Stechende bis bohrende Schmerzen – oder ein ziehendes Gefühl im Nacken, begleitet von Kopfweh: Jeder zweite leidet in Österreich an Nackenschmerzen. Diese können in die Schultern, aber auch bis in Arme und Brustkorb ausstrahlen. So verbreitet die Beschwerden sind, so gängig ist auch das Durchforsten des Internets nach möglichen Ursachen.
Wer sich mit der Diagnose Muskelverspannung nicht zufrieden gibt, stößt bald auf weit gravierendere Zustandsbilder: degenerative Krankheiten wie Arthrose, Wirbelbrüche, Hirnblutungen oder einen Herzinfarkt. Auch als mögliches Begleitsymptom einer Krebserkrankung werden Nackenprobleme gelistet. „Beim Nachforschen im Internet stößt man mitunter auf die schlimmsten Diagnosen“, sagt Christiane Eichenberg. Die Psychologin forscht an der Sigmund-Freud-Universität (SFU) dazu, was die Gesundheitsrecherche im Netz mit Menschen macht – und was es für Folgen hat, wenn sie aus dem Ruder läuft.
Verstärkte Grundängste
Wenn es im Körper irgendwo zwickt, wenden sich weltweit täglich Millionen Menschen an „Dr. Google“, wie die digitale Anlaufstelle für Symptomfragen in Anlehnung an die bekannte Suchmaschine genannt wird. Laut deutschen Erhebungen verlassen sich 63,5 Prozent bei der Bestimmung von Beschwerden aufs Internet.
Medizininformationen zu googeln sei an sich nichts Ungewöhnliches, sagt Eichenberg. „Wenn mit dem Konsum gesundheitsbezogener Webinhalte regelmäßig eine Zunahme von Ängsten einhergeht, spricht man von Cyberchondrie, eine durch das Internet ausgelöste Hypochondrie“, präzisiert die Leiterin des Instituts für Psychosomatik der SFU. Dabei legt nicht das Internet selbst hypochondrischem Verhalten die Rutsche. „Menschen mit bestimmen Persönlichkeitsmerkmalen, zum Beispiel Personen, die stark ängstlich oder neurotisch sind, haben einen Hang dazu. Das Internet, wo Hunderttausende Websites zu Krankheiten rund um die Uhr verfügbar sind, wird zum Katalysator bestimmter Grundängste.“ Auch der Verlust eines nahestehenden Menschen, schwere Krankheiten in der Familie oder schlechte Erfahrungen mit ärztlicher Behandlung können Hypochondrie befeuern.
Besonders fatal: Die Recherche wird durch eigene Befürchtungen beeinflusst. Informationen werden selektiv ausgewählt, um schlimmste Vorstellungen zu bestätigen.
Quellen prüfen Gesundheitsinformationen aus dem Internet ersetzen nie das Arztgespräch. Vertrauenswürdige Quellen können eine erste Orientierung bieten. Seriös sind beispielsweise Websites von Universitäten, Kliniken, wissenschaftlichen Fachgesellschaften, staatliche Einrichtungen, Ministerien, aber auch Krankenkassen oder Selbsthilfeorganisationen.
Infos abgleichen Im besten Fall recherchiert man nicht nur auf einer Website, sondern gleicht die gefundenen Informationen mit anderen seriösen Seiten ab.
Datum beachten Bei Medizinfakten sollte man auf Aktualität achten, da sich Erkenntnisse durch laufende Forschung oft überholen.
Eine ausgeprägte Hypo- wie Cyberchondrie bleibt nicht ohne Folgen. „Es besteht das Risiko, in einen Teufelskreis zu geraten: Man sucht Beruhigung im Internet, kann aber nicht aufhören – bis man auf die schwersten Diagnosen stößt, was wiederum die Angst nährt.“ Oft misstrauen Betroffene infolge ihren Ärzten, die andere Diagnosen stellen. Bereits angelaufene Therapien werden schlimmstenfalls abgebrochen und durch Selbstbehandlungsmaßnahmen ersetzt. Auch sogenannte Symptom-Checker sieht Eichenberg kritisch. „Diese Diagnosegeneratoren sind katastrophisierende Instrumente.“ Studien hätten gezeigt, dass sie eher schwerwiegendere Diagnosen ausspucken und öfter zu Arztbesuchen raten, als nötig wäre. Das belaste auch das Gesundheitssystem.
Bessere Einordnung
Dass das Internet Menschen dazu ermächtigt, sich selbst mit ihrer Gesundheit zu befassen, sei durchaus begrüßenswert. Informierte Patienten können mit dem behandelnden Arzt eher auf Augenhöhe kommunizieren und dessen Ausführungen besser einzuordnen. Eine US-Studie kam 2021 zu dem Ergebnis, dass die Selbstdiagnosen bei 5.000 Befragten nach einem Besuch bei „Dr. Google“ etwas genauer wurden. Die korrekte Einschätzung des Schweregrades – ob also ein Arzt zurate gezogen werden sollte oder nicht – beeinflusste die Recherche nicht.
Wie sieht ein gesunder Umgang mit Krankheitsinformationen im Netz aus? „In erste Linie muss Medienkompetenz vorhanden sein, um seriöse von unseriösen Quellen zu unterscheiden. Und Menschen sollten erkennen, wann es an der Zeit ist, das Gefundene mit dem Arzt zu besprechen.“ Personen, die zu Gesundheitsängsten neigen, rät Eichenberg vom Symptomstöbern ab.
Kommentare