Was sind eigentlich Embryomodelle genau?
Embryomodelle werden aus tierischen oder menschlichen Stammzellen geformt. "Das ist nichts Synthetisches oder Künstliches", betont Nicholas Rivron vom IMBA. Er forscht seit rund zehn Jahren an und mit solchen Modellen, leitet am IMBA eine Forschungsgruppe zu Embryomodellen und ist international einer der Pioniere auf diesem Gebiet. 2021 gelang ihm und seinem Team ebenfalls ein Durchbruch bei der Entwicklung solcher Modelle.
"Die Zellen werden zu einer Art kleiner Kugel zusammengefügt, die kleiner ist als der Durchmesser eines Haares." Diese Zellkugeln haben gewisse Eigenschaften, die auch in der frühen Embryonalentwicklung vorhanden sind: "Daher sind sie äußerst hilfreich, um im Labor zu erforschen, wie sich embryonale Zellen organisieren und welche Gene und Moleküle dabei eine Rolle spielen. Sie sind eine ethische Alternative zur Forschung mit Embryos." Wissenschaftlich werden sie als "Blastoide" bezeichnet - als zelluläre Modelle von menschlichen Embryonen im Frühstadium.
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Aber worin liegt der Unterschied zu Embryonen, die aus einer befruchteten Eizelle entstehen?
Einerseits werden weder Eizellen noch Samenzellen benötigt, Stammzellen reichen aus. Ein menschlicher Embryo bestehe aus verschiedenen Teilen, die Struktur dieser Modelle ist hingegen einfacher. "Es fehlen gewisse Gewebeformen", sagt Rivron. Auch ist der Zellverbund insgesamt weniger organisiert als ein Embryo. Die Embryomodelle haben also Ähnlichkeiten mit einem Embryo, weshalb sie dazu geeignet sind, die frühe Embryonalentwicklung zu untersuchen. Trotzdem unterscheiden sie sich in mehreren Punkten von einem Embryo und können sich deshalb nicht zu einem Lebewesen entwickeln.
Wenn also solche Embryomodelle schon seit Jahren verwendet werden, warum war die Aufregung dann jetzt so groß?
"Weil in der Berichterstattung diese Strukturen als menschliche Embryonen beizeichnet wurden, aber das ist eben aus unserer Sicht nicht richtig", sagt Knoblich. Die Embryomodelle, mit denen Nicholas Rivron am IMBA arbeitet, entsprechen ungefähr einem Entwicklungsstand bis sieben Tagen nach der Befruchtung - jenem Zeitpunkt, zu dem sich der Embryo in die Gebärmutter einnistet. "Die neuen Modelle sind von ihrer Entwicklung her noch sieben Tage weiter", sagt Knoblich. "Aber sie sind nicht in der Lage, sich zu Lebewesen zu entwickeln. Und sie werden weder rechtlich noch wissenschaftlich als Embryos betrachtet." Es handelt sich auch nicht um etwas grundsätzlich Neues, wie die Wissenschafter betonen: Schließlich gebe es Embryomodelle aus tierischen oder menschlichen Zellen bereits seit rund zehn Jahren.
Knoblich erinnert die derzeitige Debatte an die Situation vor zehn Jahren, als sein Labor erste sogenannte "Gehirn-Organoide" aus menschlichen Stammzellen hergestellt hat, um Erbkrankheiten zu erforschen: "Damals haben einige Leute diese Gehirn-Organoide als Mini-Gehirne bezeichnet, und das war ein riesengroßes Problem." Aber genauso wie diese Organoide keine menschlichen Gehirne im kleinen Maßstab seien, sind die Embryo-Modelle keine Embryos, betont Knoblich.
Rein theoretisch: Könnte so ein Embryomodell überhaupt zu einer Geburt führen?
"Nein", sagt Rivron, "diese Modelle können nur ein Entwicklungsstadium von einigen Tagen erreichen. Dann häufen sie immer mehr genetische Defekte an, dass es an einem gewissen Punkt zu einem Stopp der Entwicklung kommen wird. Wir wissen, dass sie sich nicht länger als ein paar Tage in einer Petrischale entwickeln können." Auch bei Mäusen - dort ist die Forschung auf dem Gebiet weniger streng reguliert - kam es noch nie zu einer Geburt: "In allen Fällen bisher, wo man solche Strukturen in einen Uterus einer Maus eingebracht hat, ist noch nie eine Maus daraus geworden."
Und wenn trotzdem jemand auf die Idee käme, so ein Embryomodell einer Frau implantieren?
"Das wäre nirgendwo auf der Welt erlaubt", sagt Rivron. "Auch die Richtlinien der Internationalen Gesellschaft für Stammzellforschung (International Society for Stem Cell Research) verbieten das." - "So ein Vorhaben würde in der wissenschaftlichen Gemeinschaft sofort geächtet werden", betont auch Knoblich. "Es gibt auch keinerlei Motivation für einen Forscher, das zu tun. Er wäre geächtet."
