Darmkrebsvorsorge: Wie man mit einem Termin viele Jahre gewinnen kann
„Hätte ich mir doch die Zeit dafür genommen.“ – Diesen Satz hat die Wiener Gastroenterologin und Darmkrebsspezialistin Monika Ferlitsch in den vergangenen Jahren öfter auch im Freundeskreis gehört. „Ich kenne zunehmend Menschen um die 50 Jahre, die Darmkrebs haben und bereuen, nicht zur Koloskopie gegangen zu sein.“
Ferlitsch‘ Beobachtung deckt sich mit der Statistik. Und die zeigt einen positiven, aber auch einen besorgniserregenden Trend.
„Es gibt einen Rückgang der Erkrankungshäufigkeit bei den Über-50-Jährigen, das ist ein Effekt der Koloskopien. Und wir sehen einen langsamen Anstieg bei den Unter-50-Jährigen und den um die 50 Jahre alten Menschen – weil viele nicht gleich mit 50 oder 51 zur Koloskopie gehen und es noch kein organisiertes Einladungsprogramm gibt“, sagt die Gastroenterologin.
Qualitätszertifikat
Die Österreichische Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie vergibt ein Qualitätszertifikat Darmkrebsvorsorge alle zwei Jahre in Zusammenarbeit mit der Krebshilfe und dem Dachverband der Sozialversicherungen. Es erhalten Ärztinnen und Ärzte, die definierte Qualitätsstandards (z. B. Hygiene und Durchführung der Koloskopie) einhalten: https://dontwait.at
4.500 Menschen
erkranken jährlich neu an Darmkrebs, 2.000 versterben. Eine Koloskopie ab dem 50. Lebensjahr alle zehn Jahre (Angehörige von Darmkrebspatienten ab dem 40. Lebensjahr bzw. 10 Jahre vor dem Erkrankungsalter der Angehörigen) senkt das Risiko für Darmkrebs um 70 Prozent
Noch wird die Koloskopie allgemein erst ab 50 Jahren empfohlen, alle zehn Jahre. Doch das könnte sich ändern: Ein Expertengremium hat im Auftrag des Gesundheitsministeriums Empfehlungen für ein organisiertes Darmkrebs-Screening-Programm erarbeitet. Das Gremium spricht sich für ein qualitätsgesichertes Programm bereits ab 45 Jahren aus: Entweder Koloskopie alle zehn Jahre oder ein spezieller Test auf nicht sichtbares Blut im Stuhl (FIT) alle zwei Jahre. Polypen, gutartige Vorstufen von Darmkrebs, geben ab einer Größe von einem Zentimeter Blut ab.
Gleichwertig
„Beide Screeningstrategien werden als gleichwertig angesehen, den Bürgerinnen / Bürgern soll mittels geeigneter Methoden eine informierte Entscheidung ermöglicht werden“, so die Empfehlungen. Einen Termin für die Einführung dieses dualen Systems gibt es aber noch nicht.
Ferlitsch selbst wird auch künftig zur Vorsorgekoloskopie motivieren, „allein deswegen, weil man sie nur alle zehn Jahre benötigt und auf die Diagnose sofort die Therapie – die Abtragung des Polypen – folgen kann. Aber der Stuhltest hat den Vorteil, dass man damit mehr Menschen erreicht.“
Derzeit geht in Österreich nur rund jede und jeder Fünfte ab 50 zur Vorsorgekoloskopie. In Holland wird eine Koloskopie erst nach einem positiven Stuhltest durchgeführt. Dieser immunologische Test auf verstecktes Blut im Stuhl spricht ausschließlich auf menschliches Blut an.
Dieser wird dort landesweit alle zwei Jahre an die Über-55-Jährigen verschickt. „Die Teilnahmerate liegt bei mehr als 70 Prozent. Viele Screening-Programme in Europa bauen auf diesen Stuhltest.“ In Österreich wird er Test großflächig derzeit nur im Burgenland – es hat die höchste Erkrankungsrate an Dickdarmkrebs – eingesetzt.
Vor- und Nachteile
Dieser Test erkennt gut größere Polypen, übersieht aber wesentlich mehr kleinere als die Koloskopie. Dafür soll er aber alle zwei Jahre durchgeführt werden. Insgesamt würden mit einer österreichweiten Einführung eines Stuhltests als wählbare Alternative zur Koloskopie viel mehr Darmkrebsfälle entdeckt werden: 6,4 Prozent dieser Tests sind positiv. Bei 40 Prozent hat das aber andere Ursachen als einen Polypen oder Darmkrebs. Etwa Hämorrhoiden, Magen-, Nasen- oder Zahnfleischblutungen.
„Auf ein positives Test-Ergebnis muss dann immer eine Koloskopie folgen“, sagt Ferlitsch: „Um falsch positive Tests auszuschließen und um vorhandene Polypen abtragen zu können. „Eine breite Anwendung eines solchen Tests hätte automatisch zur Folge, dass die Zahl der Koloskopien steigt.“
10 bis 15 Jahre dauert es, bis sich aus den Vorwölbungen der Darmschleimhaut Krebs entwickelt. Doch nicht immer sind die Polypen gut sichtbare Wucherungen. „Es gibt auch einen zweiten Weg der Darmkrebsentstehung“, sagt Ferlitsch: Aus flachen Gewebeveränderungen („sessil serratierten Läsionen“), die entlang der Darmwand wachsen.
„Diese vom umgebenden Gewebe nur schwer abgrenzbaren Polypen wurden vor 10,15 Jahren noch häufig übersehen oder nicht beachtet.“ Einerseits, weil es erst die neue Generation der Endoskope ermöglicht, sie leichter aufzuspüren, abzugrenzen und auch abzutragen: „Und auch die Darmreinigung war früher nicht so gut – was die Erkennung ebenfalls erschwerte.“ Hinzu kam, dass man diese Veränderungen lange Zeit als harmlos betrachtete. „Heute weiß man, dass rund 30 Prozent aller Darmkrebsfälle aus diesen flachen Polypen entstehen – oft bei jüngeren Menschen.“
Wer sich wegen der Vorbereitung nicht zur Koloskopie überwinden kann, den beruhigt Ferlitsch: „Es gibt heute wirklich gut schmeckende Flüssigkeiten zur Darmreinigung, vergleichbar mit einer Magnesium-Brause. Zwei Gläser davon reichen aus – eines am Tag vor und eines am Tag der Untersuchung. Ansonsten genügt es, viel Wasser zu trinken.“
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