Warum man jetzt noch keine Jodtabletten nehmen sollte

Warum man jetzt noch keine Jodtabletten nehmen sollte
Wird radioaktives Jod freigesetzt, können die Tabletten schützen. Sie dürfen allerdings nur nach Aufforderung eingenommen werden.

Die Meldungen von erhöhten Strahlenwerten um die ukrainische Atomruine Tschernobyl sowie die mögliche Gefahr, die durch die Kriegshandlungen in der Nähe von Atomkraftwerken ausgehen könnte, haben zu einer erhöhten Nachfrage an Kaliumjodid-Tabletten in Österreich geführt.

Auch wenn derzeit laut der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) sowie laut Angaben der ukrainischen Atomaufsichtsbehörde alle Anlagen im stillgelegten Atomkraftwerk Tschernobyl sowie in den 15 aktiven Atomkraftwerken der Ukraine in sicherem Zustand sind und keine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen, sind viele Menschen in Sorge. Das Umweltministerium, das in Österreich auch für Strahlenschutz zuständig ist, betont, dass hierzulande keine Auswirkungen zu befürchten sind, es bestehe keine Gefahr.

Dennoch gibt es laut Apothekerkammer in Österreich bereits Engpässe bei Kaliumjodid-Tabletten – manche scheinen für den Ernstfall vorsorgen zu wollen. Wie aber wirken diese und brauchen wir sie jetzt wirklich? Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen.

Wie wirken Kaliumjodid-Tabletten?

Werden radioaktive Stoffe freigesetzt, kann darunter auch radioaktives Jod sein. Gelangt dieses durch Einatmen oder über Lebensmittel in den Körper, kann es sich in der Schilddrüse anreichern und Schilddrüsenkrebs fördern. Kaliumjodidtabletten enthalten hochdosiertes Jod. Dieses nicht-radioaktive Jod wird von der Schilddrüse gespeichert, sodass sie gesättigt ist und radioaktives Jod zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr aufnehmen kann. Das radioaktive Jod wird ausgeschieden. Dies wird als Jodblockade bezeichnet. Damit die Blockade funktioniert, müssen die Tabletten allerdings zum richtigen Zeitpunkt und in der richtigen Dosis eingenommen werden.

Sollen jetzt vorsorglich Kaliumjodidtabletten eingenommen werden?

Nein, derzeit besteht kein Grund dafür, die Tabletten einzunehmen. Dies soll nur nach ausdrücklicher Aufforderung durch die Gesundheitsbehörden erfolgen. "Im Fall eines Reaktorunfalles werden von den Strahlenschutzbehörden sofort die möglichen Auswirkungen auf Österreich abgeschätzt. Insbesondere erfolgt auch eine Abschätzung der für Kinder und Erwachsene erwarteten Schilddrüsendosis. Erst wenn diese Dosen über bestimmten, von der WHO empfohlenen Werten liegen, wird von den Gesundheitsbehörden die Einnahme von Kaliumiodid-Tabletten empfohlen", heißt es dazu beim Gesundheitsministerium.

Im Fall eines Reaktorunfalls geben die Gesundheitsbehörden bekannt, welche Personen Kaliumiodid-Tabletten einnehmen sollen und in welchen Regionen eine Einnahme notwendig ist. Laut Gesundheitsministerium besteht aller Wahrscheinlichkeit nach selbst bei einem schweren grenznahen Reaktorunfall keine Notwendigkeit, in ganz Österreich Kaliumjodid-Tabletten einzunehmen. "Eine Einnahme wird auch in solchen Fällen nur in den am stärksten betroffenen Gebieten erforderlich sein."

Wann werden Kaliumjodidtabletten eingenommen?

Der Zeitpunkt der Einnahme muss kurz bevor die radioaktive Wolke eintrifft erfolgen - bevor also die Luft mit radioaktivem Jod kontaminiert ist. Werden die Tabletten zu früh eingenommen, kann das nicht-radioaktive Jod bereits wieder abgebaut sein, bis das radioaktive Jod aufgenommen wird. Der Schutz wäre dann nicht gegeben.