Christiane Druml, die Vorsitzende der Österreichischen Bioethikommission, erinnerte an den Fall des chinesischen Wissenschafter He Jiankui: Er manipulierte durch künstliche Befruchtung erzeugte Embryonen mit Hilfe der Genschere Crispr. Die Mädchen sollten dadurch vor einer HIV-Infektion geschützt sein. "Es gab einen weltweiten Aufschrei von Forschern." Jiankui wurde von seiner Universität entlassen und mit einem Berufsverbot belegt, sowie zu einer dreijährigen Haft- und auch einer Geldstrafe verurteilt.
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Welche Erkenntnisse kann die Forschung mit Embryomodellen bringen?
"Die meisten Befruchtungen scheitern an der Einnistung der befruchten Eizelle in die Gebärmutter", sagt Knoblich. "Das ist medizinisch ein riesengroßes Problem, aber auch für die Forschung, weil wir diese frühen Stadien der menschlichen Entwicklung nicht untersuchen können." Die Embryo-Modelle erlauben es aber, diese Einnistung nachzuahmen." - Rivron: "Wir wollen verstehen, was genau dazu führt, dass sich bei der künstlichen Befruchtung viele befruchtete Eizellen nicht einnisten. Oder warum es zu frühen Fehlgeburten kommt. Wir bereiten Expeditionen zum Mars vor, aber unser Wissen darüber, was in diesen frühen Phasen in der Gebärmutter passiert, ist sehr gering."
Hat die Forschung mit den Embryomodellen schon zu Fortschritten geführt?
Ja. "Wir haben mehr als zehn Moleküle gefunden, von denen bisher nicht bekannt war, dass sie in der Gebärmutter vorhanden sind, und von denen wir glauben, dass sie die Entwicklung des Embryos unterstützen", sagt Rivron. Sie könnten die Bildung und Einnistung von IVF-Embryonen verbessern. "Unser Ziel ist es, hier ein Medikament zu entwickeln, das die Erfolgsraten bei der künstlichen Befruchtung erhöhen kann und auch das Risiko von Fehlgeburten senken kann."
Diese Moleküle könnten also einerseits die Zahl der befruchteten Eizellen und die Zahl der Zyklen verringern, die für eine erfolgreiche Schwangerschaft erforderlich sind. Es könnte aber auch möglich werden, eine abnormale Einnistung des Embryos zu verhindern, die zu frühen Fehlgeburten führt, etwa aufgrund einer Eileiterschwangerschaft.
Wie stark werden ethische Aspekte bei der Forschung mit Embryomodellen berücksichtigt?
"Ethische Richtlinien wurden bereits formuliert, bevor wir unser erstes Modell entwickelt hatten", sagt Rivron. Bereits 2018 hatte die Internationale Gesellschaft für Stammzellforschung einen Diskussionsprozess mit Experten aus der ganzen Welt, darunter auch Ethiker und Philosophen, initiiert. Auch Rivron und Knoblich waren daran beteiligt. "Es muss eine Ethikkommission die Forschung bewilligen, die Modelle dürfen nur so lange kultiviert werden, so lange es für die Beantwortung der Forschungsfrage notwendig ist, und sie dürfen auch keinem Lebewesen - weder Menschen noch Tieren - implantiert werden." 2020 wurden die Richtlinien der Fachgesellschaft aktualisiert, "erst vier Monate danach publizierten wir im Fachmagazin Nature unser Modell."
Nach der Publikation der jüngsten Forschungsergebnisse veröffentlichte die Gesellschaft für Stammzellforschung ein Statement, in dem sie die Notwendigkeit einer ethischen Prüfung und Begleitung von Studien mit Embryomodellen betont. Und die Gesellschaft lehnt auch den Begriff "synthetischer Embryo" ab: "Embryo-Modelle sind weder synthetisch noch Embryos."
Sind die Embryomodelle eine Alternative zur Forschung an Embryonen?
In vielen Ländern können durch In-vitro-Fertilisation (IVF) gewonnene Embryonen von Eltern, die ihre Familienplanung abgeschlossen haben, an die Forschung gespendet werden. Auch die österreichischen Bioethikkommission hat 2009 eine entsprechende Empfehlung abgegeben, die aber politisch nicht umgesetzt wurde. "Forschung an Embryonen ist in Österreich nicht erlaubt, die Embryonenmodelle hingegen sind erlaubt", sagt Knoblich. "Die Forschung an solchen Modellen ist auch eine Folge des Umstandes, dass viele Länder die Embryonenforschung ablehnen. Wir nehmen das ernst und deswegen wird in vielen Ländern der Welt an diesen Embryomodellen gearbeitet, bei denen diese ethischen Probleme nicht auftauchen."
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