Engpässe bei Abnehmspritze: Vorerst nur noch für Diabetiker?

Semaglutid (Handelsname Ozempic) ist ein Antidiabetikum, das zur Behandlung von Typ-2-Diabetes und zur langfristigen Gewichtskontrolle eingesetzt wird.
Der Hype um die Abnehmspritze ist ungebrochen – das führt inzwischen weltweit immer öfter zu Engpässen bei der Versorgung. Angeheizt durch Prominente Nutzer wie Elon Musk oder Kim Kardashian verlangen allerdings nicht nur jene danach, die medizinisch dringende Gründe zum Abnehmen haben, sondern auch Menschen, die nur ein bisschen Bauspeck loswerden wollen.
Die Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG) warnt nun davor, dass dadurch die Versorgung von Diabetikern in den nächsten Monaten beeinträchtigt werden könnte und fordert, dass diese Substanzen vorerst nicht an Menschen ohne Diabetes verschrieben werden.
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„Ein akuter, ärztlich nicht geplanter Therapieabbruch einer laufenden GLP‐1-RA-Therapie kann für Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 ungünstige gesundheitliche Folgen haben“, betont Prim. Martin Clodi, Präsident der ÖDG und Vorstand der Abteilung für Innere Medizin im Konventhospital Barmherzige Brüder Linz. Da die Medikamente dieser Wirkklasse äußerst effektiv sind, sei davon auszugehen, dass es nach dem Absetzen des Medikamentes aufgrund fehlender Verfügbarkeit, zu einem Anstieg der Blutzuckerwerte kommt. Patienten und Patientinnen sollten deshalb noch vor dem Ausgehen ihres Medikaments mit ihrem behandelnden Diabetes-Team Kontakt aufnehmen.
Auch Herzpatienten sind betroffen
Doch nicht nur Diabetiker sind von den Engpässen betroffen, warnt die Endokrinologin Dr. Bianca-Karla Itariu von der Österreichischen Adipositas Gesellschaft. Zwar gehen Diabetes und Adipositas oft Hand in Hand, doch eine kürzlich veröffentliche Studie hat gezeigt, dass auch adipöse Herzpatienten enorm von der Verabreichung des Wirkstoffs Semaglutid profitieren. Demnach könne damit das Risiko für Herzinfarkte und tödliche Ereignisse aufgrund von Gefäßerkrankungen um 20 Prozent reduziert werden, erklärt Itariu im Gespräch mit dem KURIER.
„Wir ziehen hier an einem Strang“, betont Itariu: „Man kann nicht sagen, ein Diabetes- oder ein Herzpatient ist mehr krank, aber man kann stärker darauf achten, Missbrauch zu vermeiden und die Medikamente nur zu verschreiben, wenn die Zulassungskriterien erfüllt sind.“ Patientengruppen sollten jedenfalls nicht gegen einander ausgespielt werden.
Weitere medizinische Indikationen
Neben Diabetikern und Herzpatienten nennt Itariu zahlreiche andere Patientengruppen, die enorm von der Therapie profitieren: Etwa Übergewichtige, die durch das Abnehmen mobiler werden und wieder arbeiten können. Oder andere, deren Inkontinenzprobleme plötzlich nachlassen. „Jemand der Adipositas hat, hat oft auch andere Erkrankungen. Wenn durch die Gewichtsreduktion Gesundheitszustand und Lebensqualität verbessert werden, dann ist das auf jeden Fall eine medizinische Indikation.
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Betroffene Substanzen
Vom vorübergehenden Versorgungsengpass sind folgende in Österreich erstattete Diabetes-Präparate betroffen: Victoza (Novo Nordisk, Wirkstoff Liraglutide), Ozempic (Novo Nordisk, Substanz Semaglutide) sowie Trulicity (Eli Lilly, Substanz Dulaglutide). Neben verschiedenen Gründen, welche die weltweite Verknappung dieser Medikamentenklasse verursacht haben, ist einer der wesentlichen Auslöser die massiv gestiegene Nachfrage nach diesen Substanzen als unterstützende medikamentöse Therapie zum Abnehmen.
Zugelassen sind die Medikamente übrigens schon ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 27 kg/m2, wenn eine Begleiterkrankung vorliegt – ab einem BMI von 30 gilt man als adipös. Dazu kommt, dass Ozempic etwa nur für den Einsatz bei Diabetikern zugelassen ist, Off-Label wird es dennoch auch zum Abnehmen verschrieben.
Die produzierenden Unternehmen sind von der Nachfrage jedenfalls überwältigt und bemüht, die Phase der Verknappung so kurz wie möglich zu halten. Die Gesellschaften hoffen, dass sich in absehbarer Zeit die Verfügbarkeit bisher in Österreich erhältlicher Präparate und gegebenenfalls neuer Präparate deutlich bessert bzw. normalisiert. Aus heutiger Sicht erwartet die ÖDG dies für das erste Halbjahr 2024. Auf KURIER-Nachfrage rechnet Ozempic-Hersteller Novo Nordisk "noch einige Monate" mit Lieferengpässen, "jedenfalls bis ins Jahr 2024". Innerhalb von zwei Jahren sollen in Summe mehr als 4,6 Mrd. Euro investiert werden, um die gestiegene Nachfrage decken zu können. Die Versorgungssituation dürfte daher vorerst – je nach Entwicklung der Nachfrage – angespannt bleiben.
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