Bild der "unantastbaren" Pädagogin ist ins Wanken geraten
Bringen sich Eltern heute tatsächlich mehr ein und erwarten, in der Schule oder im Verein mitreden zu können? Ja, meint die Psychotherapeutin Vivien Kain. "Wir leben in einer Gesellschaft, in der uns vermittelt wird, dass man mehr Einfluss nehmen kann und soll – das gilt für Mitarbeiter eines Betriebs genauso wie für Eltern. Das Bild der "unantastbaren" Pädagogin ist zudem ins Wanken geraten, wodurch sich für Eltern gefühlt mehr die Möglichkeit bietet, mitreden zu können", sagt Kain.
Einerseits sei das positiv: Kinder erleben, dass man auch Nein sagen dürfe und nicht alles, das jemand, der erwachsen ist oder eine Position innehat, sagt, mitmachen müsse. "Es braucht allerdings ein gewisses Gleichgewicht – Pädagogen und Trainer im Sportverein dürfen Grenzen ziehen. Es darf Vorgaben geben, die man hinterfragenswert findet. Sofern sich das in einem Rahmen befindet, wo niemand Schaden nimmt, müssen Kinder lernen, auch Regeln, mit denen sie nicht konform gehen, einzuhalten", so Kain.
Gemeinsam ärgern, aber Vorgaben mittragen
Eltern hätten zwar das Recht beispielsweise nach Hintergründen für gewisse Regeln zu fragen oder anzumerken, wenn sich ihr Kind mit einem Vorgehen schwertut. Kain: "Es geht aber auch darum, dass Kinder lernen, wie sie damit umgehen, wenn etwas anders ist, als sie oder die Eltern es sich wünschen. Wir können uns gemeinsam ärgern, unter uns schimpfen, aber es geht auch darum, Vorgaben mitzutragen – das ist ein ganz wichtiges Tool, das wir unseren Kindern mitgeben müssen."
Ein Grund, weshalb viele Eltern mitreden möchten, sei neben der gesellschaftlichen Komponente, die mehr Mitbestimmung ermöglicht als vor 30, 40 Jahren, eine größere Unsicherheit. "Mitzureden bietet vielen Eltern bewusst oder unbewusst Kontrolle zu haben, das Gefühl, mein Kind zu unterstützen und ihm zu helfen. Es gibt heute eine große Vielfalt an Möglichkeiten, was einerseits großartig ist, andererseits kann das auch für Orientierungslosigkeit sorgen", betont Kain.
Eigener Antrieb des Kindes wird nicht gefördert
Oftmals erwarten Eltern, dass das Umfeld für ihr Kind so gestaltet ist, dass es sich eingebettet fühlt. Das sei allerdings nicht förderlich. "Wichtiger wäre, dass die Kinder auch einen eigenen Antrieb entwickeln, sich überlegen, wie sie mitgestalten können, vielleicht mutig genug sind, um mit der Lehrerin über etwas zu sprechen, mit dem sie sich nicht wohl fühlen." Eltern, die eine hohe Erwartungshaltung ans Außen, etwa an die Lehrerin oder den Sporttrainer, vorleben, seien eher unzufrieden und vermitteln dieses Gefühl auch an ihre Kinder.
Der Schlüssel für Eltern sei eine gesunde Portion Abgrenzung. "Dann fällt es leichter, gemeinsam mit dem Kind auszuhalten, dass es einmal nicht beim Fußball aufgestellt wurde, auch wenn man sich darüber gefreut hätte. Es geht um den Mut zu Unzulänglichkeit – es ist okay, nicht perfekt zu sein und mal nicht alles versucht oder erreicht zu haben."
Kommentare