Der Weg zur sich unterstützenden Familie war wahrscheinlich nicht immer so einfach, wie es heute scheint. Studien zeigen, dass es im Schnitt fünf bis sieben Jahre dauert, bis Patchwork-Familien, bei denen mindestens einer der beiden Partner eines oder mehrere Kinder in die Familie bringt, zusammenwachsen. Das klinge zwar lange, sei aber tatsächlich häufig so, sagt die Wiener Eltern- und Familienberaterin Sandra Teml-Wall. „Es braucht seine Zeit, bis Vertrauen entsteht. Mitunter erfolgt die Zusammenführung zu schnell, auch weil die Freude über die neue Liebe so groß ist. Schwierig kann es werden, wenn die beiden Partner sehr hohe Erwartungen an die neue Beziehung haben und versuchen die Kinder in eine Vorstellung von Familie hineinzupressen. Das kann dazu führen, dass sich die Kinder wehren“, meint Teml-Wall.
Die Rolle des Alters
Viele Kinder haben anfangs gegenüber einem neuen Partner oder einer neuen Partnerin ihres einen Elternteils eine „gesunde Skepsis“, auch aus Loyalität gegenüber dem anderen Elternteil. „Kinder möchten eigentlich sehr selten, dass sich ihre Eltern trennen. Es sollten daher alle Beteiligten ausreichend Zeit bekommen, um die Trennung zu betrauern und in der neuen Realität anzukommen. Wenn jemand in ein Familiensystem dazukommt oder wegfällt, muss man sich zudem erst einmal neu organisieren“, so Teml-Wall. Viele Eltern, die sich trennen, wollen laut der Familienexpertin nicht wahrhaben, dass nicht nur die Paarbeziehung auseinanderbricht, sondern auch die bisherige Familie. „Die Familie in dieser Form gibt es nicht mehr. Es entsteht etwas anderes, das auch wunderschön sein kann, aber es ist anders.“
Das Alter der Kinder spiele dabei weniger eine Rolle. Wenn sich etwas in der Familiensituation verändert, sei das für Kinder in jedem Alter ein Verlust und erst einmal schwierig. Jugendliche, die zwar die Situation besser verstehen können, dürften nicht in ihrer Trauer unterschätzt werden. Und auch Jüngere können Stiefeltern sehr deutlich zu verstehen geben, dass diese nicht ihre „richtigen“ Eltern sind. Dass Stiefeltern sein nicht immer leicht ist, zeigt die Statistik: Etwa jede zweite Patchworkfamilie zerbricht wieder.
Wichtig sei, für die eigenen Kinder Ansprechperson zu bleiben, zuzuhören und ihre Gefühle aufzufangen. Man dürfe zwar in den neuen Partner verliebt sein, dabei aber nicht auf die Empfindungen der Kinder vergessen, rät Teml-Wall. „Dazu zählt auch auszuhalten, dass meine Kinder mich einmal nicht mögen, wütend sind oder gekränkt. Sobald man Kinder oder Stiefkinder hat, wird man auch mit der eigenen Geschichte konfrontiert, wie man selbst Liebe und Familie kennengelernt hat.“
"Stiefeltern brauchen ein gutes Selbstwertgefühl"
Werden Familien zusammengeführt, müssen die jeweiligen Rollen neu gefunden werden – auch Stiefelternteile, die bereits eigene Kinder haben, müssten erst in ihre neue Rolle wachsen und die Kinder des Partners oder der Partnerin annehmen lernen. Teml-Wall: „Stiefmutter oder Stiefvater zu sein, erfordert viel Bewusstsein für die Schwierigkeiten und Herausforderungen, die das mit sich bringt. Stiefeltern brauchen ein gutes Selbstwertgefühl, denn sie können durchaus auch abgelehnt werden oder bekommen Anschuldigungen ab, die eigentlich den Eltern gelten.“
Damit aus Stiefeltern die vom dänischen Familientherapeuten Jesper Juul optimistischer bezeichneten „Bonuseltern“ werden können, muss vor allem auch der andere Elternteil der Stiefkinder geachtet werden. Immer wieder können Familienzusammenkünfte, etwa Geburtstage, zu Spannungen führen – oft helfe nur Geduld. „Konflikte kommen in jeder Art von Beziehung vor und wir kommen immer wieder an einen Punkt, wo das Gelernte nicht mehr ausreicht und wo man etwas Neues ausprobieren muss“, betont Teml-Wall. Generell seien Patchwork-Familien sowie unterschiedliche Modelle, wie Kinder getrennter Eltern leben, gesellschaftlich normal geworden. „Die meisten Kinder kennen andere aus Kindergarten und Schule, die eine Trennung der Eltern schon erlebt haben und die die Erfahrung gemacht haben, dass diese Krise bewältigbar ist. Kommt es immer wieder zu Konflikten, wo man das Gefühl hat, man dreht sich im Kreis, oder das Kind zeigt ein auffälliges Verhalten, kann es helfen, eine Beratung in Anspruch zu nehmen“, so Teml-Wall.
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