Die Rückkehr der Maske: "Die Alternative ist, alles zuzusperren"
„Anfang April gab es noch einen ziemlichen Streit darüber, ob es sinnvoll ist, Masken zu tragen oder nicht“, erinnert sich Amtsärztin Enikö Bán, die Leiterin des Gesundheitsamtes der Stadt Jena in Thüringen. Gleichzeitig gab es erste Hinweise, dass Infizierte bereits vor Symptombeginn andere Menschen anstecken können: „Da haben wir gesagt: Auf die Schnelle werden wir nicht mehr Daten bekommen – wir müssen jetzt einfach präventiv tätig werden.“ Und so führte die „Lichtstadt Jena“ am 6. April die Maskenpflicht im öffentlichen Raum ein – drei Wochen früher als die meisten deutschen Bundesländer.
„Seit diesem Zeitpunkt sind die Neuinfektionen bei uns stark zurückgegangen“, sagt die gebürtige Wienerin Bán. „Wobei es immer ein Zusammenspiel von Abstand, Hygiene und Alltagsmaske – der AHA-Regel – ist. Aber aus unserer Sicht ist der Nutzen der Masken erwiesen. Man sieht ja auch überall, wo Abstände nicht eingehalten und keine Masken getragen werden, dass die Infektionszahlen nach oben gehen – etwa in den USA.“
„Mittlerweile haben die Menschen verinnerlicht, dass in allen Geschäften Masken getragen werden“, sagt Stadtsprecher Kristian Philler. „Die Akzeptanz ist – auch durch eine große Info-Kampagne – sehr hoch. Und es gibt ein hohes Sicherheitsgefühl.“
„Mit der Einführung der Maskenpflicht bereits am 6. April ist die Zahl der Neuinfektionen stark zurückgegangen“
Mit steigenden Infektionszahlen mehren sich auch in Österreich die Stimmen für eine Wiedereinführung der generellen Maskenpflicht in Innenräumen – der KURIER berichtete. Auf der anderen Seite gibt es kritische Stimmen, etwa den Leiter der Abteilung für öffentliche Gesundheit in der AGES, den Infektiologen Franz Allerberger: „Wir haben in Österreich bislang nicht nachweisen können, dass die Einführung der Maskenpflicht – was wir jetzt zwei Mal gehabt haben – irgendeinen Effekt hat auf den Verlauf der Inzidenzen (Anzahl der Neuerkrankungen, Anm.)“, sagte er in der ZIB2.
Für Gerd Fätkenheuer, den Leiter der Klinischen Infektiologie am Uniklinikum Köln, sind die unterschiedlichen Meinungen ein Ausdruck dessen, dass „ein eindeutiger Beweis“ für den Nutzen der Masken nach wie vor fehle. „Es gibt zwar immer mehr direkte und indirekte Hinweise darauf, die Indizien für eine Schutzwirkung nehmen immer mehr zu, aber die wissenschaftliche Beweiskette ist noch nicht ganz vollständig“, sagt Fätkenheuer.
Da aber auf der anderen Seite die Maske zwar lästig, aber nicht schädlich ist, „würde ich auch in der Abwesenheit endgültiger Beweise doch zu einem großzügigen Gebrauch der Masken generell raten“.
