Warum Disney-Prinzessinnen in der echten Welt wohl depressiv wären
"Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende." Für klassische Märchen ist diese Schlussphase nur allzu typisch. Gemeint sind die weiblichen und männlichen Hauptcharaktere der jeweiligen Erzählung: Sie finden am Ende trotz aller Irrungen und Wirrungen zusammen.
Populär wurde die Phrase mit der Verbreitung der Märchen der Brüder Grimm. In den vergangenen hundert Jahren hat der Unterhaltungskonzern Disney alte Märchen für die Leinwand adaptiert – und mit seinen Disney-Prinzessinnen insbesondere das Bild weiblicher Märchenfiguren geprägt.
Neben alten Protagonistinnen wie Schneewittchen oder Aschenputtel (Cinderella) hat das Unternehmen auch etliche neue Heldinnen, Pocahontas, Arielle oder Mulan etwa, entworfen.
Zu rosig, um wahr zu sein
Sie alle eint – nach überstandenen Widrigkeiten – eine stets rosige Zukunftsperspektive. In einer realen Welt wären sie allerdings "ernsthaften Gesundheitsrisiken ausgesetzt", wie niederländische Forschende nun in einem Artikel im renommierten British Medical Journal befinden.
Ein Team um die Gesundheitstechnologin Sanne van Dijk von der Universität Twente hat sich die Biografien bekannter Disney-Heldinnen genauer angesehen. Statt Zufriedenheit und Wohlergehen bis zum Lebensende attestieren sie den Frauen unter anderem ein erhöhtes Risiko für Depressionen, Angststörungen, Herzprobleme – und einen frühzeitigen Tod.
Schneewittchen sei beispielsweise als geknechtetes Dienstmädchen der bösen Stiefmutter massiver Abwertung und dauerhafter Isolation ausgesetzt. Erfahrungen, die erwiesenermaßen mit "Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen, Angstzuständen und der Gesamtmortalität in Zusammenhang stehen", heißt es.
Einsamkeit bis psychische Gewalt
Ähnlichen Gesundheitsrisiken sei Jasmin aus der Aladdin-Erzählung ausgesetzt: Sie wachse "innerhalb der Mauern ihres Palastes (…) auf – mit dem königlichen Personal, den Wachen und den Prinzen, die um ihre Hand anhalten, als einzige soziale Interaktionspartner". Zudem besitze sie abgesehen vom Lampengeist Dschinni keine Freunde. "Die Forschung zeigt, dass Einsamkeit mit Demenz, psychischen Problemen und einem geschwächten Immunsystem in Verbindung gebracht wird", summieren die Fachleute.
Bei Cinderella, in unseren Breiten ursprünglich als Aschenputtel bekannt, kämen kindliche Belastungen zum Tragen. Aschenputtel hatte eine glückliche Kindheit, bis ihr Vater starb und sie mit einer kaltherzigen Stiefmutter und zwei verwöhnten Stiefschwestern zurückließ. Von da an ist Aschenputtel gezwungen, den Haushalt zu führen. Neben dem einschneidenden Verlust des Vaters und der ablehnenden Haltung verbleibender Bezugspersonen sei das Mädchen auch dauerhaft Staub- und Schmutzpartikeln (Cinderella muss der Erzählung nach neben dem Herd in der Asche schlafen) ausgesetzt – ein Risikofaktor für Lungenerkrankungen. "Aschenputtel braucht statt eines Prinzen eher eine Atemtherapie, um glücklich bis ans Ende ihrer Tage zu leben", merken die Autorinnen und Autoren etwas augenzwinkernd an.
Psychische Gewalt muss auch Mulan, eine Disney-Heldin der Neunziger, erleben. Das mutige, intelligente Mädchen leidet unter der Rollenvorstellung im mittelalterlichen China. Frauen, die gezwungen seien, ein Leben zu führen, das ihren Vorstellungen fundamental widerspricht, würden infolge oft unter Angstzuständen oder anderen psychischen Erkrankungen leiden.
Zu viel Schlaf und Stress für die Kopfhaut
In Dornröschen birgt der "unendliche Schlaf" der Prinzessin das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einem Schlaganfall, Übergewicht und Diabetes und kann der Entstehung von Druckgeschwüren und Muskelschwund Vorschub leisten. Belle aus "Die Schöne und das Biest" sei durch den engen Kontakt mit dem Biest vielen potenziell lebensbedrohlichen Infektionskrankheiten, etwa Tollwut, ausgesetzt.
Schließlich warnen die Autoren noch, dass Rapunzels Haarfollikel durch wiederholtes übermäßiges Ziehen an ihrem langen Zopf beschädigt wurden, "ein Zustand, der zu Kopfhautschmerzen, Kopfschmerzen und dauerhaftem Haarausfall führen kann".
Beliebter Forschungsgegenstand
Disney-Prinzessinnen sind ein beliebter Forschungsgegenstand. Vor einigen Jahren sorgte eine japanische Universitätsprofessorin mit der Aussage, Dornröschen sei Opfer sexualisierter Gewalt geworden, für Aufsehen. Mit einem sanften Kuss auf die Lippen wird Dornröschen der Erzählung nach aus dem verwunschenen Schlaf geholt. Kazue Muta, Professorin für Soziologie an der Universität von Osaka, findet das wenig romantisch, sondern vielmehr übergriffig. Muta zufolge würden diese und ähnliche Märchenszenen "semi-zwanghafte, obszöne sexuelle Akte mit einem bewusstlosen Partner" darstellen.
Vielfach erhoben wurde, wie sich die Darstellung weiblicher Disney-Figuren auf die kindliche Entwicklung auswirkt. Neben Kritik an der Tradierung klassischer weiblicher Rollenbilder und unrealistischer Schönheitsideale, legte eine Studie jüngst nahe, dass Lieblingsprinzessinnen das Körperbewusstsein und vielfältiges Denken beim Spielen unterstützen können. Allen voran allerdings jene Prinzessinnen, die sich von klischeehaft weiblichem Verhalten emanzipiert haben und optisch diverser geworden sind.
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