die Wissenschafter aber, dass die Menschen ausreichend Unterstützung bekommen, "die es besonders hart trifft", wie Prainsack Donnerstag bei der Präsentation des Appels betonte.
Etwa Menschen, die den Arbeitsplatz verloren haben, allein Lebende oder Einsame. Vielfach seien Frauen ganz besonders hart von der Pandemie betroffen.
Durch ganz konkrete Ziele solle die Motivation der Menschen wieder neu entfacht werden, betont Klimek. Erste Schritte, sich auf eine Sieben-Tages-Inzidenz von 50 Fällen pro 100.000 Einwohner zu einigen, gingen in die richtige Richtung.
"Sobald wir darunter kommen, sollte es möglich sein, auch mit milderer und moderaterer Kontaktreduktion eine weitere Kontrolle über die Pandemie zu erlangen." Längerfristiges Ziel müsse aber eine Sieben-Tages-Inzidenz von 10 Fällen sein, "das werden wir aber nicht in zwei Wochen erreichen".
Weitere Forderungen sind u.a. eine Reduktion von grenzüberschreitenden, aber auch von Inlandsreisen, europaweit einheitliche Test- und Quarantäneregelungen und schnellere Durchimpfungen.
Prainsack: "Wir fordern auch ganz konkrete Maßnahmen zum Schutz älterer Menschen und gefährdeter Gruppen, nicht nur medizinisch gefährdet, sondern auch aus ökonomischer und sozialer Sicht." So haben die Befragungen durch das "Austrian Corona Panel Project" der Uni Wien bereits im Dezember gezeigt, dass sich 20 Prozent der Menschen eine Quarantäne nicht mehr leisten können. Der Erfolg von strengeren oder weniger strengeren Maßnahme hänge "nicht nur davon ab, ob die Menschen sie verstehen, wie oft gesagt wird, oder ob sie mitmachen wollen, sondern auch davon, ob sie mitmachen können", betonte die Politikwissenschafterin.
Auch ausreichende Testmöglichkeiten werden in dem Appell angesprochen, "die sogenannten Nasenbohrtests sind dabei eine großartige Möglichkeit", sagt Klimek.
Allerdings gebe es hier durch die neuen Varianten auch eine neue Dimension: "Weil bereits weniger Viren ausreichen, um sich anzustecken, muss man auch die Sensitivität der Tests neu bewerten: Wir dürfen die neue Generation der Tests nicht als Ende der Entwicklung verstehen, sondern müssen weiter konsequent daran arbeiten, sensitivere Testverfahren oder Tests in höherer Frequenz anbieten zu können, um mit diesen Varianten klarkommen zu können."
"Die Entwicklung ernst nehmen"
"Wir haben in der Coronakrise mehrfach gesehen, das es immer wieder das Phänomen gegeben hat, dass Entwicklungen nicht ernst genommen worden sind", sagt Thomas Czypionka.
"Wir rufen jetzt dazu auf, das Auftreten der neuen Virusvarianten ernst zu nehmen. Wir können wahrscheinlich nicht verhindern, dass sie sich in Kontinentaleuropa festsetzen, aber wir können es hinauszögern."
Denn jede Infektion berge die Gefahr, dass neue Mutationen entstehen. "Wenn dann die Varianten, die jetzt schon schlechter an Antikörper binden, weiter mutieren, dann werden sie vielleicht überhaupt der Immunantwort entkommen und dann könnte das Ganze wieder von vorne losgehen."
Peter Klimek vom CSH Vienna betonte, dass die derzeitige Entwicklung der Fallzahlen sich aus dem "kombinierten Wachstum von unterschiedlichen Varianten" zusammensetzt. "Da überlagern sich mehrere exponentielle Prozesse."
Bei den derzeit wahrscheinlich noch niedrigen Fallzahlen, die auf die neuen Varianten zurückzuführen sind, werde es mindestens ein paar Wochen dauern, "bis wir in den Bereich kommen, dass die Fallzahlen dieser Variante nach oben schnellen". Zwar drücke derzeit der Lockdown die Fallzahlen, trotzdem könnte sich die in England verbreitete Variante B.1.1.7 bereits exponentiell ausbreiten, ohne dass dies eben derzeit noch an den Gesamtzahlen ersichtlich sei. Doch irgendwann könnten die Zahlen dann "durch die Decke gehen".
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