Auch er sei anfänglich eher ein Kritiker gewesen: „Aber jetzt sehe ich schon zunehmend Erkenntnisse auf einen Schutzeffekt.“ Und: „Die Abwesenheit eines Beweises bedeutet ja nicht, dass es keinen Zusammenhang gibt.“ Dass in Supermärkten oder Verkehrsmitteln noch keine Cluster nachgewiesen werden konnten, „das sagt ja nicht viel. Hier ist ein Nachweis extrem schwierig, das ist methodisch fast gar nicht möglich, das nachzuweisen. Im Moment sehen wir eine diffuse Ausbreitung des Virus in der Bevölkerung, und diese können wir in Geschäften oder Verkehrsmitteln nicht wirklich gut entdecken. Gerade bei dieser diffusen Ausbreitung halte ich die Maske für eine wirkungsvolle Maßnahme, die uns schützen kann.“
„Schließungen verhindern“
„Das oberste Ziel muss sein, Schließungen zu verhindern – von Schulen, Geschäften oder Theatern zum Beispiel“, sagt Umweltmediziner Hans-Peter Hutter von der MedUni Wien: „Um das zu erreichen, müssen bei steigenden Infektionszahlen alle Register gezogen werden – und da gehören auch die Masken dazu.“ In Österreich sei der Mindestabstand mit einem Meter ohnehin schon sehr gering bemessen, sagt Hutter: in allen englischsprachigen Ländern sind es sechs Fuß, also rund 1,8 Meter, in Deutschland zumindest 1,5 Meter. „Wenn dieser Abstand nicht einzuhalten ist, braucht es etwas, um das auszugleichen. Und da fällt mir wirklich nur die Maske ein. Außer es kommt jemand mit einer besseren Methode. Die sehe ich bis jetzt nicht. Die Alternative ist, wieder alles zuzusperren.“
Ob es zu einer Ausweitung der Maskenpflicht kommt, ist derzeit offen: „Die Lage wird laufend beobachtet“, heißt es im Gesundheitsministerium. „Wenn es nötig ist, werden wir zusätzliche Maßnahmen setzen. Derzeit ist aber nichts aktuell geplant.“
Schulen: Reizthema Masken im Unterricht
Bildungsminister Heinz Faßmann hat sich generell gegen eine Maskenpflicht im Unterricht ausgesprochen, egal bei welcher Farbe der künftigen Coronaampel. Das sorgt ebenso für Diskussion wie die Entscheidung im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW), vorerst einmal bis 31.8. für Schüler ab der fünften Klasse auch im Unterricht eine Maskenpflicht anzuordnen. „Ich befürworte diese Entscheidung in unserem Bundesland“, sagt Gerd Fätkenheuer, Leiter der klinischen Infektiologie am Uni-Klinikum Köln. „Natürlich geht es bei den Masken immer um das Verhindern von Übertragungsketten. Aber in den Schulen kommt ein Punkt dazu: Es geht besonders darum, Schulschließungen zu vermeiden.“
„Ich glaube, das vorrangige Ziel muss sein, der Unterricht muss durchgeführt werden“, sagt auch der Infektiologe Florian Thalhammer (MedUni / AKH Wien ) im KURIER-daily-Podcast: „Wenn das nur mit Maske geht, oder zeitweise nur mit Maske geht, wenn die Ampel auf rot ist, dann ist das, glaube ich, eine Maßnahme, die tolerabel ist, denn am Mund-Nasen-Schutz ist ja noch keiner verstorben.“
Büros: "Erst an dritter Stelle"
In Frankreich gilt ab September eine generelle Maskenpflicht am Arbeitsplatz, ausgenommen Einzelbüros. Der Arbeitsmediziner Erich Pospischil, Präsident der Österr. Gesellschaft für Arbeitsmedizin, ist skeptisch: „Zu sagen, alle sollen Masken tragen und damit ist das Problem gelöst, das funktioniert nicht. An erster Stelle müssen technische Maßnahmen stehen, etwa die Optimierung des Lüftungssystems, Abstandsmarkierungen, Schutzwände, Hygienemaßnahmen. Dann folgen organisatorische Maßnahmen wie das Arbeiten in getrennten Teams oder die gestaffelte Benützung von Pausenräumen.“ Generell sei darauf zu achten, dass zwischen zwei Personen ein Abstand von zwei Metern eingehalten werden kann – „ein Meter ist am Arbeitsplatz sicher sehr knapp bemessen, zwei Meter bedeuten mehr Sicherheit.“ Die Maske sei aber schon jetzt dann gerechtfertigt, wenn man Kontakt mit Personen hat, die nicht aus dem näheren Umkreis des Büros sind. Allerdings: „Springt die Corona-Ampel auf Rot, ist für die dann noch verbliebenen Büromitarbeiter eine Verpflichtung zum kontinuierlichen Maskentragen sinnvoll.“
Im Freien: „Aufsetzen im Gedränge“
Was es in einigen Kärntner Tourismusorten örtlich begrenzt zwischen 21 und 2 Uhr früh bereits gibt – eine Maskenpflicht im Freien – kommt international auch in immer mehr Städten, besonders in Frankreich. In Toulouse muss sogar im gesamten Stadtgebiet ein Mund-Nasen-Schutz getragen werden. „Maskentragen im Freien ist etwas, was man sich im Regelfall ersparen kann“, sagte der Leiter der Abteilung für öffentliche Gesundheit in der AGES, der Infektiologe Franz Allerberger, in der ZiB2.
