Covid-Therapie: Könnte auch ein Stoff aus Milch ein Kandidat sein?
In der Behandlung von Covid-19-Patienten gab es seit Beginn der Corona-Pandemie viele kleine Fortschritte in unterschiedlichen Bereichen - aber nicht den großen Durchbruch wie bei den Impfstoffen.
Dennoch ist die Behandlung insgesamt deutlich besser geworden und damit das Risiko, an Covid-19 zu versterben, geringer. Die beste Wirksamkeit erzielt derzeit eine Kombination von Cortison (Dexamethason) und einem Präparat gegen rheumatoide Arthritis (Tocilizumab).
Alleine in der EU finden derzeit rund 500 Medikamentenstudien statt. Die Universität von Michigan in den USA hat jetzt untersucht, wie 1.400 bereits zugelassene pharmazeutische Wirkstoffe bzw. Wirkstoffkombinationen auf menschliche Zellen während einer Infektion mit dem Coronavirus wirken. Und machte dabei auch eine sehr überraschende Entdeckung.
Die Versuche liefen nach folgender Versuchsanordnung ab: Unter den kultivierten Zellen für die Medikamententests waren auch aus Stammzellen (Vorläuferzellen) gewonnene Lungenzellen. Mit ihrer Infektion mit SARS-CoV-2 im Labor sollten die Verhältnisse im Atmungstrakt bei einer Infektion in einem Menschen möglichst gut nachgestellt werden.
Die Zellen wurden vor oder nach der Virusinfektion mit den einzelnen Medikamentenwirkstoffen in Kontakt gebracht. Dabei gab es 17 potentielle "Treffer" - wo sich also eine Hemmung der Vermehrung der infizierten Zellen zeigte.
Bei sieben der identifizierten Wirkstoffe war bereits eine Wirksamkeit gegen SARS-CoV-2 erwiesen, darunter befand sich auch die bekannte Substanz Remdesivir.
Aber in zehn Fällen handelte es sich um Substanzen, von denen bisher nicht bekannt war, dass sie einen Effekt auf die Virusvermehrung haben.
Bei neun von diesen zehn zeigte sich ein antiviraler Effekt bei Dosierungen, die realistischerweise in einem künftigen Medikament enthalten sein könnten.
Die größte Überraschung für die Forscher: Unter den neun Substanzen mit antiviraler Wirkung war auch Lactoferrin, ein Protein, das in Kuh- und Muttermilch vorkommt und auch als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben wird.
"Wir haben herausgefunden, dass Lactoferrin bemerkenswert effektiv Infektionen verhindern kann, besser als alles andere, was wir beobachtet haben", sagt Jonathan Sexton, einer der Studienautoren. Dies treffe auch auf neuere Varianten von SARS-CoV-2 wie die Delta-Variante zu. Die Forscher wollen jetzt Studien mit Patientinnen und Patienten starten um herauszufinden, wie gut Lactoferrin tatsächlich die Virusmenge senken und Entzündungssymptome einer Infektion reduzieren kann.
Dabei sind sie realistisch: Nur ein Bruchteil der Substanzen, die in Zellkulturen eine Wirkung zeigen, haben auch eine gute Wirkung bei erkrankten Menschen.
"Traditionellerweise dauert der Prozess der Medikamentenentwicklung ein Jahrzehnt - doch dieses Jahrzehnt an Zeit haben wir derzeit einfach nicht", erklärt Sexton. Bei jenen Substanzen, deren Wirksamkeit die Forscher zumindest auf Zellkulturen entdeckten, könnte dieser Zulassungsprozess abgekürzt werden: Da sie bereits zugelassen sind, müssen sie nicht mehr auf Sicherheit und Verträglichkeit geprüft werden: Man könnte also gleich in die zweite von drei Studienphasen einsteigen, "weil ihre Sicherheit bereits erwiesen ist".
Das Problem der Medikamentenentwicklung
Aber warum ist die Medikamentenentwicklung offenbar viel schwieriger und langwieriger als jene von Impfstoffen?
"Weil ich da (bei den Impfstoffen, Anm.) zu 99 Prozent das menschliche Immunsystem ausnütze", sagte dazu kürzlich der klinische Pharmakologe Markus Zeitlinger von der MedUni Wien in der ZIB1. "Ich zeige dem Immunsystem einfach nur, das ist der Feind, und den Rest macht unser Immunsystem, das sich über Jahrmillionen entwickelt hat. Bei Medikamenten müssen wir die Hauptarbeit leisten und deshalb ist es viel schwieriger."
Viren verschmelzen mit den menschlichen Körperzellen - "die Herausforderung ist es, den Virus abzutöten, ohne die menschliche Zelle dabei zu beschädigen".
England lässt "Trump-Antikörperpräparat" zu
Unterdessen ist in England jenes pharmazeutisch hergestellte Antikörperpräparat zugelassen worden, mit dem im Vorjahr auch Ex-US-Präsident Donald Trump behandelt wurde.
Das Medikament Ronapreve der Firmen Roche und Regeneron besteht aus zwei monoklonalen Antikörpern. Monoklonal heißt, dass die im Labor produzierten Antikörper auf eine einzige Zelle des Immunsystems zurückgehen, daher alle gleich sind und das Virus an fest definierten Stellen angreifen. Sie binden an das Spike-Protein und verhindern damit die Infektion von Zellen.
Am meisten könnten davon Risikopatienten in einem frühen Krankheitsstadium profitieren, die zum Beispiel trotz Impfung keinen guten Immunschutz aufbauen konnten. Angesichts der Kosten von bis zu 2.000 Euro pro Behandlungszyklus ist es noch ungewiss, ob in Großbritannien wirklich jeder Covid-Patient das Präparat erhalten wird oder nur jene, die es am dringensten benötigen.
Im fortgeschrittenen Krankheitsstadium sind derartige Antikörperpräparate bereits wirkungslos.
Die Europäische Arzneimittelagentur EMA prüft derzeit dieses und drei andere Präparate mit monoklonalen Antikörpern. Eine erste Zulassung wird für den Herbst erwartet.
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