Was der Darm mit Krebstherapien, Diabetes und Autismus zu tun hat
Das Darmmikrobiom wird oft als das "vergessene Organ" bezeichnet, da es wichtige Funktionen im Körper übernimmt, heißt es auf der Homepage des gemeinnützigen Vereins Open Science: "So verarbeiten die Darmmikroben Nährstoffe, schützen vor Krankheitserregern, beeinflussen das Immunsystem und können über Verbindungen zum Hirn den Körper auf viele Arten beeinflussen." In jüngster Zeit werden immer mehr Daten zum Einfluss des Mikrobioms auf unterschiedlichste Vorgänge im Körper bekannt. So scheint das Mikrobiom im Darm auch die Wirksamkeit von Immuntherapien bei Krebs zu beeinflussen.
"Eine hohe Vielfalt der Darmbakterien steht im Zusammenhang mit besseren Ergebnissen dieser Krebstherapien", sagt Oberarzt Erik Thiele-Orberg vom Universitätsklinikum Regensburg, der an der MedUni Wien studiert hat, zum KURIER. Ist das Mikrobiom gestört, können jedoch Probleme wie eine geringere Wirksamkeit der Behandlung und schwerwiegende Nebenwirkungen auftreten. Die Forschungsgruppe von Thiele-Orberg will jetzt Zusammenhänge zwischen dem Darmmikrobiom und der Wirksamkeit von speziellen Krebsmedikamenten näher untersuchen.
Das Mikrobiom im Darm besteht neben Bakterien unter anderem auch aus Archaeen (einzellige Mikroorganismen) , Pilzen und Viren und spielt eine wichtige Rolle für die Gesundheit. Mehrere hundert Bakterienarten finden sich im Darm jedes Erwachsenen. Insgesamt sind das etwa 100 Billionen Mikroorganismen im Dickdarm einer gesunden Person. Im menschlichen Körper kommen ungefähr gleich viele Mikroorganismenzellen wie Körperzellen vor.
Konkret werden in dem Forschungsprojekt zur Rolle des Darmmikrobioms bei der Wirksamkeit von Immuntherapien Patientinnen und Patienten untersucht, die eine spezielle Klasse von Antikörpern (bispezifische Antikörper) erhalten: Diese binden mit einem Arm an Krebszellen, mit dem anderen an spezielle Abwehrzellen (T-Zellen). Diese Verbindung hilft dem Immunsystem, die Krebszellen gezielt zu erkennen und anzugreifen.
Das Ansprechen der Patientinnen und Patienten auf die Therapie wird ebenso erhoben wie das Ernährungsverhalten und die Zusammensetzung des Darmmikrobioms. Wobei ein Schwerpunkt auf Stoffwechselprodukten (Metaboliten) liegt, die von den Bakterien produziert werden: "Unsere These ist, dass es diese Stoffwechselprodukte sind, die eine Auswirkung auf die Wirksamkeit der Therapie haben."
Hinweise auf den Einfluss von Darmbakterien auf Krebstherapien haben auch kleine Studien mit Stuhltransplantationen bei Patienten mit Melanomen (schwarzem Hautkrebs) gezeigt. Patienten, die nicht auf moderne Immuntherapien ansprachen, erhielten Darmbakterien von Patienten transplantiert, die auf eine solche Therapie angesprochen hatten, bzw. auch von gesunden Personen. Fazit: Zumindest bei einem Teil dieser Patienten wirkte die Therapie im Anschluss an die Transplantation.
Was bedeutet das für Patienten?
"Den einzigen Ernährungsratschlag, den ich derzeit Patientinnen und Patienten mit Immuntherapien gegen Krebs geben kann, ist jener für eine ausgewogene, ballaststoffreiche, mediterrane Ernährungsform", sagt Thiele-Orberg. Für die Empfehlung konkreter Probiotika (Nahrungsmittel, die lebensfähige Mikroorganismen enthalten, zum Beispiel Milchsäurebakterien) sei es zu früh.
"Hier gibt es noch keine Daten, welcher Mix an Metaboliten welcher Bakterien einen positiven Effekt hat."
Einzige Ausnahme sei die Stammzelltransplantation: Hier gibt es bereits Daten, dass sogenannte resistente Stärke (entsteht z. B. nach dem Kochen und gründlichen Abkühlen von Kartoffeln, Nudeln oder Reis) das Risiko einer Abstoßung des Transplantats reduziert. Sie wirkt wie pflanzliche Ballaststoffe und wird durch die Bakterien im Dickdarm verstoffwechselt.
Darmflora und Typ-2-Diabetes
Jüngere Forschungen haben auch Zusammenhänge zwischen dem Darmmikrobiom und dem Risiko für Typ-2-Diabetes aufgezeigt. So hat eine Forschergruppe vom Brigham and Women's Hospital in Boston, MA, kürzlich eine Studie veröffentlicht, wonach bestimmte Bakterienstämme und Viren funktionelle Veränderungen des Darmmikrobioms verursachen können, die mit einem erhöhten Risiko für Typ-2-Diabetes in Zusammenhang stehen. Allerdings gebe es immer noch eine erhebliche Lücke im genauen Verständnis der Mechanismen, die dem Zusammenhang zwischen dem Darmmikrobiom und Typ-2-Diabetes zugrunde liegen", wird einer der Studienautoren, Daniel Wang, auf dem Internetportal Medical News Today zitiert.
Ist Autismus in der Darmflora erkennbar?
Für Aufsehen sorgte dieser Tage auch eine Untersuchung, wonach möglicherweise Autismus bei Kindern anhand ihres Darmmikrobioms diagnostiziert werden könnte, berichtete die New York Times. Nach der Analyse von mehr als 1.600 Stuhlproben von Kindern im Alter von 1 bis 13 Jahren fanden die Forscher in den Proben autistischer Kinder mehrere unterschiedliche biologische "Marker", bestimmte Gemeinsamkeiten. Einzigartige Spuren von Darmbakterien, Pilzen, Viren und mehr könnten eines Tages die Grundlage für ein Diagnoseinstrument sein, wird einer der Hauptautoren einer neuen Studie zitiert.
Derzeit beruht die Diagnose zu einem guten Teil auf Elterninterviews, Fragebogenverfahren und Verhaltensbeobachtungen. Charakteristische biologische Merkmale könnten aber die Diagnose unterstützen bzw. erleichtern. Zwar ist nach wie vor umstritten, welche Rolle das Darmmikrobiom bei der Entstehung von Autismus tatsächlich spielt. Für den Mikrobiologen Gaspar Taroncher-Oldenburg gebe es aber mittlerweile Akzeptanz für die Ansicht, dass "das Mikrobiom ein grundlegender Teil des Puzzles sein könnte".
"Autismus-Spektrum-Störungen" zählen zu den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen. Eine Störung der Wahrnehmungsverarbeitung beeinträchtigt die Beziehungs- und Kommunikationsfähigkeit. 6 von 1000 Menschen sind betroffen, Buben drei bis vier Mal so häufig wie Mädchen. Die Störung liegt von Geburt an vor und tritt bereits in den ersten Lebensjahren auf.
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