„Überall, wo es im Freien ein Gedränge gibt und der Mindestabstand nicht eingehalten werden kann, sollte man die Maske so lange aufgesetzt lassen, bis man wieder aus dieser Zone heraußen ist“, sagt Umweltmediziner Hans-Peter Hutter. „Das ist ja generell eine Grundregel. Und bei Demonstrationen ist das jetzt ja bereits vorgeschrieben – da gab es davor ja große Aufregungen, weil nicht alle Maske trugen.“ Amtsärztin Enikö Bán aus Jena sieht das ähnlich: „Wenn im Freien der Abstand nicht eingehalten wird und jemand spricht Sie lauter an, kriegen sie die volle Tröpfchenladung ins Gesicht.“
Konzert, Theater: "Auch während der Vorstellung"
Das Burgtheater etwa erklärt es auf seiner Homepage ganz genau: Benachbarte Plätze links und rechts werden nicht mehr verkauft, der Mund-Nasen-Schutz ist bis zum Sitzplatz zu tragen und dann wieder in der Pause oder nach Vorstellungsende beim Verlassen des Platzes. „Wenn die Politik das so bestimmt, habe ich kein Problem damit“, sagt der Mediziner Hans-Peter Hutter, der mit Kollegen auch für Theater Konzepte erarbeitet hat. „Wir haben aber aus ärztlicher Sicht zusätzlich vorgeschlagen, dass jeweils auch die Plätze vor und hinter einem frei bleiben, damit wirklich ein ausreichender Mindestabstand gewährleistet ist.“ Schließlich sitze man ja im Theater oder in der Oper mehrere Stunden, und vielfach handle es sich auch um ältere Personen.
„Ob immer ein ausreichender Luftwechsel vorherrscht, ist auch fraglich. Deshalb empfehle ich, den Mund-Nasen-Schutz während der Vorstellung zu tragen. Es erhöht einfach die Sicherheit.“ Denn auch für das Theater gelte: „Ich sitze lieber mit Maske in einer Vorstellung, als es gibt keine Aufführungen, weil das Theater schließen musste.“
Fußballstadien: "Wenn die Zahlen weiter steigen"
Es war vergangenen Samstag das erste Saisonspiel des FC Carl Zeiss Jena: Im Ernst-Abbe-Stadion in Jena mit rund 10.000 Plätzen waren nur 1.895 Zuschauer zugelassen – trotzdem gab es Maskenpflicht. „Wir wissen, dass es beim Schreien zu einer starken Bildung von Aerosolen kommt“, sagt Amtsärztin Bán. Man wollte kein Risiko eingehen.
Der Mediziner Hans-Peter Hutter hat die Erstellung des Präventionskonzepts von Rapid Wien begleitet: „Von 24.000 Sitzplätzen werden nur 10.000 (das ist die Obergrenze) im Schachbrettmuster (links, rechts, vorne und hinten bleibt bei Nicht-Familienangehörigen der Platz frei) besetzt. Durch die ansteigenden Sitzreihen atmet man über die Köpfe in der Vorderreihe hinweg und es ist dokumentiert, wer wo sitzt: In dieser Situation braucht man – im Moment – nicht unbedingt eine Maskenpflicht, obwohl es natürlich besser ist, wenn jeder freiwillig eine Maske trägt. Steigen die Infektionszahlen weiter, kann sich die Beurteilung ändern.“ In Hartberg hingegen wird es eine Maskenpflicht geben, dafür dürfen alle 2.500 Plätze besetzt werden.
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