Eine zu späte Einnahme senkt wiederum die Wirkung der Tabletten. "Schon einige Stunden nach Durchzug einer radioaktiven Wolke ist die Einnahme praktisch wirkungslos. Bei einem grenznahen Reaktorunfall und ungünstigen Windverhältnissen können die radioaktiven Luftmassen Österreich innerhalb weniger Stunden erreichen. Es ist daher wichtig, dass für solche Fälle die Tabletten rasch verfügbar sind", lautet die Erklärung des Gesundheitsministeriums. Von einer Eigenmedikation wird dringend abgeraten, da die Tabletten zu Nebenwirkungen führen können.

Wer soll die Tabletten einnehmen?

Besonders Kinder und Jugendliche sind laut Gesundheitsministerium gefährdet, an strahlenbedingtem Schilddrüsenkrebs zu erkranken. Für alle unter 18 Jahren stehen Kaliumjodid-Tabletten daher kostenlos zur Verfügung. Dies gilt auch für Schwangere und Stillende. Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen verfügen daher über einen Vorrat an Kaliumjodid-Tabletten für die von ihnen betreuten Kinder. Auch in Apotheken können die Mittel für diese Gruppen sowie Unter-18-Jährige kostenlos und rezeptfrei erworben werden.

Erwachsene zwischen 18 und 40 Jahren können die Tabletten im Bedarfsfall ebenfalls einnehmen und zu einem geringen Preis in Apotheken erwerben. Laut österreichischer Apothekerkammer sei es bei den selbst zu bezahlenden Mitteln für Erwachsene bis 40 Jahre in den Apotheken aufgrund des Krieges in der Ukraine bereits zu Engpässen gekommen. Diese sollten sich im Lauf der Woche aber wieder entspannen, sagte ein Sprecher gegenüber der APA.

Wer soll Kaliumjodid-Tabletten nicht einnehmen?

Personen über 40 Jahre sollten Kaliumjodid-Tabletten nicht einnehmen, da ihr Risiko an strahlenbedingtem Schilddrüsenkrebs zu erkranken sehr gering, das Risiko von schweren Nebenwirkungen durch die Jodzufuhr aber hoch ist, informiert das Gesundheitsministerium auf seiner Internetseite.

Personen mit Schilddrüsenerkrankungen sollten vor der Einnahme Rücksprache mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin halten.

Was ist mit anderen radioaktiven Bestandteilen?

Kaliumjodid-Tabletten schützen nur vor radioaktivem Jod, vor anderer Strahlung durch radioaktive Stoffe in Luft und Boden schützen sie nicht. Kommt es zu einer Freisetzung radioaktiver Strahlung, müssen daher auch andere Maßnahmen getroffen werden, etwa Aufenthaltsbeschränkungen im Freien oder Vermarktungsverbote von kontaminierten Lebensmitteln.

Die deutsche Physikerin Elke Glatzer twitterte, dass die Tabletten nicht vor anderen Radionukliden schütze, die jetzt in Tschernobyl noch messbar seien. Der Staub um die Tschernobyl-Ruine sei so alt, "dass er so gut wie kein Jod mehr enthält. Das, was jetzt da herumliegt, muss aus längerlebeigen Radionukliden bestehen." Kaliumjodid wäre laut Glatzer nur nötig, "wenn es durch einen explodierenden Reaktor oder Atombombenexplosion frisch erzeugt, bei uns ankäme."

Wo erhalte ich Kaliumjodid-Tabletten?

Vorbeugend können sie in Apotheken gekauft oder für Risikogruppen kostenlos erworben werden. Zudem werden sie im Katastrophenfall an die betroffenen Haushalte entweder direkt oder an bestimmten Standorten verteilt, etwa Feuerwehrwachen, Gemeindeämtern und ähnlichen Einrichtungen. Dies wird im Ernstfall über Aufrufe in den Medien bekannt gegeben.

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